Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe
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Wie bewahrt eine Ortsgemeinde ihre Identität, wenn die Mehrheit nur ab und zu „tanken“ will? Wie bewahrt ein Pfarrer seine Kraft, wenn immer mehr Menschen ihn nur an den „Übergängen“ liturgisch in Anspruch nehmen oder diakonische Begleitung „abrufen“, wenn Lebensentwürfe zu zerbrechen drohen? Wenn die meisten Menschen nur an den Lebensübergängen um seelsorglich-rituell-liturgische Begleitung nachfragen, sind Seelsorger nicht mehr als Hirte gefragt. Die Rolle des Seelsorgers als liturgischem „Anbieter“ verändert sich hin zum Gastgeber, der ohne eigene Kränkung offen dafür ist, Menschen an gewissen Wendepunkten zu begleiten, ohne dauerhaft erwiesene „Treue“ zum Gemeindeleben erwarten zu können.
Kränkungspotenzial für Seelsorger liegt darin, dass der Kirche kaum mehr eine notwendige Funktion für die persönliche Alltagsfrömmigkeit beigemessen wird. „Insofern die Kirche immer weniger als spirituell relevantes Moment für den Alltag aufgefasst wird, ist dann doch von einem Wandel im Kirchenbild zu sprechen. Vor dem Hintergrund der neueren Sozialgeschichte des Katholizismus dürfte dieser Befund als signifikantes Novum zu bezeichnen sein.“65 Die teilweise geäußerte positive Identifikation mit der Kirche trug bei den Befragten meist keine allgemeinen, sondern „okkasionelle“ Züge. Den Kasualien, so Först, messen die Befragten Bedeutsames zur Lebensorientierung bei, „besonders hinsichtlich einer von Unwägbarkeiten gezeichneten Zukunft. Verglichen dazu, spielt die Institution Kirche, welche die Kasualien ausrichtet, eine weit untergeordnete Rolle.“66
Der Verlust der kirchlichen „Deutungshoheit“ schmerzt Katecheten, die in der Vorbereitung und Gestaltung von Kasualienfeiern als Institutionsvertreter fungieren. Als Gemeindeverantwortliche und als Anwälte der real existierenden Kirchengemeinschaft am Ort müssen sie erkennen, dass die vielfältigen Angebote der Pfarrei von Kasualienfrommen als nicht relevant eingestuft werden.
In diesem Dilemma zwischen realem Funktionieren von Kirche und ihrem Selbstverständnis arbeiten Seelsorger im Gemeindealltag. Zwischen den Polen „Was ist leistbar?“ und „Was ist theologisch vertretbar?“ bewegt sich der Seelsorger. Praktische Theologen im Pfarreidienst sehen sich angesichts einer „unbekannten Mehrheit“ im eigenen Haus mit gänzlich neuen Handlungsintentionen und Handlungsinterpretationen von zentralen kirchlichen Ereignissen, wie Sakramente es sind, konfrontiert und müssen sich bei Kasualhandlungen und der Gestaltung von Gottesdiensten konkret positionieren.
Regelmäßig praktizierende Katholiken fühlen sich durch Kasualien in den Sozialraum der Kirche integriert, „Kasualienfromme“ lehnen genau diesen Anspruch als „Vereinnahmung“ ab. Das „beredte Schweigen“67 seitens der Kasualienfrommen, wenn Hauptamtliche einladen, liturgische Feiern mitzugestalten und sich aktiv einzubringen, resultiert auch aus einem völlig verschiedenen Kasualienverständnis. „Kasualienfromme“ haben nicht das Hineinwachsen in die kirchliche Gemeinschaft zum Ziel; die Differenz wird nicht ausgesprochen, sondern äußert sich in peinlichem Schweigen.
Gemeindeseelsorger stehen in einem Dilemma: Ihr Auftrag ist es, Gemeinde aufzubauen, den Glauben zu „verorten“ und spirituelle Beheimatung für die Gemeinschaft der Glaubenden und Suchenden im pastoralen Lebensraum zu bieten.68 Andererseits wächst der Wunsch nach individueller, rein biographisch ausgerichteter Kasualiengestaltung. Kasualiengottesdienste müssen durch den Vorsteher persönlich gestaltet sein, um die biographische und theologische Bedeutsamkeit aufscheinen zu lassen. Dies verlangt vom Seelsorger einen hohen Zeit- und Arbeitsaufwand, ohne dass durch dieses Bemühen die Zahl der aktiv praktizierenden Gemeindemitglieder dauerhaft erhöht würde oder der Gemeinschaft vor Ort aktive Mitglieder hinzugefügt werden könnten.
