Geist & Leben 3/2016. Christoph Benke

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Geist & Leben 3/2016 - Christoph Benke

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bei den Distanzierten oder den Suchenden oder den Neugierigen gibt es diese Scheu oder Nüchternheit, sondern gerade auch bei den tief Verwurzelten im Inneren der Kirche. Glaube ist mehr als katechetisches Wissen und bildet sich in der eigenen Subjektwerdung als persönliche Erfahrung, die gerade in ihrer Emotionalität nicht zu fassen ist, sondern in einer geheimnisvollen Distanz steht. Diese sehr persönliche Erfahrung des Glaubens, des Entdeckthabens des Heiligen, ist etwas emotional Zerbrechliches, das viele nicht vor sich hertragen und nur im geschützten Rahmen artikulieren möchten. Daher meine ich, dass verschämtes Christentum im Bezug auf eine „scheue Frömmigkeit“ einen geschützten Raum und Respekt in der religiösen Praxis braucht, um die religiöse Schamgrenze persönlich ziehen zu können. Kirchenräume bieten dazu häufig einen Entscheidungsspielraum, der Distanz für Scheue im Rückraum hinter Säulen oder Nähe exponiert in den vorderen Bänken bietet.

      Im Gegensatz zu dieser „scheuen Frömmigkeit“ steht der biblische Missionsauftrag, Bekenntnis für den Glauben in aller Welt abzulegen und dieser Auftrag scheint ein Kontrast zu dem persönlich Heiligen zu sein, das nach einem Schutzraum ruft. Lässt sich im Rahmen des Missionsauftrags die „scheue Frömmigkeit“ halten oder braucht es zu einem verschämten Christentum auch ein bekennendes Christentum und in welcher Beziehung könnten sie zueinander stehen?

       Bekennendes Christentum

      Zweifellos kann der Glaube auch implizit bezeugt werden, indem das eigene Leben ihn erfahrbar macht und ihn so bezeugt. Im Zeugnis wird Glaube kommuniziert und bekannt. Der Glaube wird nach außen hin bekannt gemacht – im Sinne eines Zeugen. Ein implizites Zeugnis kann dann dazu führen, dass man zum Bekenntnis herausgefordert wird und dafür Zeugnis ablegt. Deutlicher als das implizite Zeugnis ist das Bekenntnis, durch das der Glaube nachdrücklich bezeugt wird. Bekennen meint eingestehen und zugeben. Das Bekenntnis ist unmissverständlich. Im Mittelalter wurde der Begriff „bekennen“ im Sinne von „bekanntmachen“ genutzt. Bekennendes Christentum meint hier das explizite Zeugnis und Bekanntmachen des Glaubens.

      Diesem Auftrag fühlen sich v.a. viele Freikirchen, charismatische Erneuerungsgruppen und neue geistliche Bewegungen verpflichtet. Dabei spielt das persönliche Zeugnis eine wichtige Rolle, das vor einer großen Gruppe in der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Das Zeugnis erzählt meist von einer persönlichen Glaubenserfahrung, die das Leben des Gläubigen verändert hat. Ein weiteres Kennzeichen ist das öffentliche, freie Gebet, das normalerweise an Christus gerichtet ist. Markant schließlich ist die emotionale Musik der Lobpreislieder, dem Worship. Die Lieder sind sehr eingängig, gehen unter die Haut und beinhalten kurze, klare Glaubensbotschaften. Diese Art der Frömmigkeit zieht Menschen aus einem großen Umkreis zusammen. Die Antworten auf Fragen des Lebens und des Glaubens sind meist sehr kompakt und in ihrer Komplexität vereinfacht.

      Dadurch entsteht allerdings die Gefahr, eine Glaubensdialektik von Gottesnähe und Gottesferne, von Glaube und Zweifel aufzulösen; und eine zweite Gefahr: Das Glaubenszeugnis führt oft zu einer dualistischen Exklusion. Die einen haben Jesus für ihr Leben entdeckt und sind gerettet. Die anderen stehen außerhalb des Glaubens und verspielen anscheinend ihr Leben, ihre Rettung durch Jesus. Ihnen wird allerdings die Hoffnung gemacht, dass durch Gebet und Bibellektüre, also durch spirituelle Übungen, auch sie noch im Glauben wachsen können. Damit wird die Liebe Jesu von ihrer spirituellen Leistung und ihrem Bekenntnis abhängig gemacht. Gnadentheologisch ist dieser Aspekt bedenklich, da die Bibel Gott unterstellt, „dass er mit Gewalt und Zwang nichts bei den Menschen erreichen kann. Bis dass er in der Perspektive des leidenden Gottesknechtes bzw. des Jesus am Kreuz völlig auf jede Art von zwingender Herrschaft verzichtet, um so den Menschen etwas zu schenken, was sie zwischenmenschlich in dieser radikalen Bedingungslosigkeit kaum erfahren können.“15

      Expressives Bekenntnis steht in der Versuchung, Zweifler, Suchende und Fragende zu exkludieren, da ihre Frömmigkeit noch zu scheu ist, sie in ihrem Glauben noch nicht genug gefestigt sind oder noch nicht die entsprechende Leistung bringen. Der/Die Nicht-Gläubige fühlt sich angesichts des ungenügenden Glaubens verschämt. Bei ihm/ihr ist noch mehr verborgen als das, was er/sie von seinem/ihren Glauben zeigen möchte oder kann. Bekenntnis kann dann leicht mit Machbarkeit des Glaubens verwechselt werden, der durch entsprechendes Gebet und Lobpreis erreicht werden kann, aber gerade in seiner scheinbaren Machbarkeit Druck und Schamgefühle auslöst.

