Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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eine gesellschaftliche Ordnung zu entsprechen, für deren Rechtmäßigkeit das entscheidende Kriterium ist, dass den „Witwen, Waisen und Fremden“, also den in sozialer und rechtlicher Hinsicht besonders benachteiligten Gruppen die Mittel, die zu einem gedeihlichen Leben notwendig sind, zur Verfügung stehen.

      Dass die dazu getroffenen rechtlichen Regelungen nicht beachtet werden, dass im Gegenteil im eigenen Volk eine Praxis der Unterdrückung und Ausbeutung wieder Platz greift und damit in extremster Weise genau der Gott, der ihm zu seiner Existenz aus der ägyptischen Knechtschaft heraus verholfen hat, gelästert wird, wurde zum Anlass einer unerbittlichen Sozial- und Kultkritik seitens der Propheten. Dahinter steckt die Überzeugung, die sich dann mit der Vertreibung des Volkes ins Exil auf bittere Weise bewahrheitet: Wo keine Rücksicht mehr aufeinander genommen wird, wo die einen auf Kosten der anderen leben und nichts mehr davor zurückhält, ausschließlich den vermeintlich eigenen Vorteil zu betreiben, da kommt es langfristig zur Katastrophe. Da hilft es auf Dauer weder, seine eigene Habe so gut wie möglich zu versichern, noch, nach außen hin den modernsten Stand der Waffenrüstung demonstrieren zu können. Sondern wenn das ganze System in seiner inneren Substanz aufgezehrt ist, gibt es nichts mehr, was es vor dem Zerfall bewahren könnte. Sicherheit lässt sich auf der Grundlage ungerechter Verhältnisse nicht erzielen; sie kommt nur dort und in dem Maße zustande, wie an der Gerechtigkeit und in Gerechtigkeit gearbeitet wird – nach innen und nach außen. Übertroffen höchstens noch von der lyrischen Metapher in Ps 85,11, die Gerechtigkeit und Frieden sich küssen lässt, sind diese Zusammenhänge von Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit bei Jes 32,17 in einem Vers zusammengebracht: „Das Werk der Gerechtigkeit wird Frieden sein und die Arbeit an der Gerechtigkeit ruhige Sicherheit auf Dauer.“17

      Dieser so nachdrücklich betonte Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit zeigt an, dass sich das Friedensverständnis der Hebräischen Bibel nicht nur auf den Gegensatz zur Gewalt und zum Krieg als Manifestation des Nicht- oder Unfriedens beschränkt. Der dafür geprägte Begriff „Schalom“ beinhaltet eine viel umfassendere Sichtweise:

      „Schalom“, so erläutern Wolfgang Huber und Hans-Richard Reuter diesen Begriff in ihrer „Friedensethik“, „das hebräische Wort für Frieden, ist Ausdruck für ein umfassendes, den ganzen Menschen, seinen Leib, seine Seele, die Gemeinschaft, die Gruppe, die natürliche Mitwelt, ja alle Beziehungen, in denen er lebt, umgreifendes Heilsein und Wohlergehen. Wahrscheinlich geht das Substantiv schalom auf eine Wurzel mit der Grundbedeutung ‚genug haben‘ zurück (…) Schalom ist die Lebensform, in der alle Miteinanderlebenden ‚genug haben‘, zunächst im materiellen Sinn der Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse, sodann aber auch in der weiten, unterschiedliche Kommunikationsebenen berührenden Bedeutung, die auch im Deutschen mit der ‚Genüge‘ verbunden ist: jemandem Genüge tun, aber auch Genugtuung leisten, ja sogar: vergnügt sein.“18

      Schalom ist somit nicht vorrangig negativ zu bestimmen, als Gegensatz zu Krieg und Abwesenheit von Gewalt, sondern vielmehr positiv: „als Ganzheit, Wohl, Heil und Leben im umfassenden Sinn, sowohl das ewige wie das zeitliche einschließend, sowohl das Verhältnis zu Gott wie zu den Menschen, sowohl die Seele wie den Leib, sowohl den einzelnen wie die Gemeinschaft und die Völker“19.

      Im Grund liegt der Begriff Schalom allen solchen Differenzierungen, die leicht zu Dualismen werden, voraus. Er ist kein statischer abstrakter Begriff, der sich auf eine vorgegebene objektive Ordnung bezieht, sondern ein dynamischer, wirklichkeitsschaffender bzw. wirklichkeitsverändernder Begriff, „ein Wort, das selber stiftet, wofür es steht“. So ist etwa die Gruß- und Abschiedsformel „Schalom“ alles andere als eine routinemäßig gebrauchte Formel oder Floskel, sondern Ausdruck der tätigen Sorge des einen um das Wohlergehen des anderen und umgekehrt.