Gemeindeleiter haben das Bestreben, „Gemeindekirche“ mit allen Grundvollzügen kirchlichen Tuns aufzubauen, während die Mehrheit der eigenen Mitglieder Gemeinde als gelegentliche „rituelle Lebensbegleitungskirche“ nutzt. Auch wenn zu allen Zeiten der Kirchengeschichte eine gewisse Differenz zwischen kirchlichem Selbstverständnis und kirchlicher Realität auszumachen ist, so ist diese gegenwärtige Abweichung unabweisbar, nicht mit moralischen Kategorien abzuwerten und eine Herausforderung an das nachkonziliare Selbstverständnis von Priestern, Diakonen und Laien.69
Personalentwicklung muss das Personal in pastoralen Transformationsprozessen stützen und unterstützen. Wenn die Studie zur „Kasualienfrömmigkeit“ in befreiender Weise nicht „von der Institution her fragt und von ihren – an sich ja durchaus berechtigten – Interessen an Partizipation und Integration ihrer Mitglieder her, sondern von jenen Mitgliedern und deren Selbstwahrnehmung selber ausgeht“70, dann müssen auch die haupt- und ehrenamtlichen Kirchenvertreter mit ihrer Perspektive ernst genommen werden. Das Leiden der Verantwortlichen am Auszug der Gläubigen und an der schwindenden Reichweite und Relevanz des eigenen Handelns resultiert auch aus inneren Unstimmigkeiten einer Sakramentenpastoral, „die in Zeiten nach jeder volkskirchlichen Selbstverständlichkeit immer noch unter volkskirchlicher Fiktion abläuft.“71 Hier ist theologische Deutung als Beitrag zur Personalentwicklung im Sinne einer Entlastung und des Aufzeigens neuer Handlungshorizonte gefragt.
Ottmar Fuchs verweist auf die vor allem für hauptamtliches Seelsorgepersonal relevante sakramenten-theologische Herausforderung der „dispersen“ Ekklesiologie, in die hinein sich die Kasualienfrommen mit ihrer Teilnahme an spezifischen Akten begeben. In der Taufe ist jeder Mensch unbedingt von Gott angenommen, die darin grundgelegte Zugehörigkeit zur Kirche besteht und gilt auch dann noch, wenn sie „kontrafaktisch zu den Zugehörigkeitskriterien und Integrationswünschen bestehender kirchlicher Sozialwünsche steht. Mit der Taufe wird klar, dass das Subjekt der Zugehörigkeitsbestimmung zur Kirche nicht die kirchlichen Akteure sind, sondern Gott selbst ist.“72 Diese nicht regulative Zugehörigkeit zur Kirche, über deren Zustandekommen die Hauptamtlichen nicht zu befinden haben und welche auch nicht sichtbar ist, fordert den Seelsorgern „pastorale Demut“ ab. Für Hauptamtliche gilt es, die eigene Sprach- und Handlungslosigkeit auszuhalten, die Grenzen eigener „Pastoralmacht“ zu erkennen und die menschenunabhängige Wirksamkeit der Sakramente neu zu erkennen und anzuerkennen. Die Gültigkeit der Heilszusagen Gottes ist trotz neuer Taufvorbereitungskonzepte oder jahrelanger Firmkatechesen nicht an das Sozialverhalten oder die Kirchenpraxis der Getauften und Gefirmten gebunden.
Das Wissen um die Gnade als Basis der Lebensgestalt und um den Geschenkcharakter der göttlichen Hinwendung zum Menschen kann hauptberufliche Katecheten und Kasualiengestalter entlasten. Der Abriss der Beziehungen nach Kasualien darf nicht als kirchenschädigendes Verhalten oder als Beleidigung aufgefasst werden. Theologie mit Fokus Personalentwicklung muss Seelsorger in dem Glauben an die Wirksamkeit Christi durch die Sakramente im Leben der Menschen bestärken. Kasualien sind ein Dienst am Reich Gottes in der Gesellschaft; der „Erfolg“ ist zunächst unsichtbar und entzieht sich unserem pastoralen Kontrollbedürfnis. Zu lernen ist eine spirituelle Weite, die es Seelsorgern ermöglicht, Menschen eine Zeit lang zu begleiten und danach wieder freizugeben in der Hoffnung, dass Gnade erlebt wurde und Erfahrung