Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs. Christian Lutz

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Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs - Christian Lutz Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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      Eine weitere große theologische Auseinandersetzung mit der Firmung ist die Habilitationsschrift von Patrik C. Höring, die im Jahr 2011 veröffentlicht wurde. In seiner religionspädagogischen Arbeit sucht er nach den „Möglichkeiten von Lernen und Lehren der beteiligten Subjekte“28 in der Firmung und verbindet dies mit der pastoraltheologischen Sichtweise, die für ihn „die Firmung als Sakrament und seine Feier im Kontext und aus der Perspektive der Gemeindetheologie“29 reflektiert. Darüber hinaus möchte er mit Liturgiewissenschaftlern über die Feier der Firmung und der Dogmatik über das Verständnis des Sakramentes in ein Gespräch kommen und auf der Grundlage der theologischen Analyse verschiedener Praxiskonzepte, Hinweise für die Vorbereitung und die Feier der Firmung geben. Eine größere pastoraltheologische Arbeit zur Firmung aus den letzten Jahrzehnten ist mir nicht bekannt.

      In der vorliegenden pastoraltheologischen Arbeit wird die Kontextualität theologischer Forschung und der Glaubenspraxis der Kirche im Hinblick auf das Sakrament der Firmung bearbeitet. Das bedeutet, dass mit der kirchlichen Praxis „auch Lebenspraxis und Handlungsformen der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft“30 in den Blick genommen werden. Es geht damit um „die Praxis der Kirche in der Vielfalt ihrer institutionellen oder personalen Vollzugsformen, ohne sich den Blick auf andere Praxisformen zu verbieten“31. Dieser pastoraltheologische Charakter soll mittels einer interdisziplinären Zusammenschau eingelöst werden.

      Interdisziplinarität ist laut Norbert Mette gewährleistet, wenn verschiedene wissenschaftliche Disziplinen oder Forscher einen gemeinsamen Forschungsgegenstand bearbeiten, wobei keinem der wissenschaftlichen Zugänge eine untergeordnete Funktion zukommen darf. An der „Präzisierung der Fragestellung u. der Hypothesenbildung bis hin z. Interpretation der Ergebnisse“32 sind alle ausgewählten wissenschaftlichen Zugänge gemeinsam beteiligt33. Interdisziplinär zu arbeiten führt in der Theologie dazu, mittels nichttheologischer wissenschaftlicher Zugänge eine zeitgemäße Darlegung des christlichen Glaubens zu ermöglichen und um des Wohls der Menschen willen die befreienden Erinnerungen der Glaubenspraxis der Kirche in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen34. Die Entwicklung einer hierfür benötigten interdisziplinären Logik oder Methodologie bezeichnete Norbert Mette im Jahr 1996 noch als anfänglich35.

      Im Jahr 2010 veröffentlichte Johannes Först seine Habilitationsschrift, die sich mit einer theologischen Methodologie der Rezeption religionsbezogener Daten beschäftigte36. In dieser Arbeit wird eine sachgerechte pastoraltheologische Rezeption empirischer Religionsforschung vorgestellt. Johannes Först plädiert für eine indirekte empirische Theologie37: Wegen der Ausdifferenzierung verschiedener wissenschaftlicher Fächer und Disziplinen kommt es zu einer Pluralität der Wirklichkeitsdeutungen, so dass Lexemen wie Religion oder Glaube unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben wird. Somit verbietet sich eine direkte Relecture der Forschungsergebnisse empirischer Wissenschaften, neben den Ergebnissen muss der gesamte Forschungsprozess mit seiner jeweils eigenen Binnenlogik wahrgenommen werden38. Ergebnisse empirischer Wissenschaften können im theologischen Rezeptionsprozess anders interpretiert werden, weil der erkenntnistheoretische Standort der Theologie ein anderer ist und die Glaubensgeschichte der jüdisch-christlichen Tradition inkludiert, wodurch sich andersartige Handlungsperspektiven ergeben können, als sie empirische Wissenschaften zu Tage fördern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass empirische Wissenschaften Religion als sozial beobachtbares Phänomen bearbeiten, und daher von der Transzendentalität der Transzendenzerfahrung absehen. Die von der Theologie zu leistende Aufgabe besteht in der glaubensbezogenen Interpretation „der Daten empirischer Religionsforschung, in dem Sinne, sie als ‚Orte’ einer möglichen Vernehmbarkeit der Offenbarung zu deuten“39.

