Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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an anderer Stelle eingehender studiert worden ist.

      Dazu bietet sich der bekannteste Abschnitt des Neuen Testaments zu diesem Thema an, der Abschluss der jesuanischen Disputationsworte in der „Bergpredigt“ des Matthäusevangeliums (Mt 5). In einer sehr wörtlich gehaltenen Arbeitsübersetzung, die für Interpretationsprobleme sensibilisiert, Textakzente markiert und Ergebnisse der nachfolgenden Auslegung bereits integriert, lauten die beiden relevanten Abschnitte Mt 5,38-42 und 43-48:

      Mt 5 (Arbeitsübersetzung)

      38 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde:

      Auge gegen Auge und Zahn gegen Zahn.

      39 Ich hingegen sage euch,

      nicht gegen zu stellen dem Bösen;

      sondern jeder, der dich schlägt auf deine rechte Wange, wende ihm auch die andere zu.

      40 Und dem mit dir prozessieren

      und dein Untergewand nehmen Wollenden, lass ihm auch das Obergewand.

      41 Und jeder, der dich nötigen wird eine Meile, gehe mit ihm zwei.

      42 Dem dich Bittenden gib,

      und von dem von dir borgen Wollenden wende dich nicht ab.

      43 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde:

      Du sollst lieben deinen Nächsten,

      und du sollst hassen deinen Feind.

      44 Ich hingegen sage euch:

      Liebt eure Feinde

      und betet für die euch Verfolgenden,

      45 damit ihr Söhne eures Vaters in den Himmeln werdet, weil er seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte.

      46 Denn wenn ihr liebt die euch Liebenden, welchen Lohn habt ihr?

      Tun nicht auch die Zöllner dasselbe?

      47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was macht ihr Besonderes?

      Machen nicht auch die aus den Völkern dasselbe?

      48 Sein sollt ihr also ganzheitlich

      wie euer himmlischer Vater ganzheitlich ist.

      Anti-Thesen?

      Beide Abschnitte werden traditionell zu den „Antithesen/Gegensatzsprüchen“ der Bergpredigt gerechnet. Die auf das verloren gegangene Werk Markions († 160 n.Chr.) zurückgehende Überschrift des Teilabschnitts der Bergpredigt bot immer wieder bequeme Ansatzpunkte für simplifizierende Auffassungen des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament oder der Stellung Jesu zur Weisung vom Sinai. In der weitestreichenden Interpretation galt die „Antithesenreihe“ Mt 5,21-48 als jesuanische Zurückweisung der Tora vom Sinai. In dem unerhörten „ich aber“ aus dem Munde Jesu drücke sich das neue Ethos des souverän lehrenden Jesus aus. Erhellend ist ein Vergleich der Ausgaben des verbreiteten Kommentars „Das Neue Testament Deutsch“ von 1973 und der aktuellen Fassung von 2015. Eduard Schweizer schreibt 1973: „Unerhört ist hingegen die Formulierung ‚ich aber‘ mit stark betontem ‚ich‘, die Jesu Ich neben den durch die Formulierung ‚es ist gesagt worden‘ verhüllten Namen Gottes selbst setzt. Sie übertrifft alle sonst denkbaren messianischen Ansprüche, wobei auch der Zeitunterschied zwischen dem ‚es ist gesagt worden‘ und dem ‚ich sage‘, das jetzt und heute gilt, zu beachten ist. Sie wird auf Jesus zurückgehen; im Judentum ist sie unerhört und in der Gemeinde ist Jesu Gegensatz zum Gesetz entweder gemildert oder, bei Paulus, vom Kreuzestod her anders begründet worden, bis er schließlich überhaupt aus dem Gesichtsfeld verschwand.“1 Die Vorstellung eines „seine“ Lehre an die Stelle des Gottesgesetzes vom Sinai stellenden Jesus hält sich immer noch in vielen Köpfen und wird gerne bemüht, um die Botschaft Jesu vor einer schnell aufgebauten dunklen Folie zu profilieren; in der Forschung ist sie jedoch längst aufgegeben worden.

