Das Leid von Müttern totgeborener Kinder. Annette Stechmann

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Das Leid von Müttern totgeborener Kinder - Annette Stechmann Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Behandlung menschlicher Überreste durch Pietät, Sitte und religiöse Anschauung bestimmt. Bereits die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Schwangerschaftsabbruch enthält wesentliche Aussagen zum sittlichen Empfinden unseres Kulturkreises. Danach beginnt die Menschenwürde spätestens mit der Nidation (Einnistung) der Eizelle (Urt. v. 25.02.1975, Az. 1 BvF 1/74, 1 BvF 2/74, 1 BvF 3/74, 1 BvF4/74, 1 BvF 5/74, 1 BvF 6/74). Somit besitzt auch ein Fehlgeborenes Menschenwürde und kann das sogenannte postmortale Persönlichkeitsrecht beanspruchen“32.

      Der Deutsche Bundestag hat dann2013 einstimmig das Personenstandsrechtsänderungsgesetz (PStRÄndG) beschlossen33:

      „Das Gesetz gibt Eltern von so genannten ‚Sternenkindern’ – also Kindern, die mit unter 500 Gramm tot geboren wurden – erstmals die Möglichkeit, die Geburt beim Standesamt dauerhaft dokumentieren zu lassen und ihrem Kind damit offiziell eine Existenz zu geben. Bisher war eine solche Beurkundung nicht möglich.

      Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder: ‚Die Änderung des Personenstandsrechts zugunsten der vielen Mütter und Väter eines so genannten >Sternenkindes< ist nicht nur rechtlich und familienpolitisch notwendig, sondern vor allem eine Frage der Menschlichkeit. Eltern, die mit einer Fehlgeburt einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatten, mussten bisher auch noch hinnehmen, dass ihr totes Kind behandelt wird, als hätte es nie existiert. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt eine Regelung finden konnten, die endlich einen würdigen Umgang ermöglicht mit diesen >Sternenkindern<, wie viele Eltern sie nennen. Die Neuregelung sieht vor, dass Eltern ihr totes Kind beim Standesamt namentlich anmelden können. Sie können ihm damit offiziell eine Existenz geben und erhalten einen Raum, um Abschied zu nehmen und als Familien wahrgenommen zu werden. Mir war es wichtig, dass die neue Regelung rückwirkend auch für Mütter und Väter gilt, die diesen schweren Schicksalsschlag bereits erleiden mussten.’

      Aus diesem Anlass traf sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder [… ] mit den Eheleuten Martin, mit deren Schicksal und ganz persönlichem Einsatz dieser neue Umgang mit den so genannten ‚Sternenkindern’ besonders eng verbunden ist.“34

      Die Initiative von vielen – von Ärzt/inn/en, Eltern und Kirchen und Politiker/inne/n – hat dazu beigetragen, dass es jetzt in Deutschland eine offizielle Regelung gibt, die eine adäquate Begleitung von trauernden Eltern und auch die Bestattung dieser Kinder ermöglicht.

      Auch die kirchliche Sicht darauf, ab wann ein Kind ein Kind ist, hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und verändert35. Heute ist es für die offizielle katholische Lehre klar, dass ab Befruchtung der Eizelle ein Kind ein Kind ist:

      „Das menschliche Leben ist vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. Schon im ersten Augenblick seines Daseins sind dem menschlichen Wesen die Rechte der Person zuzuerkennen, darunter das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben.“36

      Kirchliche und medizinische Einrichtungen reagierten in der Vergangenheit avantgardistisch auf Sorgen, Nöte und die Liebe von Eltern und Großeltern. So entstanden z.B. die Bestattungsmöglichkeit für totgeborene Kinder unter 500 g in Göttingen durch die Initiative einer katholischen Pfarrgemeinde, der evangelisch–lutherischen Kirchengemeinde St. Petri/Weende und eines Chefarztes einer gynäkologischen Abteilung des katholischen Krankenhauses in Göttingen als Reaktion auf die Frage eines Großvaters, wo denn jetzt sein Enkel bestattet werden würde. So haben sich das Weinen und die Trauer von Menschen mit dem Handeln der Kirche verbunden. Es ist ein Ort entstanden, in dem die Themen Gotteskindschaft und Wert eines jeden Menschen bei Gott konkret erfahrbar werden.

      Die Frage nach dem Beginn des Menschseins wird von den betroffenen Müttern zumeist klar beantwortet, in dem diese Eltern von ihren Kindern sprechen. Denn die Frage, was es ist, was da in ihrem Leib heranwächst, ob es schon Leben ist, ob es ein Mensch ist, ob es ein eigenständiger Mensch ist, oder er das erst durch seine Geburt wird, sind Fragen, die diese Frauen einfach damit beantworten, dass sie ihren Kindern Namen geben, dass sie mit ihnen sprechen, dass sie für sie einzigartige Personen sind, die es so nie wiedergeben wird. Der Moment der Menschwerdung, den die meisten Frauen benennen, ist der Moment, wenn sie den Herzschlag auf dem Monitor des Ultraschallgerätes sehen.

