Geist & Leben 3/2016. Christoph Benke

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Geist & Leben 3/2016 - Christoph Benke

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       Barmherzigkeit allein reicht nicht?

      In seiner Verkündigungsbulle Misericordiae vultus hat Papst Franziskus eines seiner wichtigen Anliegen – die Barmherzigkeit – in den Mittelpunkt eines außerordentlichen Jubiläumsjahres gerückt: die Kirche soll zu einem Raum der Barmherzigkeit werden. Der Papst ist überzeugt davon, dass das biblisch-christliche Gottesbild nicht auf die Gerechtigkeit als Eigenschaft Gottes beschränkt bleiben darf, ohne in einen Anthropomorphismus zu verfallen: „Wenn Gott bei der Gerechtigkeit stehen bliebe, dann wäre er nicht mehr Gott, sondern vielmehr wie die Menschen, die die Beachtung des Gesetzes einfordern. Die Gerechtigkeit genügt nicht und die Erfahrung lehrt uns, dass, wer nur an sie appelliert, Gefahr läuft, sie zu zerstören“1. Wie eine Antithese zu dem Papst-Wort „Gerechtigkeit genügt nicht“ mutet ein Interview an, das der renommierte Sozialethiker Friedhelm Hengsbach gegeben hat: „Barmherzigkeit allein reicht nicht“2. Für Hengsbach hat sich die Kirche in eine Sackgasse manövriert, insofern sie an verpflichtenden Normen wie der Unauflöslichkeit der Ehe unbeirrbar festhält. Gegenüber diesen normativen Ordnungen sei es ungenügend, mit der Barmherzigkeit zu operieren. Die Barmherzigkeit wäre eine Art „Hintertür“. Man befinde sich hinsichtlich vieler Fragen kirchlicher Ehe- und Sexualmoral in einer unlösbaren Situation, kaschiere diese aber, indem man sich auf die Barmherzigkeit Gottes berufe. Für Hengsbach reicht es nicht, auf der persönlich-individuellen Ebene Barmherzigkeit walten zu lassen. Vielmehr müsse sich die Kirche eine gerechtere Ordnung geben: „Barmherzigkeit ist eine persönliche Einstellung, Gerechtigkeit aber ist eine Ordnung“.

      Einige Punkte in diesen Äußerungen scheinen mir missverständlich zu sein: So muss differenziert werden zwischen der sakramentalen Ehe und ihrem unauflöslichen Charakter einerseits und andererseits dem kirchlichen Umgang mit der Realität des Scheiterns von christlichen Ehen, die in bester Absicht vollzogen wurden. Kann ein solches Scheitern allein mit rechtlichen Kategorien bewältigt werden oder bedarf es dazu einer Dimension, die die Gerechtigkeit umfasst?; einer Dimension, die die Möglichkeit der Umkehr und eines neuen Anfangs einräumt – die der Barmherzigkeit? Auch scheint mir die starke Entgegensetzung einer persönlich-individuellen Ebene des barmherzigen Verhaltens und der gesellschaftlich-strukturellen Ebene der Gerechtigkeit nicht treffend zu sein. Kann (und muss) nicht gerade die Barmherzigkeit dazu führen, dass auch kirchliche Norm und Disziplin modifiziert werden? Trotz dieser Einwände sind Hengsbachs Überlegungen bedeutsam, weil sie darauf aufmerksam machen, wie Barmherzigkeit nicht zu denken ist: Die Frage nach der Barmherzigkeit darf nicht als ein „Trick“ verstanden werden, mit dem man die (unbarmherzige) Rechtsordnung umgeht. Eine bloße Nachsichtigkeit würde den/die „Empfänger(in)“ demütigen und seiner/ihrer Würde berauben. Im Sinne einer Lohn- und Strafgerechtigkeit würde ihm/ihr einfach nur erlassen, was er/sie eigentlich doch verdient hätte. Barmherzigkeit wäre ein rein asymmetrisches Verhältnis zwischen „Empfänger“ und „Geber“ der Barmherzigkeit und hätte schwerwiegende Konsequenzen für das Gottesbild. Der barmherzige Gott könnte sich eigentlich auch ganz anders gegenüber dem Geschöpf verhalten, verzichtet aus unerfindlichen Gründen jedoch darauf.

      Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Dives in misericordia3 Hinweise zu einem differenzierten Verständnis von Barmherzigkeit gegeben. Ausgangspunkt ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auch wenn die Begriffe Barmherzigkeit und Gerechtigkeit nicht explizit genannt werden, wird eine Situation beschrieben, in der der jüngere Sohn keine Ansprüche mehr an den Vater stellen kann, die der Gerechtigkeit entsprechen. Dennoch bleibt der Vater sich und seiner Vaterschaft treu. Der Vater bleibt Vater und der Sohn bleibt Sohn. Die Freude des Vaters „weist auf ein unverletztes Gut hin: ein Sohn hört nie auf, in Wahrheit Sohn seines Vaters zu sein, selbst dann nicht, wenn er sich von ihm trennt“. Barmherzigkeit stellt kein Verhältnis der Ungleichheit dar. Sie demütigt den Menschen nicht, weil sie „auf der gemeinsamen Erfahrung jenes Gutes beruht, das der Mensch ist, auf der gemeinsamen Erfahrung der ihm eigenen Würde“. Barmherzigkeit besteht in der Anerkennung der Würde des anderen Menschen. Die Sorge um die Würde des Anderen verpflichtet den barmherzigen Vater, – sie verpflichtet auch die Kirche und jeden einzelnen Christen.

      1 Misericordiae vultus. Verkündigungsbulle von Papst Franziskus zum Außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 200), Bonn 2015, Nr. 21.

      2 F. Hengsbach, Barmherzigkeit allein reicht nicht: http://www.rp-online.de/kultur/barmherzigkeitallein-reicht-nicht-aid-1.5690529 (Stand: 14.04.16).

      3 Enzyklika Dives in Misericordia von Papst Johannes Paul II. (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 26). Bonn 1980, Nr. 6.

       Josef Thorer SJ | Innsbruck

      geb. 1948, Spiritual im Internationalen Theologischen Kolleg Canisianum in Innsbruck

       [email protected]

       Gott oder Gottes Willen finden?

      Gott suchen und finden1, dieses Anliegen ist ein Gemeingut christlicher Spiritualität.2 Es wird aber in besonderer Weise mit Ignatius von Loyola verbunden. Das mag daran liegen, dass es nicht nur eine Maxime seines Lebens war. Er hat einen Übungsweg für andere – die Exerzitien – vorgelegt und dieses Anliegen dem von ihm und seinen ersten Gefährten gegründeten Jesuitenorden zur Aufgabe gemacht. Er war überzeugt, dass Gott nicht nur in Zeiten des Gebetes, sondern in allen Dingen und in allem Tun gefunden werden kann.

      Ignatius selbst bekennt in einem seiner letzten Lebensjahre einem Mitbruder gegenüber, er wachse „immer in der Andacht, das heißt in der Leichtigkeit, Gott zu finden, und jetzt mehr als in seinem ganzen Leben. Und jedesmal und zu jeder Stunde, dass er Gott finden wolle, finde er ihn“ (BP 99; GGJ 82)3. Von dieser Erfahrung her kann er die Ordensstudenten anweisen: „Sie können sich deshalb darin üben, die Gegenwart unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, wie im Umgang mit jemand, im Gehen, Sehen, Schmecken, Hören, Verstehen und in allem, was wir tun; denn es ist wahr, dass seine göttliche Majestät durch Gegenwart, Macht und Wesen in allen Dingen ist.“4 Indem sie dies tun, müssen sie nicht so lange Gebetszeiten halten, dass darunter ihre Aufgabe, das Studium, leidet.5 Ignatius sieht die Gefahr, dass durch eine bestimmte Weise des Gott-Suchens, nämlich durch lange Gebetszeiten, das Tun des Willens Gottes zu kurz kommt. In diesem Sinne reagiert er äußerst scharf gegenüber einem Vorstoß für längere Gebetszeiten.6 Viele seiner Briefe enden mit der Bitte, seine göttliche Majestät „möge uns ihre Gnade in Fülle geben, damit wir ihren höchsten Willen verspüren und ihn gänzlich erfüllen.“7

      Die Gegenwart Gottes zu erfassen suchen auf der einen Seite und den Willen Gottes erkennen und erfüllen wollen auf der anderen Seite, gehen offenbar nicht immer Hand in Hand, sondern können auch in einer Spannung zueinander stehen. Nach meinem Eindruck wird heute mehr das Finden der Gegenwart Gottes betont und weniger das Finden und Erfüllen seines Willens. Das mag u.a. damit zusammenhängen, dass oft zu leichtfertig etwas als Wille Gottes ausgegeben wird.8 So wurde beispielsweise mit den Worten „Gott will es!“ zu den Kreuzzügen aufgerufen. In jüngster Zeit erfahren wir von der vielfältigen Gewalt, die im Namen Allahs (des Allerbarmers) ausgeübt wird. Dennoch wird man das Erfahren von Gottes Gegenwart nicht von der Frage trennen können, was sich aus der Verbundenheit mit Ihm für die Lebensgestaltung ergibt. Andernfalls würde man leicht bei einem unverbindlichen Gefühl stehen bleiben. Wo bzw. wie finde ich Gott? –

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