"... damit eure Freude vollkommen wird!". Sebastian Kießig

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veränderte, wie wir noch sehen werden, auch die im Nationalsozialismus aufgewachsenen Jugendlichen25, ja noch die ihnen nachfolgenden Generationen. Ein top-down vorgegebener Einheitsimperativ, wie ihn der ‚General‘ der katholischen Jugendbewegung Ludwig Wolker (1887-1955) prononcierte26, erwies sich als zunehmend schwierig.

      Eine der wenigen wirklichen Neugründungen neben den etablierten Vereinen und Verbänden machte die 1947 in Deutschland gegründete Christliche Arbeiterjugend (CAJ) aus, wobei es sich streng genommen um keine wirkliche Neugründung, sondern eine Auskopplung aus der französischen Arbeitspriesterschaft handelte.27 Kernanliegen war es, jungen Arbeitern ihre Würde als Geschöpfe Gottes zurückzugeben. In kleinen Zellen sollten engagierte junge Arbeiter von einem Priester begleitet werden, aber nicht dessen direkter Leitungsgewalt unterstehen. Die Umsetzung dieser Idee ging nicht konfliktfrei über die Bühne, dabei spielte auch das Konkurrenzempfinden etablierter Vereine und Verbände eine Rolle. Insgesamt aber kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sich ‚moderne‘ Jugendarbeit nach 1945 deutlich weniger der freien Initiative der Jugendlichen selbst verdankte, sondern der Seelsorge vor Ort.

      Interessanterweise blieben ländliche Regionen lange von all diesen im Vorangehenden präsentierten Diskussionen unberührt.28 Von ‚moderner‘ Jugendarbeit konnte dort nicht die Rede sein.29 Dies änderte sich ebenfalls erst in der Nachkriegszeit, hier war die oft zitierte Chiffre für den Neubeginn, 1945, eine wirkliche ‚Stunde Null‘. Die Landjugendbewegung war, zusammen mit der bereits erwähnten CAJ, vielleicht die einzige katholische Jugendgemeinschaft, die neu gegründet wurde. Die Gründe dafür sind in einem immer rascher werdenden Strukturwandel, eine Art Globalisierung avant la lettre zu finden. Der Münsteraner Bischof Michael Keller (1896-1961) beschrieb diese Transformationsprozesse 1948 in einem Hirtenbrief mit folgenden Worten: „Ob wir es wollen oder nicht: Die Welt geht in rasendem Tempo einer Neugestaltung entgegen. […]. Und kein Land, keine Stadt, kein Dorf, sei es auch noch das entlegenste, kann sich der unwiderstehlichen Gewalt dieser Umformung entziehen. Das Land hat aufgehört für sich zu sein. Räumlich und geistig! Die modernen Verkehrsmöglichkeiten holen die entlegenste Bauernschaft hinein in die Unruhe der großen Welt. Der Rundfunk verbindet das kleinste Dorf unmittelbar mit dem Geschehen in der weiten Welt und allen geistigen Strömungen der Gegenwart. Das Kino trägt in die letzte Bauernkate hinein die Unsitten und Lebensunarten der entchristlichten Großstadt.“30 Entchristlichung sahen auch die Jugendseelsorger seines Bistums am Werk, wenn sie in einer Konferenz aus dem Jahr 1959 festhielten: „Die große Sorge stellen jetzt die 14-17jährigen dar. Nach den Angaben der Jugendseelsorger scheint es z.Zt. äußerst schwierig zu sein, diese Altersschicht zu fassen und ihnen das notwendige Rüstzeug mitzugeben. […] Ein weiteres beunruhigendes Symptom kam zur Sprache. Bei einer Jugendwoche […] waren etwa 500 Jugendliche an der Kommunionbank. Am Tage vorher hatten jedoch nur etwa 60 Jugendliche das hl. Sakrament der Beichte empfangen. Auch eine Umfrage in den umliegenden Orten ergab keine größere Zahl derer, die gebeichtet hatten.“31 Während Bischof Keller und sein Klerus ganz eindeutig eine Gefahr in dem Anbruch der neuen Zeit sahen, begegnete man alldem seitens der Landbevölkerung mit großer Nüchternheit.32 Einer falschen Romantik, einem Vergangenheitsideal, sei dezidiert abzuschwören – früher sei nicht alles besser gewesen, ganz im Gegenteil. Technisierung, Rationalisierung, das Durchbrechen einer monokonfessionellen katholischen Dorfkultur, all dies stelle für viele Landbewohner nichts Bedrohliches dar, ebenso wenig wie der in Zukunft durchaus zu erwartende Verzicht auf den sonntäglichen Kirchgang, das gemeinsame Gebet, das religiöse Brauchtum. Diesem hier für Westfalen beschriebenen, aber überall in Deutschland anzutreffenden Prozess sollte mit der Gründung der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) entgegengewirkt werden. Offiziell durch die Bistumsleitung unterstützt, ging es darum, (1) die religiöse Tradition nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, (2) allgemeine Bildungsinhalte in christlicher Perspektive zu vermitteln sowie (3) den Vollzug konkreter sozialer und politischer Aktionen im dörflichen Raum zu gewährleisten. Wenn schon die Erosion traditionaler Lebensformen des Christentums auch auf dem Land nicht mehr aufzuhalten war, dann wollte man sie durch den Ausbau einer „christlichen Bildungs- und Aktionsgemeinschaft“ ersetzen.33 Aus zeithistorischem Blickwinkel betrachtet, finden wir hier sicherlich noch Elemente der Katholischen Aktion, der Ausbildung religiöser Laien, die dann ihrerseits als Multiplikatoren in die Gesellschaft hineinwirken sollen34, ebenso wieder wie möglicherweise eine vorweggenommene Reaktion auf das 1965 diagnostizierte „Katholische Bildungsdefizit“, das der Jesuit Karl Erlinghagen (1913-2003) u. a. aus dem Fortbestehen des ‚Lieblingskindes‘ der deutschen Bischöfe, der Konfessionsschule, ableiten wird. Der mit dieser Schulform einhergehende altersverschiedene gemeinsame Unterricht war aufgrund zu schwacher konfessioneller Prägung in vielen Regionen für die meisten Eltern nicht mehr tragbar, da er zulasten der Ausbildung der Kinder gehen würde.35

