Das Leid von Müttern totgeborener Kinder. Annette Stechmann

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Das Leid von Müttern totgeborener Kinder - Annette Stechmann Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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ein Kind noch vor der Geburt stirbt, empfinden Eltern diese Situation wie einen abgebrochenen Anfang, wie eine nicht erfüllte Zusage neuen Lebens, wie ein gebrochenes Versprechen. Zwischen diesen kleinen Menschen und dem übergroßen, allmächtigen Gott klafft eine enorme Distanz. Wenn ein Kind stirbt, dann „stirbt die Zukunft“4. Wenn ein Kind stirbt, stirbt menschgewordene Liebe. Es erschüttert das Vertrauen in den „lieben“ Gott. In einer solchen Situation wird Gottes Allmacht spürbar für die Eltern, erschreckend spürbar, aber nicht so sehr seine Liebe. So ist der Tod von Kindern schon bei Albert Camus in „Die Pest“5 der Grund des Atheismus, der Ablehnung Gottes.

      Ich musste in 16 Jahren als Klinikseelsorgerin erfahren, dass es Leiden gibt, auf das einfach keine Antwort möglich ist. In diesen Situationen würden Antworten wie z.B. „Gott liebt dich aber trotzdem“ eiskalt abkanzelnd wirken. Sie erwecken – so gesprochen und selbst mit bester Absicht so gesprochen – den Eindruck, dass Seelsorge das Leiden der Menschen nicht ernst nimmt. Ich erlebe mich in meiner Tätigkeit immer wieder als sprachlos und beginne zu ahnen, dass die Rede von Gott am Leiden eines Menschen weder einfach vorbeigehen noch es – im schlimmsten Fall – dazu benutzen kann, um die eigene Theologie zu retten. Es zeigt sich in der Praxis, dass es keine immerwährende Rede von Gott angesichts des Leidens gibt, die in jeder Situation und auf jeden Menschen zutreffen würde, passend wäre, oder ihn gar trösten könnte.

      Aus dieser Situationsbeschreibung erwächst die Frage nach der Sprachfähigkeit der Theologie: Hat sie überhaupt etwas zu sagen in einer Frage, an der sie selbst an ihre Grenzen stößt? Wie wenig es eine Mutter tröstet, deren Kind in der Schwangerschaft gestorben ist, vom gekreuzigten Sohn (!) Gottes zu sprechen, hat einmal eine Mutter von sich aus beantwortet: „Nicht einmal das hast du hingekriegt, Gott! Selbst bei deinem eigenen Sohn nicht!“6

      Wenn Theologie etwas zu sagen hätte, was wäre dann Frauen zu sagen, deren Kinder tot auf die Welt gekommen sind? Was wäre Frauen zu sagen, die sich aus Liebe für eine späte Abtreibung entschieden haben?

      Hat christliche Theologie an dieser Stelle etwas zu sagen, das noch nicht zur Sprache gekommen ist, das aber in der Offenbarung Jesu Christi grundgelegt ist? Es ist die Erfahrung der Tradition, dass es Menschen in der Geschichte immer wieder gelungen ist, das Evangelium so zu verkünden, dass es eine Bedeutung hatte. Ansonsten hätte sie sich nicht fortgeschrieben bis in die Gegenwart7.

      Eine weitere Frage, die mich beschäftigt, ist die Frage nach der Relevanz von Theologie im Hier und Jetzt. Wesentlich damit verknüpft ist die Frage, ob Theologie noch von Gott spricht, oder ob da nicht viel zu viele Worte sind, zu viele Antworten, gesammelt in Büchern, Fachzeitschriften und kirchlichen Dokumenten, die niemand mehr hören will? Ist die Frage nach der Lösung dieses Problems die Frage nach der Art der Rede von Gott, was im Grunde genommen Theologie von ihrem Wortursprung her ist? Wie kann sie so sprechen, dass sie etwas zu sagen hat, dass sie eine Bedeutung hat, dass sie das Wort Gottes in diese Welt trägt, so dass es etwas bedeutet? Wie kann sie Gott „sprachliche Repräsentanz“8 in dieser Welt verschaffen?

      Welche Form der Kommunikation ist richtig? Wie geht es, neue Wege zu den Menschen zu gehen, die der Offenbarung, der Tradition und gleichzeitig der Lebenswelt der Menschen, die sich deutlich vom christlichen Glauben abwendet und gleichzeitig nach Spiritualität sucht9, gerecht wird?

      Papst Franziskus träumt in Evangelii Gaudium

      „von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient“10.

