Das Leid von Müttern totgeborener Kinder. Annette Stechmann

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Das Leid von Müttern totgeborener Kinder - Annette Stechmann Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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eigene Grenze – was sollte ich diesen Frauen und Männern von Gott sagen, für den ich ja als Klinikseelsorgerin stand?

      Am Anfang der Bestattungen bin ich mit dem Selbstbewusstsein aufgetreten, ich hätte als katholische Klinikseelsorgerin Menschen in dieser Lebenssituation etwas zu sagen. Ich wollte von der Hoffnung sprechen, dass, wenn schon jetzt alles zerbrochen ist, am Ende einer sein wird, der die Menschen wiederaufrichten wird, der die Kinder aufnimmt, der ihnen jetzt, da sie tot sind, die Geborgenheit schenken wird, die ihre Eltern ihnen nicht schenken können. Auf diese Botschaft spürte ich jedoch keine deutliche Resonanz. Ich spürte nicht, dass sie die Eltern tröstet.

      Dann habe ich überlegt, die biblische Tradition der Klage23 laut werden zu lassen: Indem ich bei einer Beerdigung z.B. Psalm 77 vortrug, erreichte ich die Eltern schon eher. Aber ich hatte das Gefühl, dass der Inhalt zwar richtig war, dass aber die „Verpackung“ – ein Gebet in „alter“, ungewohnter Sprache, dann doch wie eine unsichtbare Mauer zwischen den Eltern und dem Inhalt stand.

      In all dem wurde nicht nur ein legitimer pastoraler Anspruch deutlich, sondern auch das verborgene Ziel, Gott verteidigen zu wollen. So suchte ich nach theologischen Konstrukten, die ein bestimmtes Bild Gottesbild retten könnten. Das Modell des mitleidenden Gottes von Jürgen Moltmann, das Modell der Trinität24, erschien hierbei als ein repräsentatives Modell, mit dem ich mich als Theologin vor diese Eltern stellen konnte. Ich wollte ihnen ja etwas von Gott sagen. Aber auch all diese Gedanken halfen nichts. Die Trauer der Eltern war größer. Sie wollten keine wohlfeilen theologischen Antworten, sondern sie wollten Trost. Dafür reichten ihnen die Sterne in der Nacht, so schien es mir. Die Sehnsucht nach einem neuen Tag schien mir nicht in ihrem Denkhorizont zu sein. Als seien sie durch den Tod ihrer Kinder zu Kindern der Nacht geworden, in der höchstens die Sterne der Mitmenschlichkeit und Solidarität untereinander die Nacht erhellen können – so auch beim Candlelighting–Gottesdienst25.

      Durch diese Erlebnisse und auch durch die Analyse der Interviews wurde mein Begriff von Gott herausgefordert. Sie waren geradezu ein Angriff auf mein Gottesbild. Ich rang mit diesem Begriff von Gott, stellte mich den Frauen radikal an die Seite. Ich begann selbst, Gott zu klagen, warum diese Kinder gestorben sind. Ich weinte viele Tränen im Mitgefühl mit diesen Müttern. Ich hatte wirklich Angst, Gott selbst zu verlieren und begann zu verstehen, dass ich hier nichts retten kann, dass ich unendlich ohnmächtig bin, dass ich Gott nicht festhalten kann, sondern dass er selbst für sich und sein „Dasein“ verantwortlich ist und nicht ich. Ich musste lernen, dass ich als Theologin nicht für diesen Gott verantwortlich bin. Er entzog sich meinem Zugriff, so dass ich ihn nicht mehr „einsetzen“ konnte. Ich habe ein bestimmtes Gottesbild durch den Prozess der Auseinandersetzung mit diesen Eltern und besonders in den Interviews dieser Frauen verloren. So stand ich dann da – als eine Frau, die von Gott reden will, denn das ist es im wahrsten Sinne für mich, Theologin zu sein – aber ich war sprachlos. Ich hatte die Rede von ihm verloren, weil er sich mir in der Auseinandersetzung mit dem Tod noch nicht geborener Kinder entzogen hatte. So kam ich zu dem Schluss, dass ich bisher ein bestimmtes Gottesbild verteidigt, dieses aber letzten Endes verloren hatte.

      Die Frauen, die ihre Kinder verloren haben, haben häufig Gewalt erfahren. Oftmals berichten Frauen, dass ihre Körper nicht bereit waren, die Kinder herzugeben. Sie berichten, dass die Einleitung einer Geburt unendlich lange gedauert hat, mehrere Tage, dass es deshalb eine schwere Geburt war. Sie berichten von abwertenden Reaktionen von Ärzt/inn/en „es war ja noch nichts!“ oder von Hebammen, die so gucken, als wenn gerade ein Missgeschick passiert wäre. Sie erleben, dass sie mit ihren Gefühlen, dass da vielleicht etwas nicht stimmt, nicht ernst genommen werden, belächelt werden. Sie erleben, dass sie ihre Kinder – teilweise nur vom Stationspersonal betreut – auf dem Zimmer ohne Hebammenbetreuung entbinden müssen. Sie fühlen sich allein gelassen. Sie sind voller Wut auf die Situation, auf Ärzte und Ärztinnen und auch auf Gott, der ihnen das angetan hat.