      Zum Teil mehrmonatige Kurse, zu absolvieren auf so genannten Landesvolkshochschulen, sollten die enge Verzahnung der Religion mit anderen Lebensbereichen wie Politik und Beruf klarmachen: Neben theologischen Basiskursen („Das Neue Testament“) finden sich ebenso Einheiten aus der Politikwissenschaft („Der Bundestag“). Mit diesem sich immer mehr professionalisierenden Modell geriet man bis weit in die 1950er-Jahre hinein in Konkurrenz nicht nur zum ebenfalls neubegründeten Bauernverband, der sich dezidiert überkonfessionell bzw. konfessionsneutral aufstellen wollte, sondern auch zum Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der in der Landjugend eine für viele ländliche Regionen attraktive konkurrierende Alternative sah. Schließlich gelang der KJLB eine etappenweise Ausgliederung aus dem BDKJ und der Titel eines völlig selbstständigen Verbandes.36 Der BDKJ indes entwickelte sich als bischöflich gesetzter Träger der kirchlichen Jugendarbeit, wenn auch er in den letzten Jahrzehnten eine rapide Schrumpfung seines Mitgliederanteils hinnehmen musste. Nicht nur die Partizipation an kirchlicher Jugendarbeit erodierte, auch der Priesternachwuchs und (insbesondere der weibliche) Ordensnachwuchs ging im Laufe der 1950er-Jahre unaufhaltsam zurück – ungefähr zeitgleich mit dem paradigmatischen Motto des konziliaren aggiornamento wurde spätestens um 1968 der Versuch aufgegeben, katholische Jugendarbeit als kirchliche acies ordinata zu definieren. Doch der Reihe nach.

      5. Es gärt. Katholische Jugend zwischen Vergangenheitsbewältigung und Milieuerosion

      Das Schwinden institutionalisierter Religiosität, wie sie für den BDKJ, aber auch andere kirchliche Strukturen beobachtet werden kann, ist kein isoliert zu betrachtendes Phänomen. Vielmehr gärt es innerhalb des Katholizismus in der noch jungen Bundesrepublik an nahezu allen Ecken und Enden, die Erosion der katholischen Lebenswelt beschleunigte sich massiv und war nicht mehr nur, wie oben beschrieben, von einigen sensiblen Zeitgenossen wahrnehmbar.37

      Schon bei Fragen nach der Wiederbewaffnung der Bundeswehr war erkennbar, dass der BDKJ mit der Verabschiedung seiner berühmten „Elmsteiner Erklärung“ (1952) das subjektive ethische Empfinden höher bewertete als die Adenauer-Generation: Entgegen der nationalen Verantwortung, die die Älteren als Argumente für die Wiederbewaffnung beschwörten, konnte nach Meinung der Jüngeren ein Kriegsdienst auch verweigert werden.38 Durch einen „Hochland“-Aufsatz des jungen Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde (*1930)39 und das Theaterstück „Der Stellvertreter“ des nahezu gleichaltrigen Dramatikers Rolf Hochhuth (*1931)40 wurden die beginnenden 1960er-Jahre schließlich zur Wendemarke der katholischen Vergangenheitsbewältigung. Eine jüngere Generation von Katholiken befragte nun die Altvorderen, sensibilisiert durch das Jerusalemer Eichmann-Verfahren (1961/62) und den ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963-1965)41 nach ihrem Verhalten im so genannten Dritten Reich. Ihre Anfragen lauteten exemplarisch wie folgt: Hätte nicht der katholische Glauben per se als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus dienen müssen? Warum haben Bischöfe und Papst nicht stärker Widerstand geleistet? Es waren bis in die Nachkriegszeit wirkende Mentalitätsmerkmale wie eine kleinbürgerlich-bäuerliche Enge und damit einhergehenden Sekundärtugenden (Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit), die der Publizist Carl Amery in seinem ebenfalls 1963 erschienenen Buch „Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute“42 für das Verhalten der katholischen Kirche in den Jahren 1933ff. verantwortlich machte und damit jüngeren Katholiken eine Art

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