      Der tragende Grund für den Schalom ist jüdischem Glaube zufolge Gott, der ein Gott des Lebens ist und nicht des Todes; hat er doch die Unterdrückten und Rechtlosen aus ihrer Situation des Todes entrissen und zum Leben geführt; hat er doch die ganze Welt im Frieden und zum Frieden geschaffen. Es bedurfte allerdings eines langen Lernprozesses, bis man zu der Einsicht kam, dass dieser Gott wohl doch nicht der Kriegsherr ist, dass er vielmehr der ist, der „den Kriegen ein Ende setzt bis an die Grenzen der Erde“ (Ps 46,10) und der die Völker friedlich miteinander verbunden zum Berge Zion hin zusammenführt. Dort wird von ihm verheißen: „Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Nie mehr wird Volk gegen Volk das Schwert erheben, noch werden sie ferner das Kriegshandwerk lernen.“ (Jes 2,2-4; vgl. Mi 4,3f)

      Diese völlige Umkehrung des Gottesbildes kann nicht folgenlos für das Welt- und Menschenbild bleiben: In der Situation der größten Aussichtslosigkeit, dem Exil, kommt die Hoffnung auf einen dauerhaften und weltumspannenden Frieden auf. Er erwächst nicht aus der Fortdauer von Gewalt und Gegengewalt, von Sieger und Besiegten, von Herrschenden und Beherrschten, sondern aus einer eigentümlichen Kraft, die, weil sie nicht auf Macht und Stärke setzt, unbesiegbar ist, aus der Kraft des gewaltlosen und versöhnten Miteinanders. Unüberbietbar findet sich das in der Vision eines buchstäblich paradiesischen Friedens im 11. Kapitel des Jesajabuches ausgemalt:

      „Und der Wolf wird beim Lamm weilen,

      und die Raubkatze wird beim Zicklein liegen.

      Und Kalb, junger Löwe und Mastvieh sind beieinander,

      und ein junger Knabe leitet sie.

      Und Kuh und Bärin werden weiden,

      und ihre Jungen werden beieinander liegen,

      und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.

      Und der Säugling wird sich vergnügen an der Höhle der Viper,

      und zur Höhle der Otter streckt ein Kleinkind die Hand aus.“

      (Jes 11,6-8; Zürcher Bibel)

      Diese Vision des Propheten beinhaltet eine Vorstellung vom Frieden, der die Respektierung des Lebensrechtes aller Geschöpfe als oberstes Prinzip des Zusammenlebens zugrunde liegt und der zufolge ein Ende der Rivalität und Feindschaft dadurch erwirkt wird, dass die Feinde nicht bekämpft und getötet, sondern verwandelt werden.20

      Doch sind das nicht schöne Träume, denen jedoch anzuhangen angesichts der harten Tatsache der Gewalt, die in der Welt herrscht – das jüdische Volk hat sie im Laufe seiner Geschichte auf brutalste Weise erleiden müssen –, jeglichem vernünftigen Denken widerstreitet?

      „Das Judentum“, so fasst Eveline Goodman-Thau ihre in der Durchsicht der biblischen Texte und sie auslegenden rabbinischen Tradition gewonnene Einsicht zusammen, „hat sich, im Gegensatz zum Griechentum, nie das Ideal gesetzt, eine endgültige Antwort oder Wahrheit (hebr. Emet) zu finden. Die Rabbinen verfolgen das Ideal des Schaloms, eines Kompromisses zwischen einer Meinung und einer anderen. Das Suchen nach Kompromissen in allen Lebenssituationen führt erst zum wahrhaften Schalom, wo jeder Einzelne für die Wahrheit haftet.“21

      Sie schließt ihren Beitrag: „Das hebräische Wort für Mut ist ,Oz‘, und die Spannung zwischen Frieden und Krieg wird im Psalmenvers ‚(…) Gott gebe seinem Volk Mut und Gott segne sein Volk mit Schalom‘ (Ps 29,1), der in die Gebete Israels eingegangen ist, auf den Punkt gebracht. Oz und Schalom, Mut und Frieden, sind untrennbar miteinander verbunden und so gehört der Mut nicht zum Krieg, sondern zur mutigen Entscheidung des Menschen, Frieden zu wagen: auf den Krieg zu verzichten, um des Schalom willen.“22

      Wen zeichnet dieser Mut im heutigen Israel, so ist angesichts der höchst verzwickten Lage in Palästina zu fragen, stärker aus: die – wohl die Mehrheit ausmachenden – Teile der Bevölkerung, die sich allein durch die rigorose Sicherheitsdoktrin der Regierung geschützt fühlen, oder die Einzelnen,

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