      Der Moment der Menschwerdung wird sehr unterschiedlich beurteilt: Zwischen den Überzeugungen „das war ja noch nichts“ und der Meinung der katholischen Theologie/Kirche37, die den Beginn des Lebens mit der Verschmelzung von Ei– und Samenzelle benennt, besteht eine maximale Spannweite. Mütter sind mit ihrer Wahrnehmung des Lebensbeginns, wenn sie das Herz auf dem Ultraschallbild schlagen sehen38, relativ nahe an der Überzeugung der katholischen Kirche.

      Ein Konfliktpunkt bei den Bestattungen ist immer wieder, ob die christlichen Akteure im Flyer, der auf die Bestattungen aufmerksam machen soll, benannt werden sollen oder nicht. Mitarbeiterinnen von Regenbogen39, dem Verein der die Bestattungen der Kinder unter 500g Geburtsgewicht in Göttingen organisiert, haben darauf hingewiesen, dass viele Mütter und Väter zwar eine Bestattung möchten oder eine „Gedenkfeier“40, dass sie aber durch die Mitarbeit christlicher Institutionen von der Teilnahme an der Bestattung abgeschreckt werden könnten.

      Dieser Konfliktpunkt ist ein echter, denn während die Menschen meistens nicht mehr christlich geprägt sind, bzw. eine bestimmte Form von Kirchlichkeit ablehnen und hier keinen Trost mehr erwarten, gibt es auf der anderen Seite ein echtes Engagement seitens der Kirchen für diese Menschen. So besteht seit dem II. Vatikanum die Möglichkeit der Bestattung ungetaufter Kinder41. Es gibt die evangelisch–lutherische Kirchengemeinde St. Petri, die ihren Friedhof für diese Bestattungen kostenlos zur Verfügung stellt und die Klinikseelsorge der Universitätsmedizin Göttingen, die sich hier seit Jahren hilfreich eingebracht hat. Die Gefahr gekränkter Kirchlichkeit ist natürlich gegeben, wenn Kirche zwar die Bestattungen macht, aber in den Flyern nicht auftauchen soll, aber eigentlich geht es um eine andere Frage: Wie ist es möglich, Eltern so beizustehen, dass es ihnen hilft, dass es sie tröstet – und zwar ohne auf der eigenen Position als Machtort zu beharren? Gibt es nicht doch einen Mehrwert des Christlichen, der diese Eltern auf ihrem Trauerweg unterstützen kann?

      Wie geht es, in dieser Welt heute in Norddeutschland als Kirche aufzutreten? Das Beharren auf alten Bastionen ist eine Möglichkeit, die sich bei genauerem Nachdenken verbietet. Sollten wir uns dann verstecken? Uns nicht mehr öffentlich als Christ/inn/en bekennen und nur noch unsere seelsorglichen Fähigkeiten, die alle gesprächspsychologisch geschult sind, zur Verfügung stellen, obwohl wir wissen, dass reine Gesprächspsychologie nicht ausreicht? Sollten wir uns in der Öffentlichkeit gleich ganz abschaffen, weil nur noch das „Produkt light“ geht, aber nicht mehr der Habitus oder gar der Inhalt unserer Sendung? Geht es hier vielleicht sogar um noch mehr? Soll an dieser Stelle nicht mehr von Gott geredet werden? Sollen wir von ihm schweigen? Von ihm, den wir sowieso nicht in den Händen haben? Vor dem Menschen Angst haben, weil sie der Auffassung sind, dass er ihnen das Kind genommen hat? Sollten wir einfach die ganze christliche Theologie sein lassen in unserer säkularisierten Welt, statt immer noch darauf zu beharren, dass wir etwas zu sagen hätten von unserem Gott, von dem wir aber selbst angesichts des Unglücks, das diese Menschen übermächtigt hat, verstummen? Sollten wir nicht gleich mit Gott verstummen?

      Sowohl das Verstummen als auch die Gesprächspsychologie helfen nicht ausreichend weiter. Deshalb frage ich mich: Wie komme ich in einer Welt, die sich selbst als säkular im Sinne von Taylor42 versteht, zu Wort: Was sind die Bedingungen der Möglichkeit für Theologie und Kirche? Und wie habe ich darin umzugehen?43

      Die Pränataldiagnostik macht es heute möglich, schon im Mutterleib zu erkennen, ob ein Kind krank ist oder nicht, ob es behindert ist oder nicht. Inzwischen gibt es

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