Das Leid von Müttern totgeborener Kinder. Annette Stechmann

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Das Leid von Müttern totgeborener Kinder - Annette Stechmann Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Väter übernehmen manchmal den Part beim Trauergespräch, die „harten Fakten“ der Geschichte zu erzählen. Sie erzählen auch von Reaktionen, die sie bekommen haben – verständnisvolle, aber auch von Menschen, die die Trauer der Eltern abgewertet haben, etwa „es war ja noch nichts“ oder „ihr seid ja noch jung, ihr könnt ja nochmal schwanger werden“ oder „ihr habt ja noch andere Kinder“. Solche Reaktionen verletzen Eltern in der Trauer um ihr einzigartiges Kind, das es so nicht wiedergeben wird. Männer schweigen aber, wenn ihre Frauen erzählen. Sie verstehen sich häufig als Begleiter ihrer Frauen, die ja die Schwangerschaft, die Geburt des toten Kindes körperlich alleine bewältigen mussten. Sie fühlen sich oftmals hilflos, weil sie das Geschick nicht ändern konnten, auch wenn sie es so gerne gewollt hätten. So mancher hat schon gesagt, er hätte gerne seiner Frau einen Teil der Last abgenommen. Es gibt auch einige Männer, die sagen, dass es für sie noch kein reales Kind gewesen sei, weil sie die körperlichen Veränderungen nicht selbst gespürt haben. An diesen Stellen wird klar, welche Belastung eine solch unterschiedliche Bewertung dessen, was gewesen ist, für die Partnerschaft bedeuten kann.

      Manche der verstorbenen Kinder haben auch größere Geschwister, die sich auf das Geschwisterchen schon sehr gefreut haben, die Bilder gemalt haben, die das Kind durch den Bauch der Mutter geküsst haben, die schon überlegt haben, was sie mit ihm gemeinsam spielen könnten. Manche Geschwister wussten offiziell noch nichts von der Existenz des werdenden Lebens. Deshalb überlegen manche Eltern, es ihnen auch gar nicht zu sagen, sie nicht mitzunehmen zur Beerdigung. Die älteren Kinder bekommen sehr wohl die Gefühle der Eltern mit, die Traurigkeit, die Verzweiflung, wissen diese Gefühle aber nicht einzuordnen. Ein vermeintliches Verschonen kann an dieser Stelle auch einfach bedeuten, dass sich Eltern in dieser schwierigen Situation davor schützen, dieses traurige Ereignis verbalisieren zu müssen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass das Geschwisterkind allein gelassen ist mit dem, was es an Trauer, Wut und anderen Gefühlen bei seinen Eltern wahrnimmt. Es hat keine Hilfe, diese Gefühle einzusortieren und steht alleine mit der Auseinandersetzung da.

      Bei den Bestattungen sind auch immer wieder Großeltern anwesend. Wenn z.B. eine Mutter sehr jung ist, kommt häufig deren Mutter mit, die dort mit ihrer eigenen Trauer, aber vor allem auch mit ihrer Sorge um ihre junge Tochter anwesend ist. Großeltern kommen auch mit, wenn sie sich selbst sehr Enkel gewünscht haben. Dieser Wunsch kann allerdings Druck für die verwaisten Eltern bedeuten, was in der Trauerfeier zu berücksichtigen ist.

      Es wird unendlich viel geweint, wenn Kinder so früh gestorben sind. Es gibt fast keine Erzählung von Eltern über ihr Kind, die nicht von Tränen begleitet ist. Tränen fließen, Tränen strömen, Tränen tropfen. Tränen werden versucht zu unterdrücken, herunterzuschlucken, um sprechen zu können. Das gelingt mal mehr, mal minder.

      Diese Tränen erzählen auf eine viel tiefere Art und Weise als Worte es können von dem, was diesen Eltern passiert ist: Wie sehr sie der Tod des Kindes verletzt hat, wie traurig sie sind, wie unverstanden sie sich wissen – und dass sie mit allem gerechnet haben, aber nicht damit, dass ihnen ihr Kind stirbt. Dieses Thema ist immer noch etwas, an das „man“ nicht denkt – es ist ein Thema, das heute noch unter dem Teppich gehalten wird. Die meisten dieser jungen Eltern haben selber noch nicht erlebt, dass ihnen ein Verwandter gestorben ist – und müssen jetzt mit dem Tod ihres ungeborenen Kindes zurechtkommen.

      Eine Bestattung erfüllt ihren Zweck, wenn sie Eltern erlaubt zu weinen. Wenn das, was an Trauer in ihnen ist, ins Fließen kommen kann. Wenn sie diese Tränen nicht verbergen müssen. Wohl aber kann es auch passieren, dass ich, wenn Eltern z.B. selbst Texte für ihre Kinder geschrieben haben, beim Vortrag dieser Texte ebenfalls beginne zu weinen. Es geht fast nicht, solche Briefe von Eltern an ihre Kinder ohne diese Tränen vorzutragen.

