"... damit eure Freude vollkommen wird!". Sebastian Kießig

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dem Grundgesetz, Mitbestimmung etc. zu einer Kompassnadel für viele katholische Jugendliche wurden – hier fanden sie die Fragen, die sie selbst bewegten, wieder.43

      Gleichzeitig blieben während dieser Transizione epocale die erwähnten Rechristianisierungsversuche der Ära Adenauer zweifelsohne weiter präsent. Ein Wiedererstarken christlich-bürgerlicher Leitbilder ließ sich aber nicht mehr langfristig durchsetzen. Etwa auf dem Feld des Eherechts machten die deutschen Bischöfen zwar Eingaben und erließen Hirtenbriefe, die eine staatlich angestrebte Reform des Familienrechtes (Anerkennung des Zerrüttungs- statt des Schuldprinzips bei Ehescheidungen; vollkommene, auch berufliche Gleichberechtigung von Mann und Frau) verhindern sollten, langfristig gelang es dem Episkopat und einem Teil des deutschen Katholizismus aber nicht, gesamtgesellschaftliche Reformen aufzuhalten.44 Jüngere Katholiken wollten sich die drei ‚Ks‘, nämlich Kinder, Küche, Kirche, nicht mehr vorschreiben lassen.45 Auch die so genannte Mischehe, seit den 1970ern konfessionsverschiedene Ehe genannt, war für junge Erwachsene katholischer Sozialisation z.B. nicht mehr länger „tiefschmerzliche Duldung“, wie sie die deutschen Bischöfe beklagten, sondern die Realität der eigenen Lebenswelt.46

      Der frühere Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) Friedrich Kronenberg (*1933) konnte so, ausgehend von der damaligen epochalen Umbruchszeit Ende der 1950er/Anfang der 1960er-Jahre, im Zweiten Vatikanischen Konzil wenig Neues erkennen: Das Weltereignis des Zweiten Vatikanums kam für ihn zu spät, die konziliaren Texte entsprachen vielmehr der Befindlichkeit „vieler junger Erwachsener, die wie ich aus der Jugendbewegung kamen, die das Konzil voll und ganz bejahten, für die das Konzil aber keine neue, sondern eine vertiefte Sicht auf Kirche und Welt brachte. Weltbild und Kirchenbild dieser Gruppe wurden durch das Konzil nicht revidiert, wohl aber tiefer begründet.“47

      6. Postkonziliare Polarisierungen: aggiornamento – aber wie?

      Obwohl das Zweite Vatikanische Konzil das theologische und kirchenpolitische Großereignis des 20. Jahrhunderts darstellt, sind weniger die vier Sitzungsperioden von 1962 bis 1965 für den vorliegenden Beitrag interessant, sondern die sich aus den Beschlüssen, getragen von aggiornamento und Dialog mit der Welt, ergebenden postkonziliaren Polarisierungen.48 Mit Blick auf die Jugend ließen sich die Konflikte im Kampf um die ‚richtige‘, d.h. authentische Auslegung des Konzils zwischen den verschiedenen Flügeln des westdeutschen Katholizismus, die nur ganz grob mit den Etiketten ‚konservativ‘ vs. ‚progressiv‘ umrissen werden können, auf ganz verschiedenen Feldern benennen. Die zunehmende Heterogenisierung des Katholischseins in Westdeutschland war dabei so gut wie immer auch ein Generationenkonflikt. In der Forschung wurde dies bereits exemplarisch am Beispiel des Essener Katholikentages im Jahr 1968 und der Ablehnung der Enzyklika Humanae vitae Papst Pauls VI. veranschaulicht.49 Ähnlich eindrücklich ließe sich die Rezeption des Zweiten Vatikanums aber auch am Umsetzungsprozess der Liturgiereform veranschaulichen.50

      Wenn konzilsbegeisterte, jüngere Katholiken in den ausgehenden 1960er-, beginnenden 1970er-Jahren Jazz und Sacro-Pop – sozusagen als Umsetzung des aggiornamento vor Ort – in den sonntäglichen Gottesdienst (und nicht nur dort) einführen wollten, stießen sie damit zumeist auf massive Ablehnung ihrer Elterngeneration. Für Letztere handelte es sich wenn nicht um ‚Negermusik‘, so doch um eine ungeheure Provokation: zu weltlich, unharmonisch, in jedem Falle unliturgisch lauteten die Vorwürfe, die oft in Gegendemonstrationen mündeten. Dies spiegelte sich auch auf der textuellen Ebene: Für viele katholische Eltern, die dem Nationalsozialismus getrotzt und das Wirtschaftswunder mitorganisiert hatten, war die ‚links‘-politische Darstellung eines Jesus, der nicht mehr weltentrückt-fromm, sondern sozialengagiert auftragt, das Gott-sei-bei-uns. An die Stelle von Texten, die teilweise der Andachtsliteratur des Barockzeitalters entstammten, trat eine Neucodierung religiöser Grundbegriffe im katholischen Liedgut – bestes Beispiel etwa das von Kurt Marti getextete und von Peter Janssens komponierte Lied „Das könnte den Herren der Welt ja so passen“ (1970), das deutliche Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung des Westens formulierte. Auch Anklänge an die sich formierende Umweltbewegung ließen sich aufzeigen, darauf wird noch zurückzukommen sein. Fakt ist, dass das katholische Milieu sich spätestens während dieser Auseinandersetzung endgültig verflüssigte, ja mehr noch: Von einer festen, organischen Sozialform des Katholizismus konnte keine Rede mehr sein; eher ist von einem pluralen ‚Katholischsein‘ zu sprechen: Vor allem die katholische akademische Jugend entwickelte über die Partizipation an gesamtgesellschaftlichen Reformdiskursen neue Praktiken, die in einem enormen Spannungsverhältnis zu den Vorstellungen der Altvorderen stand.51

