Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe

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Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal - Christine Schrappe Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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offensichtlich bis weit in die Reihen der Kirchenmitglieder hinein. Die typischen ‚Komponisten‘ beider Spiritualitätsmuster lassen sich in der Regel unter den Kirchenmitgliedern und nicht unter den Konfessionslosen finden.“42 Zusammenfassend lässt sich sagen, „dass die Kirchenmitgliedschaft selbst das individuelle religiöse Erleben letztlich nicht eindeutig bestimmt.“43

      Der Einzelne wird nach den quantitativen Untersuchungen des Religionsmonitors zum religiösen „Komponisten“; man ist, so belegen es die qualitativen Interviews dieser Untersuchung, „offensichtlich daran gewöhnt, in einer Welt zu leben, die mit Inkonsistenzen zurechtkommt. Man darf dieses Ergebnis nicht unterschätzen: Inkonsistenz ist hier kein Mangel, sondern ein Zeichen dafür, wie sehr Bewohner einer modernen Gesellschaft an Inkonsistenz gewöhnt sind und letztlich vieles für kommensurabel halten: Es lassen sich dann christliche und esoterische, buddhistische und animalistische Formen miteinander kombinieren, ohne dass damit die einzelnen Formen diskreditiert werden.“44

      In der Gemeindepastoral sind diese Szenen in „Randgesprächen“ erspürbar, wenn z.B. von treuen Kirchgängern zugegeben wird, dass die eigentliche Kraft aus dem täglichen Joga kommt, wenn ein Teil der Pfarrgemeinderäte lieber zu Jazzgottesdiensten am Sonntagabend geht oder das Herz der Lektorin für die Zenmeditation schlägt. Dieses Phänomen belegen auch die Ergebnisse des Religionsmonitors. „Unser empirisches Material zeigt aber, dass innerhalb des Religionssystems gewissermaßen unorganisierte und unorganisierbare Formen religiösen Erlebens sich etablieren - auch bei denjenigen, denen intensives religiöses Erleben alles andere als fremd ist.“45 Und für pastorales Personal noch schmerzlicher: „Je intensiver sich die je eigene Religiosität darstellt, desto innerlich unabhängiger scheinen Personen von ihrer Kirchlichkeit zu sein.“46

      Das Phänomen der „Adaptiven Navigation“ wird von den Verfassern der Sinusstudie verwendet, um die Grundstimmung junger Milieus zu beschreiben. Es geht nicht mehr um eine auf dauerhaften Sinn ausgerichtete Suche. Es geht nicht darum, mithilfe geistlicher Übungen und Begleitung den einen lebensübergreifenden Sinn zu entdecken. Ziel ist nicht, den eigenen lebenslangen Weg zu entdecken. Jede Lebensphase, beruflich und privat, hat ihren eigenen Sinn, den es zu entdecken gilt, ohne Anspruch auf dauerhafte Sinnstruktur. Dies bedeutet eine Rollenneuformatierung für den Seelsorger, weil es nicht mehr um lebenslange Begleitung der „Schafe“, sondern zunehmend um punktuelle und lebensbiographisch ausschnitthafte Angebote geht. Hinter den verschiedenartigen Phänomenen neuer Religiosität stehen unterschiedlich zu bewertende Ausdrucksformen menschlicher Sehnsucht und Transzendenzsuche. „Neue Religiosität ist insofern eine seelsorgliche Herausforderung. Sie erinnert Kirchen an die Notwendigkeit ihrer eigenen religiösen Profilierung und unterstreicht die Aufgabe, suchende Menschen zu begleiten, unterschiedliche Motive und Gesprächssituationen wahrzunehmen, die hinter den Suchbewegungen stehen, und die eigene spirituelle Kompetenz zu vertiefen.“47