      Aber auch der bekennende Christ selbst kommt unter Druck und tarnt eventuell eigenes Schamgefühl durch expressives Bekenntnis. Eigene Unzulänglichkeit und eigener Zweifel, die als Scham erlebt werden, da sie in diesem bekennenden Kontext nicht vorgesehen sind, stauen sich unter der Oberfläche. Neben der personalen Exklusion findet sich also noch ein weiterer prekärer Exklusionsbereich: die Leidexklusion. Im Lobpreis wird v.a. der Dank- und Lobaspekt der menschlichen Wirklichkeit abgebildet. Der Leid- und Theodizeeaspekt findet so gut wie keine Beachtung. Die Klageperspektive gerade jüdischer Tradition wird durch das Lob überblendet und somit ein Teil menschlicher Realität ausgeklammert. Auch diese Exklusion führt zu einem Schamgefühl. Denn durch die Ausblendung von Leid oder erlittenem Leid wird Gott mit dieser Seite nicht mehr in Beziehung gebracht, sondern Leid wird auf persönliche Schuld reduziert. Diese Reduktion unterdrückt eine Klageexpression und gibt dem/der Betroffenen das Gefühl nicht gläubig genug zu sein, bzw. mit Gott nicht mehr in Beziehung zu stehen. Diese Erfahrung wird dann oft als Scham erlebt.

      Die große Versuchung expressiven Bekenntnisses ist die Exklusion von Nicht-Gläubigen und Gläubigen und darüber hinaus von Teilen der Lebenswirklichkeit. Die dialektische Spannung zwischen Glaube und Glaubensüberzeugung auf der einen Seite und der zweifelnden Lebenswirklichkeit auf der anderen Seite wird nicht standgehalten. Im Rekurs auf das verschämte Christentum stelle ich die Hypothese auf, dass Glaubenskommunikation oder religiöse Praxis im Allgemeinen zur Exklusion neigt, wenn eine Schamgrenze überschritten wird und die Spannung zwischen Sich-Zeigen und Sich-Verbergen nicht ausreichend Platz bekommt. Daher stellt sich am Ende nicht mehr die Frage, ob unsere Zeit ein verschämtes oder ein bekennendes Christentum braucht, sondern ob in der religiösen Praxis eine Schamgrenze in der Dialektik zwischen Sich-Zeigen und Sich-Verbergen als Intimitätsschutz des Glaubens ausreichend Raum findet. Scheue Frömmigkeit wäre dann ein Konstitutivum für beide.

       Sensibler Umgang im Kontext religiöser Praxis

      Ob sich Menschen in einer scheuen oder in einer bekennenden Frömmigkeit wohlfühlen, sie als ansprechend erfahren und dann auf sie zugreifen, wird auch von ihrem sensiblen Umgang mit der Schamgrenze der Menschen abhängen. Die Haltung einer scham-dialektischen Spannung wurde bereits angedeutet. Die Voraussetzung dafür könnte sein, dass Scham die Intimität schützt und behütet, wie die Philosophin K. Meyer-Drawe konstatiert. Dabei soll eine kurze Darstellung einer dreifachen Entfaltung von Scham hilfreich sein, um die dialektische Wendung einer scheuen Frömmigkeit bestimmen zu können: Scham drückt sich zum Ersten körperlich aus. Man ist der Scham also ausgesetzt und erleidet sie gleichsam. „Scham ist erstens ein negatives Selbstverhältnis. Sie entzündet sich daran, dass ich mich als schwach oder mangelhaft empfinde.“16 Scham ist zweitens als Selbstverhältnis immer ein Beziehungsgeschehen, gesehen zu werden und hoffentlich nicht gesehen zu werden. Durch Scham könnte ans Licht treten, was ich immer schon bin. „Scham entsteht demnach im sozialen Akt des Blickens und des Angesehenwerdens.“17 Durch Scham wird drittens eine private Sphäre geschaffen. In diesen Bereich haben andere keinen Zutritt: So will ich nicht gesehen werden, das will ich nicht von mir preisgeben. Insofern verbirgt sich in der Scham drittens ein unveräußerliches Wertgefühl. Scham äußert sich also immer in einer Doppelbewegung: „Sie ist ein Sich-Zeigen und ein Sich-Verbergen (…) Zwischen beiden Polen hat sich auch eine schamsensible Erkundung gegenwärtiger kirchlicher Praxis zu bewegen.“18

      In der Beschreibung einer Doppelbewegung, in der sich Scham zeigt, wird eine religiöse Schamdialektik eröffnet, die eine neue und besondere Beachtung erfordert. In ihrer Grundbewegung findet sie sich in der Spannung, etwas von seinem Glauben zu zeigen, ihn aber auch zu verbergen, ihn nicht sagen zu können oder ihn geheimnisvoll zu erleben. Es

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