Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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ein viel dichterer Ausdruck der Nähe und des Zusammenwirkens als in unserer gewöhnlichen Vorstellung), andererseits steht der Knecht nun mit seinem Leib für Gottes Auftrag ein. Es geht nicht um eine Botschaft, eine Mitteilung, ein Programm. Der Knecht verkörpert Gottes Rettungseinsatz für Israel und für die Nationen; deshalb schlagen die Widerstände gleichsam auf seinen Körper durch.

      Der Knecht erfährt, dass er bestehen kann, „er wird nicht in Schande enden“ (Jes 50,7). Das ist schwer zu übersetzen: Er verliert nicht den Boden unter den Füßen, bleibt im Letzten er selbst. Hier versucht die Bibel eine Erfahrung zu erfassen, die alle Widerständler machen und die ihnen hilft zu bestehen. Es gibt eine Grenze der Gewalt, einen Punkt, an dem fremde zerstörerische Macht zerschellt; gemeint ist die Erfahrung einer Kraft, die allein die Treue zum Auftrag ermöglicht und das Weitergehen in letzter Konsequenz. Das ist kein Gesetz, immer nur eine stammelnd vorgetragene Erfahrung: ein Lichtfunke in einer wahnsinnigen Welt der Gewalt, der Punkt, an dem das Neue schon Wirklichkeit wird. Der zweite Teil des dritten Liedes drückt das in gewohnter Rechtssprache aus: Gott als Anwalt im Rechtsstreit, der nicht zulässt, dass das Recht unterliegt. Mit besonderem Nachdruck hält der Knecht fest, dass Gott ihm beisteht, wie in einem Refrain, der den zweiten Teil des Liedes gliedert: „Gott wird mir helfen“ – „der mich freispricht, ist nahe“ (vgl. Jes 50,7-9). Das ist die Weise, in der der Knecht dem Unrecht und der Gewalt begegnet. Er passt sich nicht den Mitteln seiner Gegner an. In einer Welt der Gewalt setzt er auf Gott als den Anwalt des Rechts.

      Alle Fäden laufen zusammen in jenem berühmten Lied im 53. Kapitel des Jesjabuches – und zusätzlich bietet das vierte Lied noch entscheidende neue Aspekte über den Knecht und seinen Weg, die Welt bis zu den „fernen Inseln“ nach Gottes Willen zu verändern. Dieses Lied setzt offenkundig den Tod des Gottesknechtes voraus, deshalb spricht hier nicht der Knecht. Gott verheißt dem Knecht eine große Zukunft. Der Tod ist nicht das letzte Wort. Davon sprechen die Rahmenteile des Textes. Die Hoffnung des Knechtes geht nicht ins Leere, Gott ist treu.

      Im Mittelteil des Textes (Jes 53,1-11) spricht eine nicht näher identifizierte Wir-Gruppe; sie ist zu einer revolutionären Erkenntnis gelangt. Im zweiten Teil des Mittelteils wird erzählt, was dieser Knecht erlitten und getan hat, wie die Menschen zu ihm standen und was Gott mit ihm vorhatte. Durch das Schicksal des Knechtes kommt die Wir-Gruppe zu einer neuen Erkenntnis, und zwar zu einer doppelten neuen Einsicht. Zum ersten geht ihr auf, wer der Knecht war und warum er gelitten hat, und zum zweiten sieht sie ein, wer sie war und was ihr Tun bewirkt hat – und wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Der getötete Knecht war Gottes Knecht, er vertrat die Sache Gottes und Gott stand auf seiner Seite. Die Wir-Gruppe hatte gemeint, Gott habe sich von ihm losgesagt und ihn mit Leiden bestraft. Die Verblendung der Wir-Gruppe wird noch weiter entlarvt: Die Gewalt, die den Knecht getroffen hat, war die Gewalt der Wir-Gruppe. Nicht Gott hat sich das Leiden „ausgedacht“, sondern das Leiden hat einen konkreten Verursacher. Hier wurde also die eigene Gewaltausübung auf Gott projiziert. Die Falschheit und Verlogenheit hat nun ein Ende. Es ist klar, woher die Gewalt kommt; und die Gewalttäter erkennen das an. Es ist diese Einsicht, die aus der Täuschung, vor allem auch der Selbsttäuschung herausführt. Darin liegt schon ein Gewinn, denn zur Gewalt gehört die Täuschung über die Ursachen und die Folgen, die Propaganda der Lüge.

      Aber die Veränderung der Wirklichkeit greift weiter aus. Deshalb folgt auf den Abschnitt über die Erkenntnis noch eine die ersten drei Lieder aufnehmende und deutende Erzählung über den Knecht. Er hat nämlich die Dynamik der Gewalt gebrochen. Oder vielleicht besser gesagt: An ihm ist diese Macht zerbrochen. Der Text sagt: „Er hat die Sünden getragen oder aufgehoben.“ (53,4) Die Gewalttäter werden nicht bestraft (das ist hier nicht das Thema), sondern herausgeführt aus dem „falschen Leben“.