      Eine differenzierende Sicht, die in den letzten Jahrzehnten in der Bibelwissenschaft erarbeitet worden ist, bietet jetzt zusammenfassend Matthias Konradt in „Das Neue Testament Deutsch“ von 2015. Der Vergleich der im matthäischen Text zitierten Thesen mit den alttestamentlichen Bezugsstellen ergibt, „dass die Thesen ein Toraverständnis repräsentieren sollen, das die Gebote entweder nur buchstäblich auffasst oder ihre Bedeutung bzw. ihren Geltungsbereich durch Interpretation einschränkt“2. Es werden also in Thesen und Gegenthesen Interpretationen der Tora entgegenstellt, es geht nicht um die Zurückweisung der Sinaitora durch die vollmächtige Lehre Jesu.

      Konradt hebt aber eine weitere Nuancierung des Textes hervor, die in diesem Zusammenhang Beachtung verdient und zu einer sorgfältigen Lektüre insgesamt mahnt: „Merkwürdig wenig beachtet wird in der Diskussion, dass die antithetische Formel nicht ‚es ist (zu den Alten) gesagt worden, ich aber sage euch‘ lautet, sondern (…) ‚ihr habt gehört, dass…‘. ‚Es ist gesagt worden‘ steht parallel zur Einleitung der Erfüllungszitate (…), verweist also auf die hinter der Tora stehende Autorität Gottes; die Dekaloggebote sind in Ex 20 direkte Gottesrede. Die ‚Alten‘ sind entsprechend die Sinaigeneration. In dem einleitenden ‚ihr habt gehört‘ steckt aber eine Relativierung bzw. ein Verweis auf den (synagogalen) Prozess der Vermittlung der Toragebote: Euch hat man das so gesagt; ihr habt das in der Synagoge bei der sabbatlichen Toraauslegung so vernommen, dass zu den Alten gesagt wurde.“3

      Das ändert vor aller Einzelinterpretation den Blick auf die Thesenreihe grundsätzlich. „Die Antithesen stellen also nicht Jesu Wort über oder gegen das Wort der Tora, sondern Jesu Auslegung des in der Tora offenbarten Willens Gottes gegen die Auslegung von Schriftgelehrten und Pharisäern. Anzufügen ist, dass die Thesen keine historisch ohne Weiteres verwertbaren Quellen für das tatsächliche Gesetzesverständnis der Pharisäer sind. V. 20-48 ist vielmehr im Rahmen der (polemischen) Auseinandersetzung mit ihnen zu lesen, die das gesamte Evangelium wie ein roter Faden durchzieht.“4 Folglich sind „die Antithesen nicht torakritisch, sondern auslegungskritisch zu lesen“5. Diese Feststellung kann gar nicht überbewertet werden.

      „Auch die geläufige Rede von Gebotsverschärfungen trifft das mt [matthäische, G.St.] Verständnis insofern nicht präzise, als es für Matthäus nicht um Überbietungen der Gebote geht, sondern um Explikation ihres vollen und tieferen Bedeutungsgehalts.“6 Diesen von antijüdischen Klischees befreiten Ansatz hatte 2006 schon die „Bibel in gerechter Sprache“ in einer paraphrasierenden Übersetzung von Mt 5,21-48 aufgenommen und war damit vielfach auf Unverständnis gestoßen. Anstelle des immer missverstandenen „ich aber sage euch“ hatte diese Bibelausgabe die Wiedergabe „ich lege euch das heute so aus“7 gewählt und auf diese Weise die „Thesenreihe“ als fingierte Disputation verstanden.8

      Schwierigkeiten der Deutung

      Dass die Deutung der fünften These weitaus schwieriger ist als die Interpretation der sechsten, signalisieren schon die wechselnden Überschriften in Bibelausgaben, Kommentaren und Arbeitshilfen. Geht es um (das Verbot der) Vergeltung erfahrenen Unrechts, geht es – dramatischer formuliert – also um einen „Racheverzicht“? Oder geht es um etwas anderes, nämlich um den Verzicht auf Wiedergutmachung eines Schadens, also um das großzügige Aufgeben von legitimen und juristisch gemeinhin unproblematischen Schadensersatzansprüchen? Oder wird noch etwas ganz anderes gefordert, nämlich ein genereller Gewaltverzicht als christliche Grundhaltung im zwischenmenschlichen Bereich? Haben die Jünger/innen Jesu das Böse also einfach hinzunehmen? Wird

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