Seelsorge: die Kunst der Künste. Группа авторов

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Seelsorge: die Kunst der Künste - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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nur den Streit, sie brauchen ihn auch.

      Die Lebendige Seelsorge beherzigt das: in Gesprächen, Projektberichten und Praxisbeiträgen zeigt sie etwas vom Plural und den unterschiedlichen Realisationsformen von Seelsorge an verschiedenen Orten. Entwicklung in der Kirche geht ja nie linear: sie geht – so der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner – nach dem Prinzip der Echternacher Springprozession: „Man macht zwei Schritte nach vorn, aber dann braucht man zur Erholung wieder einen Schritt zurück. Dann kommen wieder zwei Schritte nach vorn … Auch auf diesem Weg gelangt man letztlich in eine Zukunft, die bleibt.“ (Zulehner 2004, 33; Garhammer 2016, 156)

      Der Blick in die Geschichte (Wolf 2004) ist ein Beweis für diese Springprozession: im Jahre 1926 wurde das Priesterwerk „Amici Israel“ gegründet. Weltweit gehörten der Vereinigung 19 Kardinäle, 278 Bischöfe und an die 3000 Priester an. Angesichts der zunehmenden antisemitischen Agitation setzte sich die Vereinigung zum Ziel, die Karfreitagsbitten grundlegend zu ändern. Der Präsident, Benediktinerabt Gariador, stellte am 2. Januar 1928 bei der Ritenkongregation die Petition, die Begriffe „perfidus“ und „perfidia“ zu streichen. Ferner sollte auch die Kniebeuge eingeführt werden, um diesen Anti-Gestus der rituellen Verweigerung zu beenden. Die Kniebeuge entfiel ja deshalb, um nicht das Andenken an die Schmach zu erinnern, mit der die Juden um die neunte Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten. Der von der Ritenkongregation beauftragte Gutachter stellte sich voll hinter diese Anliegen. Die liturgische Kommission der Ritenkongregation kam am 18. Januar 1928 zu dem Entschluss, dem Vorschlag der „Amici Israel“ zu folgen. Zwei Tage später wurde der Vorgang ans Heilige Offizium weitergeleitet: dort nahm er allerdings eine völlig andere Wendung. Der päpstliche Hoftheologe Marco Sales OP betrachtete die Vereinigung „Amici Israel“ als eine private Angelegenheit. Wenn man aufgrund einer einfachen Petition einer Vereinigung damit beginnen würde, die alte und ehrwürdige Liturgie zu ändern – so seine Argumente – käme man an kein Ende und würde der Willkür Tür und Tor öffnen. Außerdem hätten die Juden die Verantwortung für die Kreuzigung Christi mit dem Vorwurf „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Mt 27,25) übernommen. Papst Pius XI. stimmte nicht nur dieser Wertung zu, sondern ordnete auch die Auflösung der Vereinigung „Amici Israel“ wegen schwerwiegender Irrtümer an. Er bemängelte vor allem die Umfunktionierung von einer Gebetsbrüderschaft für die Konversion der Juden zu einer kirchenpolitischen pressure group. In die Formulierung des Aufhebungsdekretes, das am 25. März 1928 in den Acta Apostolicae Sedis erschien, griff er selber ein. Er würdigte darin die Verdienste der „Amici Israel“ als Gebetsgemeinschaft für die Konversion der Juden; sie sei jedoch durch ihre aktuelle Vorgehensweise vom „sensus ecclesiae“ abgewichen und habe sich angemaßt, die heilige Liturgie zu verändern. Die Kirche habe aber stets jede Form von Antisemitismus abgelehnt und Israel ausdrücklich in das kirchliche Liebesgebot eingeschlossen. Im Anschluss daran wird der Hass gegen das einst von Gott erwählte Volk, den man auch Antisemitismus nennt, nachdrücklich verurteilt. Die Leiter von „Amici Israel“ unterwarfen sich mit dem Hinweis, dass der Papst damit den Antisemitismus entschieden verurteilt habe, „besser als wir es jemals gekonnt hätten.“ Abt Schuster, der auch der Gruppierung angehört hatte, wurde von Papst Pius XI. ein Jahr danach zum Erzbischof von Mailand berufen, später zum Kardinal ernannt. 1996 hat ihn Papst Johannes Paul II. selig gesprochen.

      Papst Johannes XXIII. schließlich hat bei der Karfreitagsliturgie die Wörter „perfidus“ und „perfidia“ im Jahre 1959 einfach ausgelassen und damit den entscheidenden Anstoß gegeben für die Änderungen im neuen Messbuch 1970. Die „Amici Israel“ hatten sich also doch noch durchgesetzt – trotz vorherigen Aufhebungsdekrets! So geht Änderung römisch-katholisch: nach der Ordnung der Echternacher Springprozession.