      Blasberg-Kuhnke verweist auf das bleibende Dilemma, als Repräsentant einer Institution und als kirchlicher Rollenträger in dieser kirchlichen „Großwetterlage“ den eigenen theologischen und pastoralen Überzeugungen (oder Zweifeln) treu bleiben zu können. Misstrauen und Ablehnung oder Desinteresse bekommen die pastoral Handelnden in ihrer Person und Rolle zu spüren. „Die Spannung von (notwendiger) Identifikation mit der Kirche und (ebenso notwendiger) Distanz wird gegenwärtig wohl nicht leichter, sondern vielmehr schwieriger und belastender ...“48 Aggression und Ärger oder Trauer und Depressivität können Reaktionen auf das wahrzunehmende Desinteresse vieler Kirchenmitglieder an kirchlichen Themen und Angeboten sein. Auch kann nicht verschwiegen werden, dass das spirituelle Spektrum der Hauptamtlichen in der Kirche selbst eine große Bandbreite umfasst. Unter katholischen Religionslehrern und Pastoralreferenten finden sich praktizierende Zenbuddhisten, Berührungspunkte mit schamanischen Heilungsriten erlebt man auch im Kreis kirchlicher Kur- und Klinikseelsorger und Seelsorger geben in Berufsgruppentreffen und internen Kreisen zu, dass sie sich selbst von vielen liturgischen Feiern des Kirchenjahres als Privatperson kaum ansprechen lassen. „Je intensiver unsere Interviewpartner ihr eigenes Glaubensleben erleben, desto mehr geraten sie in innere Distanz zur kirchlichen Praxis, ohne diese freilich generell abzulehnen.“49 Das Resümee des Soziologen Armin Nassehi nach Auswertung des qualitativen Materials des Religionsbarometers betrifft hauptberufliche Seelsorger in zweifacher Hinsicht. In ihrer Berufsrolle als Gemeindepfarrer oder Pastoralreferent leiden sie unter der spirituellen Abwanderung der Gläubigen; sie selbst wagen ihre eigenen außergemeindlichen Suchbewegungen kaum offen zu kommunizieren, um nicht unglaubwürdig zu erscheinen. Der Synkretismus, der insbesondere in Gemeinden erlebt wird, korrespondiert mit den „verschiedenen Seelen“ in der Brust manches Gemeindeleiters, der sich jedoch – zumindest in den konservativen Milieus – dem Anspruch ausgesetzt sieht, offizielle Kirchenlehre vertreten und verkünden zu müssen. Seelsorger als Vertreter einer Institution, welche als sinnstiftende Instanz kein Sinnmonopol mehr besitzt, weil auch die Erwartungen bezüglich Konsistenz und konfessioneller Eindeutigkeit gesunken sind, müssen sich selbst neu definieren. Hauptamtliche in der Pastoral als offiziell Beauftragte stehen vor neuen Herausforderungen, wenn „Inhalte in den Hintergrund geraten, weil sie letztlich nicht für sich zählen, sondern nur in der Form, wie sie authentisch eingesetzt werden können.“50 Neben fachlich theologischer Auskunftsfähigkeit gewinnt die personale und soziale Kompetenz im Glaubensvermittlungsgeschehen an Bedeutung. Es geht um Diskursund Konfliktfähigkeit.

       2.3 „Cocooning“ und „Clanning“ oder: Warum niemand zum Pfarrfamilienabend kommt

      „Wer die Woche über unterwegs ist, braucht eine Zufluchtsstätte, wo es ihm gut geht, der richtet sich sein Zimmer, seine Wohnung, sein Haus so ein, dass er dort alles hat, was er braucht, um sich von der Welt zu erholen, ein Kokon. Der Markt hat sich darauf eingestellt: Die Gartencenter blühen und bieten alles, um aus den paar Beeten rund ums Haus oder dem Balkon ein Paradies zu machen mit Brunnen und allem drum und dran. Mit Beamer richtet man sich ein Heimkino ein. Im Chatroom nimmt man Kontakt zu Freunden auf und der Italiener um die Ecke bringt die Pizza ins Haus.“51 Mit dem Wort „Cocooning“ wird ein soziokultureller Trend beschrieben, es sich zu Hause gemütlich zu machen. Die Wohnung wird zum schützenden „Kokon“ angesichts der Rollenpluralität, des modernen Nomadentums durch berufliche Mobilitätszwänge.52 Das Phänomen des „Cocooning“ bedeutet eine Herausforderung für die Gemeindepastoral, die darauf angewiesen ist, dass sich Menschen am Feierabend und Wochenende aus dem Haus begeben, um (nicht immer ästhetisch gestaltete und oft nicht einmal adäquat beheizbare) Pfarrsäle aufzusuchen.

      Die Gemeindebilder – manchmal auch Gemeindeideologien – der 50er Jahre (Pfarrfamilie) und der aktiven Gemeinde der 70er Jahre (Wer mitmacht erlebt Gemeinde) erweisen sich nicht als tragende pastorale Antworten für die gegenwärtige Pastoral; auch das idealtypische Gemeindemodell der Personal- oder Basisgemeinde in der deutschen Kirche ist im Territorium nicht zu verwirklichen. Ein Grund für Enttäuschung und Verunsicherung von haupt- und ehrenamtlich Aktiven in den Gemeinden liegt in der „nach-konziliar gemeindlich-familiaristischen Kirchenbildung“53, welche vom Leitbild eines „hierarchiefreien Raumes voller (Pfarr-)Aktivitäten, (Familien-)Kreise und voller Kommunikation in, zumeist, freundschaftlicher Halbdistanz“54 ausgeht. Auffällig ist, dass sich in den konkreten Planungen im Kirchenjahr die Kernaktivitäten nach wie vor auf das „Familienmodell“ beziehen. Der „Pfarrfamilienabend“ steht als verpflichtende Veranstaltung in der Pfarrgemeinderatssatzung vieler Diözesen, die Pfarreiwallfahrt setzt auf das Ideal der Pfarrfamilie, die unterwegs ist. Der Familientag im Sommer wird mit einfachen, fröhlich illustrierten Plakaten und Handzetteln beworben, auf denen „Alt und Jung“ geladen werden. Das Modell der Pfarrfamilie geht vom priesterlichen Vater aus, den es de facto nicht mehr vor Ort geben wird. Auch die Pfarrkinder – überwiegend die Frauen – entziehen sich der Pfarrfamilie. Religiöser Erfahrungsort wird nicht mehr nur in einem zugewiesenen sozialen Raum gesucht. Die alte Einheit von sozialem Beziehungsraum, lokalem Nahraum und gesellschaftlichem Organisationsraum löst sich auf. Der Alltag spielt sich in verschiedenen Szenerien ab, als häufiger Wechsel von Settings,

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