      Die breite Kritik an bisherigen kirchlichen Strukturen um 1968 schaffte es, bei den Bischöfen und katholischen Laienverantwortlichen Gehör zu finden. Prozessen der Willensbildung und Entscheidungsfindung wurde nun größerer Raum zugestanden, wie nicht zuletzt das „deutsche Konzil“52 verrät: Die Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975) vollzog nicht zuletzt mit ihrem Beschluss zur Jugendarbeit einen Paradigmenwechsel. „Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit“53, so der offizielle Dokumententitel, wurden nun über die Formel des personalen Angebotes definiert. Die zuständigen Synodalen, die insgesamt acht Mal im Würzburger Kiliansdom zusammenkamen, vollzogen eine Abkehr von der Rekrutierung Jugendlicher für die Kirche, stattdessen definierte man kirchliche Jugendarbeit als Begleiter auf dem Weg junger Menschen zu einem gelingenden Leben. Diesem Anliegen wollte Kirche dienen (diakonischer Ansatz). Das bis dato vorherrschende Konzept der material-kerygmatischen Glaubensweitergabe war damit endgültig an sein Ende gelangt – zugunsten von Personen und Gemeinden, „die ihr Christsein überzeugend leben und am eigenen Glauben Anteil geben“. Denn die Glaubwürdigkeit von Inhalten wird in allererster Linie über Personen, nicht über Strukturen vermittelt.54 So ähnlich auch der Beschluss zum Religionsunterricht, auf den sich angehende Lehrer für katholische Religionslehre bis heute verpflichten lassen. Er erteilt dem Katecheseunterricht eine eindeutige Absage; vielmehr begründet er die Rolle von Theologie in der Schule neu: Den Schülern wird ein Angebot zur religiösen Orientierung gemacht, aus dem sie ihre religiöse Identität schöpfen können – aber am Ende nicht zwangsweise als aktive Christen die Schule verlassen müssen.55

      Gleichzeitig zu dieser Intensivierung von schon seit den 1960er-Jahren einsetzenden Reformgedanken sind die 1970er-Jahre jedoch weiterhin durch handfeste Erosionsprozesse gekennzeichnet, was das Themenfeld katholische Jugend angeht. Die hochgradige Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile, gebündelt unter dem Begriff „Wertewandel“56, erfasste auch jüngere Katholiken: Die geplante Lockerung des Paragraphen 218 im Jahr 1971, der laut Gesetzbuch einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte, lösten über Jahre enorme Debatten auch und vor allem unter katholischen Jugendlichen aus. Ähnlich wie bereits zuvor bei Humanae vitae standen Rollen- und Geschlechtsbilder von Männern und Frauen, letztlich ihre Einstellung zu Sexualität und Partnerschaft im Brennpunkt der Diskussion. Ebenfalls im Jahr 1971 kam es zur Einstellung der katholischen Wochenzeitung „Publik“, in der eine jüngere, intellektuelle Redaktion ihre Interpretation des Zweiten Vatikanums gegen die Widerstände eines Großteils der Bischöfe und trotz eines nachlassenden Leserinteresses innerhalb des Katholizismus durchzusetzen versuchte. Motiviert durch größere Protestaktionen wagte die Leserinitiative „Publik“, die sich vor allem aus dem studentischen Milieu zusammensetzte, schließlich mit der Gründung von „Publik-Forum“ den konsequenten Aufbau einer kirchenkritischen Nachfolgezeitschrift.57

      Andere Themen kamen hingegen neu auf die Agenda – wie z.B. ein verstärktes Engagement für die ‚Dritte Welt‘.58 Die starke Sensibilität für eine Option für die Armen schwappte auch auf jüngere Christen im europäischen Raum über. Was freilich ihre Faszination für Lateinamerika noch steigerte, dürfte auch das bescheidene Auftreten gewesen sein, das Persönlichkeiten wie Leonardo Boff (*1938), Dom Hélder Câmara (1909-1999) und Oscar Romero (1917-1980) boten. Die südamerikanischen Basisgemeinden unterlagen einer zunehmenden Idealisierung und begeisterten zudem als lebendig, ‚von unten‘ organisiert und gegen Unterdrückung ausgerichtet.59

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