Geist & Leben 3/2016. Christoph Benke

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Geist & Leben 3/2016 - Christoph Benke

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Frömmigkeit nennen, die diskret und nüchtern genug ist, um Schamgrenzen wahrzunehmen und sie in einer dialektischen Spannung zu halten. Sie ist gleichsam die Kehrseite der Schamdialektik.

      Schwester Cristina Scuccia hat es offensichtlich bei The Voice of Italy geschafft, so meine ich, sensibel die Spannung zwischen Bekenntnis und gnadenoffenem Geheimnis zu halten.

      Nach welchen Kriterien aber lässt sich eine scheue Frömmigkeit bestimmen und definieren? In aller Kürze soll eine semiotische Kriteriologie angedeutet werden, die beschreibt, wie es gelingen kann, eine Beziehung in dem beschriebenen Spannungsverhältnis herzustellen.

      Ein kriteriologischer Schlüssel für eine scheue Frömmigkeit, die in einem Beziehungsverhältnis zwischen innen und außen steht, zwischen Bekennen und Verbergen, zwischen Anspruch und Demut, bietet der amerikanische Pragmatismus, speziell Charles Sanders Pierce. Pierce sucht nach einem Zeichen, das in einer Beziehung zum Innen und zum Außen steht, ohne dass das eine über dem anderen steht oder das eine sich im anderen auflöst. Das gesuchte Zeichen, die Ausdrucksform für eine scheue Frömmigkeit also, muss nach dieser Kriteriologie von Pierce eine Beziehung haben zum Sich-Zeigen und Sich-Verbergen, zum Bekenntnis und zum Geheimnis. Eine religiöse Feierform oder eine Artikulation von Frömmigkeit müssen somit beides aufweisen können: sie müssen so viel Bekenntnis zeigen, dass es die Schamgrenze im entsprechenden Kontext nicht überschreitet, also passt, und das Geheimnis muss so erkennbar sein, dass das Bekenntnis darin noch resoniert, also passt. Innen und außen, das Bekenntnis und das Geheimnis passen dann im Zeichen, in der passenden Ausdrucksform, zueinander.

       Taizé als Beispiel einer scheuen Frömmigkeit

      Ein Praxisbeispiel, dem es gelingt, mit Scham in der religiösen Praxis sensibel umzugehen, ist die Glaubensgemeinschaft von Taizé. Dieser Ort wird zum Zeichen, das die Schamdialektik von Bekennen und Verbergen in einer passenden Beziehung erlebbar macht. Es ist ein Ort scheuer Frömmigkeit, das die religiöse Schamgrenze nicht überschreitet.

      Der ausgeprägt meditative Ansatz des Ortes und der Gebetszeiten in Taizé ist ein Erfolgsrezept, das seit über 50 Jahren Menschen aller Altersschichten anspricht. Unterschiedliche Formen von Frömmigkeit können sich in der Taizéspiritualität wiederfinden. Es gibt die Möglichkeit der eucharistischen Anbetung oder der Kreuzverehrung, des meditativen Gebetes oder der Eucharistiefeier, des Mitsingens oder des Mithörens, des Bibel- und Glaubensgesprächs oder des Schweigens. Allein diese Formen ermöglichen mal ein stärkeres Bekennen und dann wieder ein stärkeres Verbergen. Offenbar gelingt es an diesem Ort, eine gute Balance zwischen objektiv und subjektiv, zwischen Sich-Zeigen und Sich-Verbergen zu schaffen, ohne die religiöse Schamgrenze zu überschreiten, ohne religiös übergriffig zu werden. Taizé ist wohl ein Zeichen der Zeit, das in einer lebendigen Beziehungskonstellation zur persönlichen Religiosität im Innen und dem Angebot, dem Raum im Außen ermöglicht.

      Diese Spannung zu halten gelingt sowohl bei den Gebetszeiten als auch bei den Bibeltreffen. Durch eine Elementarisierung von Gebet und Lied schafft die Taizéliturgie einen offenen Raum, in dem jede(r) sich aktiver oder weniger aktiv, bekennender oder verschämter einbringen kann. Man kann weiter vorne in der Kirche oder weiter hinten sitzen, man kann schweigen oder mitbeten, die Augen öffnen oder schließen. Es gibt Möglichkeiten zu Symbolhandlungen, die aber nicht verpflichtend sind und die auch keine Exklusion nach sich ziehen. Beispielsweise kann man freitags zur Kreuzverehrung zum Kreuz gehen, es berühren oder den Kopf darauf legen. Oder in der samstäglichen Auferstehungsfeier werden Kerzen verteilt, die später entzündet werden, in absoluter Freiwilligkeit.

      Auch bei den Bibelgesprächen ist es möglich, sich einzubringen oder auch nicht. Es gibt sogar Ausweichräume an einem benachbarten See oder in der Kirche. Sowohl in den aktiven bekennenden Katechesen durch die Brüder als auch in den Gebetszeiten ist eine scheue Frömmigkeit zu finden, die eher zurückhaltend ist und sich nicht aufdrängt. Der Ort ist von einer gläubigen Selbstgewissheit tiefen Vertrauens geprägt, der die religiöse Schamgrenze jederzeit einhält. Diese Selbstgewissheit wird dort stärker gelebt als verbal zum Ausdruck gebracht.

      Simone Weil bringt in einem Gedicht zur Auferstehungshoffnung auf den Punkt, was mit scheuer Frömmigkeit gemeint ist: „Als die Pforte sich auftat, ließ sie so große Stille hindurch, // Dass kein Garten erschien und auch keine Blume;/ Nur der unendliche Raum aus Leere und Licht.“19 Scheue Frömmigkeit braucht also die Dialektik aus beidem: aus Leere und Licht.

      1 Mit diesem Beziehungszusammenhang setzt sich erstmals K. Fechtner auseinander, auf den ich mich im Folgenden immer wieder beziehen werde, vgl. ders., Diskretes Christentum. Religion und Scham. Gütersloh 2015.

      2 M. Hecht, Oh, ist das peinlich!, in: Psychologie heute 02/2009, 1.

      3 Ebd., 1.

      4 K. Fechtner, Diskretes Christentum, 18 [s. Anm. 1].

      5 L. Wurmser, Die Maske der Scham. Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. Eschborn 2010, 305.

      6 Ebd.

      7 K. Fechtner, Diskretes Christentum, 22 [s. Anm. 1].

      8 Ebd., 23.

      9 Ebd., 25.

      10 Ebd., 27.

      11 Vgl. ebd., 27f.

      12 Ebd., 28.

      13 Vgl. T. Halik, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute. Freiburg i.Br. u.a. 720 1 4, 90ff.

      14 K. Fechtner, Diskretes Christentum, 30 [s. Anm. 1].

      15 O. Fuchs, Gewaltanfälligkeiten im Gottesglauben. Einige Aspekte zur Ent-Zwingung des Glaubens, in: ThQ 191 (2011), 258.

      16 Ebd., 44.

      17 Ebd., 46.

      18 Ebd., 48.

      19 S. Weil, Cahiers. Aufzeichnungen. München 1991.

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