      Die Frage ist also nicht so sehr, wie Kirche bewahrt bzw. erneuert werden kann, sondern die Frage ist, was Kirche für Menschen tun muss, um ihnen durch das Evangelium in ihrer Wirklichkeit zu helfen. Welche Theologie, welche Rede von Gott, welche Verkündigung des Evangeliums ist heute notwendig? Welche verändert die existentielle Not von Menschen?

      Um diese Frage beantworten zu können, ist es wohl notwendig, die existentielle Not von Menschen genauer in den Blick zu nehmen. Es ist nicht notwendig, zuerst in Bibel und Tradition eine Antwort auf eine Frage zu finden, die vielleicht noch nicht einmal gestellt wurde, sondern die „Zeichen der Zeit“11 in den Blick zu nehmen, um sich den notleidenden Menschen zuzuwenden.

      So beginne ich nun mit einem Blick in die Gegenwart in meine Arbeit als Klinikseelsorgerin.

      3 Stechmann, Gott und ihre Gerechtigkeit.

      4 „Für einen Vater, dessen Kind stirbt, stirbt die Zukunft. Für ein Kind, dessen Eltern sterben, stirbt die Vergangenheit“, Auerbach, Aphorismen.

      5 Camus, Die Pest.

      6 Vgl. Stechmann, „Sie beerdigen doch Fußnägel!“, 208.

      7 Vgl. Bucher, Wer braucht Pastoraltheologie wozu?, 197.

      8 Bucher, Die Theologie im Volk Gottes, 37.

      9 „Die Macht der etablierten, von alters her ansässigen religiösen Regime geht noch immer zurück. […] Andererseits spricht viel dafür, dass religiöses Interesse kein aussterbendes Phänomen ist. Selbst Menschen jüngerer Generationen wünschen die rituelle Gestaltung von Lebenswenden, machen sich ihre Vorstellungen von einem Leben nach und vor solchen Übergängen, beten und glauben an Wunder. Bemerkenswert an dieser Entwicklung ist, dass den konfessionellen Formen, die uns aus der Vergangenheit vertraut sind, nun vielfältige individuelle Auswahlmöglichkeiten gegenüberstehen, die sogar die Möglichkeit einschließen, anscheinend widersprüchliche Optionen zu kombinieren. Diese Entwicklung können wir als religiöse Individualisierung bezeichnen. Allenthalben lautet die Diagnose in den Niederlanden: ‚Religion’ ist in, ‚die Kirche’ ist out.“ (de Groot, Fluide Formen religiöser Gesellschaft, 22-23).

      10 Papst Franziskus: Evangelii Gaudium Nr. 27.

      11 Sander, Die Zeichen der Zeit erkennen.

      2 Mit der Nussschale unterwegs auf bewegter See – Erfahrungen in der Klinikseelsorge

      Seit 2001 arbeite ich als Pastoralreferentin, als katholische Klinikseelsorgerin in der Universitätsmedizin Göttingen. Die Erfahrungen, die ich in der Praxis mit dem Thema „totgeborene Kinder“ gesammelt habe, sollen in diesem Kapitel zunächst im Überblick erzählt werden. Ziel ist, mein Vorwissen, aber auch meine Vorprägung in Bezug auf dieses Thema offenzulegen12. Meine Erfahrungen in diesem pastoralen Arbeitsfeld möchte ich in diesem Kapitel darstellen, um meinen eigenen Zugang zu reflektieren und das Thema anfanghaft zu umreißen. Dieses Kapitel will für das Thema sensibilisieren und einen Zugang zur Thematik ermöglichen.

      Meiner ersten Beerdigung totgeborener Kinder stand ich zusammen mit meinem evangelischen Kollegen, einem Gemeindepastor, vor. Die Beerdigungsstelle auf dem evangelischen Friedhof war schon geschaffen, eine Stele mit einem Regenbogen und den Worten „Ein Hauch von Leben…“ errichtet. Die ersten Beerdigungen hatten schon stattgefunden, begleitet von dem evangelischen Pastor allein.

      Dieser bat um katholische „Mitträgerschaft“. Schnell kam mein damaliger Chef auf die Idee, dass ich dort mit einsteigen sollte. Ich kann mich noch an mein Grauen erinnern. Selbst hatte ich damals noch kleine Kinder. Das Thema Schwangerschaft war mir nahe. Ich wusste darum, was es für ein Geschenk war, was es für ein Wunder war, meine Kinder gesund in den Händen zu halten, dass dies nicht selbstverständlich ist. Ich war auf der „glücklichen Seite“ – bei mir war alles gut verlaufen. Wie würde es sein, anderen Frauen zu begegnen, die dieses „Glück“

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