       Seelsorgeverständnis heute

      Der Kölner Jesuit Friedhelm Mennekes, der im Gespräch zwischen Kirche und Künstlern seit Jahrzehnten eine führende Rolle einnahm und lange die Kunst-Station St. Peter in Köln leitete, hat von dem englischen Künstler Martin Creed eine Turminstallation an St. Peter vornehmen lassen (Schlimbach, 286). Sie trägt den Titel „Don’t worry“. Neonschriftzüge in vier Sprachen sind auf den vier Turmseiten angebracht. Den Besuchern des gerade neu eröffneten Agrippa-Bades mit seiner ausgedehnten Wellness-Landschaft leuchtete dabei hauptsächlich die Schrift „DON’T WORRY“ entgegen. Die meisten assoziierten damit natürlich „Don’t worry, be happy“ – das Lebensgefühl der Erlebnisgesellschaft.

      Wer sich aber die Mühe macht, die Aufschrift auf den anderen Turmseiten zu entdecken, der kann dort lesen: „NOLI SOLLICITÜS ESSE“, „MH MERIMNA“ und „SORGE DICH NICHT.“ Es handelt sich dabei um ein Wort Jesu aus der Bergpredigt: „Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Sorgt euch vielmehr um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit und alles andere wird euch dazugegeben“ (Mt 6,25 f).

      Diese Installation ist eine Intervention: Seelsorge soll zunächst wahrnehmen, dass wir uns viele Sorgen machen, aber in einem Punkt allzu unbesorgt sind, nämlich was die Reich- Gottes-Sorge angeht. Reich-Gottes-Sorge beinhaltet zwei prinzipielle Dimensionen: Gratuität und Barmherzigkeit. Gratuität, d. h. das Wichtigste können wir nicht selber machen und uns auch nicht verdienen, d. h. wir alle leben aus der Vergebung und die einzig zulässige Hierarchie, die es geben kann, ist das Mehr an Barmherzigkeit – eine Dimension von Seelsorge, die vor allem Papst Franziskus wieder anmahnt (Garhammer 2017).

      Seelsorge im Sinne von Reich-Gottes-Sorge ist also kein Aktivismus, kein Verschulungsprogramm, keine Beschäftigungstherapie, sondern Eröffnung eines Raumes, wo ich und die anderen Luft bekommen und atmen können, ganz im Sinne von Reiner Kunzes Gedicht „Pfarrhaus“:

      Wer da bedrängt ist findet

      mauern, ein

      dach und

      muß nicht beten

       (Kunze, 118)

      Seelsorge ist also zunächst Schutzraum, Asylort ohne Nötigungsdruck zum Frommsein und ohne Bekehrungshintergedanken. Seelsorge ist Ermöglichung zum Aufatmen, zum Luftholen, wo eigentlich alle Zeichen auf Durchdrehen stehen (Zerfaß). Seelsorge treibt die Dämonen aus, den Dämon: „du musst funktionieren“, den Dämon „du musst okay sein“, überhaupt den Dämon „du musst“. Seelsorge bietet Raum für die Gottes-Herrschaft, sie öffnet den Raum für Menschen in der Krise.

      Eines tages wird uns in der seele frösteln,

      und die landschaft wird uns zu knapp sein,

      um sie zusammenzuziehen

      über der brust

      Dann werden wir die säume abgreifen,

      ob etwas eingeschlagen ist

       (Kunze 2003, 283; Garhammer 2011)

      Menschsein bedeutet nach diesem Gedicht von Reiner Kunze: in Krisen geraten. Das ist eine Dimension des Anthropologischen, der conditio humana, die in allen momentanen Reformdiskussionen politisch und universitär kaum zur Sprache kommt. Der Mensch ist ein Wesen der Krise und vor allem: er ist endlich. Es gibt Situationen, in denen uns in „der Seele fröstelt“, oder wie es Paul Gerhardt in dem Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ ausgedrückt hat: „Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein“. Man braucht dabei nicht nur an das Sterben zu denken, es gibt auch andere Situationen, wo uns nichts mehr wärmt, wo wir die Säume abgreifen, ob etwas eingeschlagen ist. Hier entscheidet sich, ob der Seelsorger/die Seelsorgerin selber solchen Gefühlen Raum geben kann, weil er/sie sie kennt und um sie weiß. Von daher scheint mir der Begriff vom verwundeten Arzt, den der Theologe Henri Nouwen ins Spiel gebracht hat, sehr hilfreich zu sein. Nur wer mit eigenen Wunden umgehen gelernt hat, kann wirklich

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