      Sie sind voller Liebe für ihre Kinder, die sie eigentlich nicht hergeben wollen, aber es müssen, weil sie entweder schon gestorben sind oder weil sie sich für den Abbruch entschieden haben.

      Die Männer schildern häufig das Gefühl von Ohnmacht: Sie hätten gerne ihrer Partnerin etwas abgenommen – z.B. die Schmerzen. Sie hätten am liebsten alles rückgängig gemacht. Das Kind gerettet. Sie kämpfen mit dem ärztlichen oder pflegerischen Personal oder mit der Krankenkasse, mit… und müssen doch erleben, dass es nicht in ihrer Macht steht, das Kind und ihre Frau zu retten.

      Die Frage, wann ein Kind ein Kind ist, stellt sich in einer solchen Situation in besonderem Maße. Diese Frage wird unterschiedlich bewertet. Die Mütter und Väter, die in den Trauergesprächen auftauchen, sprechen ganz klar von ihren Kindern. Sie geben ihnen Namen. Sie sagen, dass sie ab dem Zeitpunkt, als sie das Herz schlagen sahen, sich als Mutter und Vater dieses Kindes verstanden haben. Andere sehen diese Kinder als menschliches Material an. So sagte mir ein Arzt angriffslustig einmal, dass ich ja Zehennägel bestatten würde26.

      Auch in den Reaktionen der Umwelt kommt etwas von der Ansicht zutage, diese Kinder seien ja noch gar keine Kinder gewesen. „War ja noch nichts“ – ist hier die häufigste Aussage, die deutlich macht, welchen Stellenwert diese Kinder hatten.

      Auf der Grabstele des Regenbogenvereins Göttingen auf dem Grabfeld St. Petri/Weende steht „ein Hauch von Leben – unvergessen“. Selbst diese Definition der Kinder als „Hauch von Leben“ verletzt Frauen, die unter körperlichen und seelischen Schmerzen ihr geliebtes Kind auf die Welt bringen mussten, obwohl sie nichts als das Leben für dieses Kind wollten.

      Auch der Gebrauch der Wörter „es war eine Totgeburt“27 oder aber „es war eine Fehlgeburt“28 sprechen ebenfalls nicht davon, dass es ein Kind war, das den Weg zum Leben nicht gefunden hat. Sie sprechen von einer Sache, wie einem Organ, und von einem Fehler. Doch diese Kinder waren keine Fehler.

      In der Bewertung dessen, wie mit totgeborenen Kinder umgegangen werden soll, hat sich auch die Politik verändert29, sodass es inzwischen eine Bestattungsmöglichkeit für diese Kinder gibt. Selbst das war lange Zeit nicht geregelt. Torsten Barthel, der den Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands als Rechtsanwalt berät30, schreibt noch 2012 in der juristischen Online–Fachzeitschrift Jurion31:

      „Bislang fanden betroffene Eltern bei Totgeburten mit einem Gewicht unter 500 Gramm nur manchmal einen aufnahmebereiten Friedhof. Immerhin enthalten einige der 16 Friedhofs– und Bestattungsgesetze (BestattG) der Länder Regelungen wie in Niedersachsen, wonach ‚auf Verlangen der Eltern ein Tot–oder Fehlgeborenes zur Bestattung auf dem Friedhof zuzulassen ist’ (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nds. BestattG).“

      Die Bestattung erfolgte

      „zumeist in einem Kindersammelgrab, wo die Kinder vierteljährlich gesammelt, gemeinsam verbrannt und in einer Urne bestattet werden. Manche Länder machen die Bestattung sogar gänzlich vom Goodwill des Friedhofsträgers abhängig. Bittere Konsequenz: Das tote Kind ist organischer Abfall, Krankenhausmüll, der ordnungsgemäß entsprechend der Hygienevorschriften entsorgt werden muss. Entsorgung bedeutet in der Regel Verbrennung zusammen mit herausoperierten Blinddärmen oder Geschwüren oder Zuführung der Asche zum Sondermüll.

      Diese Praxis hatte ihre Wurzel in der Regelung des § 31 Abs. 3 PStV in seiner bisherigen Fassung. Danach gilt: Wenn das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm beträgt, handelt es sich um eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personenstandsregistern nicht beurkundet, wenn sie ohne Merkmale des Lebens wie Herzschlag, Nabelschnurpulsation oder Lungenatmung und kein Teil einer Mehrlingsgeburt war. Was aber nicht personenstandsrechtlich beurkundet wird, hat als Mensch nicht existiert, ist also keine ‚Leiche’

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