      Der Schlüssel zum Gelingen dieser mehrfachen Rollenwechsel (der Geächtete ist und bleibt der Gerechte; die Wir-Gruppe durchschaut ihre Verblendung und ihr verbrecherisches Tun) verbirgt sich in einem Bild in Jes 53,7: das Lamm, das seinen Mund nicht auftut. In einem Text, der sich so weit vorwagt und sich einer der schwierigsten Fragen stellt, sind auch die Bilder gewagt. Das stumme Lamm ist nicht in gefährlich-naiver Weise „lammfromm“. Es ist das Gegenbild zu den anderen Tieren der Kleinviehherde, die „ihren je eigenen Weg“ (vgl. 53,6) gehen. Das stumme Lamm ist hier kein dummes Lamm; das Lamm steht als Doppelbild für die Treue zu Gott und für die Absage an die Gewalt. Der Gottesknecht bleibt bei Gott und übernimmt nicht das Verhalten der Gewalttäter. Er steht für das, was Gott will, und er hält aus, was Gott nicht will. In allem Versöhnungshandeln ist das die größte Herausforderung: sich der destruktiven Macht nicht anzugleichen, weil in dem Moment das schöpferisch Neue verspielt wäre. „Fügt euch nicht in das Schema dieser Welt“ (Röm 12,2), wird später Paulus fordern, nicht als Grundsatz eines fragwürdigen Entweltlichungsprogramms, sondern im Wissen darum, dass Gott das Neue will, kein Immer-wieder-und-immer-weiter-so in einer gottfernen Welt.

      Im Verfolgen der Spuren des Gottesknechts durch das Jesajabuch wird der biblische Weg der Versöhnung in einigen Grundzügen klarer. Gewaltlosigkeit ist kein ethisches Programm, das Menschen aus eigener Macht umsetzen können; sie ist nur theologisch möglich in einer Bindung an jenen Gott, der für den shalom „steht“, bei dem dies schon Wirklichkeit ist und der darin auch die Gewalttäter eingeschlossen hat, weil er sie nicht abschreibt: Deshalb kann die Wir-Gruppe nur erschüttert ausrufen: „Die Züchtigung war auf ihm, für unseren shalom!“ (Jes 53,5). Wie sollte ohne die Bindung an Gott im Handeln des Knechtes der Bruch mit dem Alten möglich sein? Für Jes 53 jedenfalls bricht sich an der Stelle, an der die Gewalt den Gottesknecht tödlich trifft, Gottes neue Schöpfung Bahn. Das kann man dann Stellvertretung nennen, obwohl diese Vorstellung möglicherweise viel zu statisch ist, um das Ringen, das Jes 53 abbilden will – in Reflexion und Erzählung –, auch nur annähernd einzufangen. Für die Wir-Gruppe (und schließlich die Vielen und die fernen Könige) ist die Welt neu geworden und der Knecht bleibt von Gott „behütet“.

      Die Welt ist besetzt vom „Mythos der erlösenden Gewalt“ („myth of redemptive violence“)24. Es ist der tief verwurzelte Glaube, dass nur über die tödliche Gewalt Sicherheit, Frieden und Heil zu gewinnen sind. Das Evangelium, die biblische Botschaft von Gottes Engagement für die Welt, erzählt dazu die große Gegengeschichte.25 Die Bibel erzählt von dem einen Gott, der über allem und allen steht, und vom Gutsein der ganzen Schöpfung. Es geht um Überwindung der Gewalt in der Schöpfung, aber nicht um Vernichtung eines Teils von Gottes guter Schöpfung. Paulus findet dafür in 2 Kor 12,9 eine einfache Formel von großer Eindringlichkeit: Gottes Macht kommt zu ihrem Ziel durch Schwachheit.

      1 Schweizer, Eduard, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2), Göttingen 1973 u.ö., 7.

      2 Konradt, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen 2015, 78.

      3 Konradt, Matthäus, 78f.

      4 Konradt, Matthäus, 79. – Die revidierte Einheitsübersetzung 2016 erinnert mit der Überschrift „Die neuen Thesen“ noch von ferne an die ältere unhaltbar gewordene Titulatur, versucht aber offenkundig die neuen Einsichten zu integrieren. Dass die Betonung des Neuen zu unbestimmt ist und der Vorschlag der Einheitsübersetzung doch wieder vor der Kontrastfolie „Altes gegen Neues Testament“ gehört werden kann, ist die Problematik und Grenze dieser Überschrift.

      5 Konradt, Matthäus, 80.

      6 Konradt, Matthäus, 80. – Fragwürdig konventionell bleibt demgegenüber die gerade auch für ein jüngeres Publikum konzipierte Neuübersetzung der BasisBibel der Deutschen Bibelgesellschaft von 2010, 25–28 pass., die in den Randglossen das überholte Verständnis fortschreibt. In dieser modern anmutenden Bibelübersetzung zeigt sich überhaupt ein Trend zu problematischen Klischees, wenn das „Auge um Auge“ als „Vergeltungsgrundsatz aus dem Alten Testament“ bezeichnet wird. Die Grenze zur Karikatur ist überschritten, wenn die beiden Abschnitte aus Mt 5,38-42 und 43-48 mit den unzutreffenden Überschriften „Das Gebot, nur maßvoll zu vergelten“ und „Das

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