      Das bedeutet: Der Diskurs mit anderen Wissenschaften ist notwendig, um theologische Inhalte in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen und nicht anderen Wissenschaften gegenüber in Sprachlosigkeit zu verharren. Andere Wissenschaften können dazu beitragen, den rituellen Vollzug und den Kontext der Firmung besser zu verstehen und sie im Hinblick auf die pastorale Praxis besser zu situieren. Dabei muss in einer interdisziplinären Perspektive erstens die Forschungslogik anderer wissenschaftlicher Arbeiten dargestellt werden. Zweitens müssen Ergebnisse anderer Wissenschaften aus dem Blickwinkel der Theologie gegebenenfalls neu interpretiert werden, um das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und so weitere Optionen für die pastorale Praxis zu eröffnen. Und drittens werden die Ergebnisse anderer Wissenschaften als Orte einer möglichen Wahrnehmbarkeit der Offenbarung zu überprüfen sein, was potentiell zu einem besseren Verständnis der Firmung dient. Es gibt verschiedene Perspektiven, die für eine pastoraltheologische, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Firmung wichtig erscheinen wie interkulturelle, ikonographische, religionspsychologische oder sprachwissenschaftliche Fächer. In der Arbeit werden hierfür Ritualwissenschaften und empirische Sozialwissenschaften gewählt, weil somit die Lebenspraxis und Handlungsformen der Firmanden untersucht werden können.

      Die Ritualwissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst interdisziplinär angelegt sind40. Dadurch sind Wissenschaftler, die sich mit Ritualen beschäftigen, an den Verständigungsprozess mit anderen Wissenschaften gewohnt und darauf bedacht, von Wissenschaftlern aus anderen Fachgebieten rezipiert werden zu können. In den Anfängen der Ritualwissenschaft wurde die Frage nach Ritualen eng mit der Frage nach Religion oder Gottesdienst verbunden41 und in den letzten Jahrzehnten auf symbolische Handlungen allgemein ausgeweitet. Rituale werden nun verstanden als „lebensweltliche Scharniere, die durch ihren ethischen und ästhetischen Gehalt eine unhintergehbare Sicherheit in den Zeiten der Unübersichtlichkeit gewähren sollen“42. Die verschiedenen Theorien bieten eine Bandbreite an Optionen für eine umfangreiche Diskussion, auch in der Theologie. So plädiert der emeritierte Professor für Exegese des Alten Testaments an der Universität Paderborn, Bernhard Lang, für einen Paradigmenwechsel, da die Ritualtheorie neue Themen, neue Fragestellungen und neue Antworten in die Theologie einbringen kann43. Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann hat die Potentiale der Ritualwissenschaften für die Liturgiewissenschaft herausgestellt, sie „können nur zum Schaden der Liturgiewissenschaft ignoriert werden“44, allerdings „nicht auf Kosten der theologischen Linie des Faches“45. Im Bereich der systematischen Theologie haben Florian Uhl und Clemens Sedmak Rituale mittels der Perspektive des Symbols fruchtbar gemacht46.

      Für eine pastoraltheologische Rezeption von Ritualtheorien erscheint es sinnvoll, sowohl ältere Darstellungen zu wählen, die ein umfangreiches theoretisches Fundament zum Verständnis eines Rituals bieten, als auch neuere Ansätze zu untersuchen, die der Ausweitung des Verständnisses von Ritualen Rechnung tragen. Aus dem Bereich der klassisch gewordenen Ritualtheorien sind dies die Ausführungen Victor Turners, Clifford Geertz’ und Mary Douglas’. Victor Turners berühmtes Werk hebt die kreative Kraft der Rituale hervor. Während Clifford Geertz in der Tradition Max Webers47 die integrative Valenz der Rituale auf die Gesellschaft darstellt, arbeitet Mary Douglas in der Tradition Émile Durkheims48 die integrative Valenz der Gesellschaft auf die Ritualteilnehmer heraus. Aus dem Bereich der Veröffentlichungen jüngeren Datums werden die Darstellungen von Catherine Bell und Ronald Grimes gewählt. Hierbei werden die integrative Valenz der Rituale für den Lebenskontext der Ritualteilnehmer und die transformative Valenz von Ritualen in den Mittelpunkt gestellt.

      Anders als die Ritualwissenschaften kann in der Pastoraltheologie auf eine lange Rezeptionsgeschichte empirischer, sozialwissenschaftlicher Arbeiten und Arbeitsweisen geblickt werden. Es wurde sogar die Forderung erhoben, die Praktische Theologie müsse selbst empirisch werden und durch eine empirische Methodologie erweitert werden. Johannes A. van der Ven hat dies als „Intradisziplinarität“49 gekennzeichnet. Die vorliegende Arbeit versteht sich interdisziplinär, indem sie empirische Arbeiten heranzieht und analysiert, um einen längeren Zeitraum zu überblicken und nicht nur zu punktuellen Einsichten zu kommen. Für eine interdisziplinäre pastoraltheologische Auseinandersetzung mit Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Arbeiten werden

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