      Als ich angefangen habe, meine Dissertation zu schreiben und die Interviews begonnen habe zu transkribieren, sind mir unendlich viele Tränen gelaufen. Es ist einfach furchtbar traurig, dass ein Kind noch vor der Geburt stirbt. Wie kann das sein? Diese Frage, die ich selbst nicht zufriedenstellend beantworten kann, zeigt Ohnmacht, zeigt das Ringen um diese Kinder, um die Liebe dieser Eltern zu ihren Kindern. Ihre Geschichte macht betroffen, berührt andere Menschen und verletzt sie sogar in ihrem Hoffen und Glauben, dass Gott das Leben will. Was dann übrig bleibt, sind einfach Tränen.

      Ganz am Anfang meiner Tätigkeit in der Klinikseelsorge habe ich immer gedacht, dass ich nicht weinen dürfte, dass es von mir als Seelsorgerin verlangt wäre, die Situation zu halten, „darüber“ zu stehen. Viele Patient/inn/en, aber auch vor allem die Mütter und Väter der verstorbenen Kinder haben mich gelehrt, dass das Mitweinen eine nichtverbale Sprache ist – ein erstes Mittel der Kommunikation, das den Eltern unmittelbar zeigt, dass ich mitfühle, dass ich mit ihnen bin, dass ich mich zutiefst berühren lasse von ihrer Geschichte, von ihrer Trauer um ihre verstorbenen Kinder.

      Das, was Eltern in ihrer Trauer viel mehr verletzt als die mitfühlenden Tränen anderer Menschen, ist Gefühlskälte. Bei einer werdenden Zwillingsmutter hatten die Wehen aufgrund einer bakteriellen Infektion eingesetzt. Nun war die Fruchtblase des einen Kindes geplatzt und der Muttermund war leicht geöffnet. Die Fruchtblase des anderen Kindes allerdings war noch vollkommen intakt, beide Herzen schlugen. In dieser Situation hatte ihnen ein Arzt gesagt: „Machen Sie es weg. Dann können Sie in zwei Tagen schön Weihnachten feiern.“

      Dieser Satz transportiert einerseits die medizinische Realität. Ich bin keine Ärztin, aber mit bloßem Menschenverstand betrachtet ist die Geburt dieser beiden noch lebenden Kinder wohl nicht mehr aufzuhalten gewesen. Die Aussage, „es weg zu machen“, hat diese beiden werdenden Eltern sehr verletzt. „Es“ waren immerhin die beiden Kinder, mit denen dieses Ehepaar nach vielen Jahren erfolglosen Kinderwunsches durch künstliche Befruchtung schwanger geworden war. Sie waren nicht ein „Es“, das man einfach so „wegmachen“ konnte. Es waren zwei Kinder, die wahrscheinlich keine Überlebenschance hatten. Es waren zwei Wunschkinder, erhofft, ersehnt und erbeten vom Schöpfer dieser Welt. Es waren zwei Kinder, von denen sich die Eltern schwersten Herzens verabschieden mussten, die sie loslassen mussten – sie, die sie so sehr ersehnt hatten. Statt den Trauerprozess zu ermöglichen, die Eltern mitfühlend bei dem wohl irreversiblen Geburtsprozess zu unterstützen, erschwerten diese kalten Worte den Eltern die Situation noch. Sie waren unendlich schwer zu ertragen, sagten mir die Eltern mit bleichen Gesichtern und zitternden Lippen. Sie fühlten sich sehr alleine gelassen.

      Solche Reaktionen gibt es aber nicht nur bei Ärzt/inn/en (natürlich gibt es viele, die auch menschlich hervorragende Arbeit leisten, das sei an dieser Stelle gesagt, damit nicht der Eindruck entsteht, Ärzt/inn/en seien gefühlskalte Monster), sondern auch bei Seelsorgenden.

      Ich habe miterlebt, wie eine Pastorin bei einem Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder von den glücklichen Momenten der Geburt ihres eigenen Kindes erzählte: Wie sie ihr Kind erhofft hatte, wie es größer wurde in ihrem Bauch, wie sie es nach glücklicher Geburt auf ihre Brust gelegt bekam, wie wunderschön es war, dieses Kind aufwachsen zu sehen und mit ihm durch den Wald zu tollen. Das verkündete sie als „frohe Botschaft“ Eltern, die manchmal noch nicht einmal einen Körper hatten, den sie hätten beerdigen können, weil das Kind – so klein wie es war – tatsächlich bei einer Blutung verloren gegangen war? Ein größeres Maß an Abkanzlung der Trauer der Eltern kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Der Grund mag vielleicht eine zu große Betroffenheit der Pastorin gewesen sein, dass sie dieses furchtbare Schicksal so vieler Eltern emotional nicht ausgehalten hat. Aber ist es ihr erlaubt, als Predigerin, als Verkünderin der Frohen Botschaft, Eltern gegenüber mit einer solchen Gefühlskälte zu agieren? Die Botschaft, die sie verkündet hat, war: „Ich bin glückliche Mutter – und ihr seid es nicht!“ – wo ist da der Trost?

      Weitere kalte Reaktionen sind die Reaktionen von Umstehenden – manche Eltern haben eine „Hitliste“ von verletzenden Bemerkungen gemacht:

      „Es hat eben nicht sollen sein./Nächstes mal (!) klappt es bestimmt. Ach, du wirst doch bestimmt

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