Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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fraglich erscheint. Die Argumentation der Bergpredigt unterläuft mit einigen ebenso schlichten wie zwingenden Überlegungen alle Relativierungsversuche. Feindesliebe gleicht nicht einer ethischen Gipfeltour, sondern ist das Pendant des biblischen Gottesglaubens, plausibilisiert durch eine einfache schöpfungstheologische Argumentation. Vorgängig zu allen Differenzen zwischen „Bösen und Guten“ – die Bösen werden sogar zuerst genannt! – gibt es eine tiefe Solidarität aller, die in ihrer Kreatürlichkeit gründet.17 Die moralischen Unterschiede werden nicht verwischt, aber die Welt allein mit diesem Maßstab zu beurteilen, hieße, Grundlegendes zu übersehen. Wie in These fünf ist diese Erkenntnis unmittelbar für das Handeln bedeutsam. Ein die direkte Erfahrung nur spiegelndes Verhalten übersieht den größeren Horizont, die tiefere Verbundenheit, die allen Unterschieden vorausliegt.

      „Alles zusammenfassend begründet Jesus seinen Ruf mit dem Rückweis auf Gott, der vollkommen ist. Mit diesem Wort wird im griechischen Alten Testament ein hebräischer Begriff übersetzt, der das Ganzheitliche, das Unversehrt- und Ungeteiltsein meint. So kann das Alte Testament davon berichten, daß einer in seinem Herzen vollkommen (d.h. ganz, ungeteilt) mit dem Herrn lebt (1 Kön 8,61; 11,4; 15,3.14). (…) So ist auch bei Matthäus die ganze Ausrichtung auf Gott gemeint, nicht die Fehlerlosigkeit einer in sich abgerundeten, zur höchstmöglichen Perfektion entwickelten Persönlichkeit. Das wäre gerade das Abweichen von jener ganzheitlichen Ausrichtung auf Gott.“18 Dem entspricht Gottes ungeteilte Treue, seine ganzheitliche Hinwendung zu seinem Bundespartner. Auch wenn Feindesliebe als extreme ethische Forderung gilt, so ist festzuhalten, dass der matthäische Jesus vor dem Hintergrund der biblischen Überlieferung damit „nichts Unerhörtes“19 sagt. Feindesliebe wird verstanden „als Entsprechung zur unbedingten liebenden Zuwendung Gottes zu den Menschen, der diesen mit seiner Suche nach dem Verlorenen eine neue Zukunft eröffnet“20. Die Bibel erinnert immer wieder daran, dass nicht „die Anderen“ die Bösen sind, die der Erlösung bedürfen, und dass alle Überheblichkeit fehl am Platze ist. In einer Meditation über den von Gott selbst geschenkten „Frieden“ (Röm 5,1) hält Paulus fest, dass Gott zuerst alle als Feinde geliebt und mit sich versöhnt hat (Röm 5,8.10):

      8 Es erweist aber seine Liebe zu uns Gott dadurch,

      dass – als wir noch Sünder waren – Christus für uns gestorben ist:

      …

      10 Wenn nämlich Feinde seiend

      wir versöhnt worden sind mit Gott

      durch den Tod seines Sohnes,

      wie viel mehr werden wir als Versöhnte

      gerettet werden durch sein Leben.

      Gott ist darin vollkommen zu nennen, „daß er sich niemandem versagt“, dass „er niemanden ausschließt und auch niemanden abschreibt“, dass er „gerade darin vollkommen ist, daß er auch der Gott der Gottlosen ist“21. „Denn Gott selbst gönnt sich seinen Feinden (…). Er liebt die, die ihn nicht lieben, aber nicht, weil sie ihn nicht lieben, sondern damit sie ihn lieben können. In dieser Liebe, die einfach anfängt und nicht aufhört und so Liebe ermöglicht, ist er schöpferisch, ist er vollkommen.“22 Die Feindesliebe ist kein Spezialthema einer christlichen Ethik, sondern das Zentrum des biblischen (nicht nur des neutestamentlichen) Gottesverständnisses. „Die Feindesliebe hat daher ein doppeltes Ziel: sie ist auf die Überwindung des Racheimpulses im eigenen Herzen und auf die Verwandlung des Gegenübers, auf seine ‚Entfeindung‘ gerichtet. Weil sie mich selbst und den Feind von den Wunden des Hasses heilt, ist sie der einzige erfolgversprechende Weg zur dauerhaften Überwindung der Feindschaft.“23

      Nichts kann sich zum Guten wandeln, wenn Gottes schöpferische Liebe von der Angst des Menschen um sich selbst verschlungen wird; deshalb werden die fünfte und sechste These der Bergpredigt flankiert und gestützt durch den Refrain vom himmlischen Vater, der weiß, was Menschen nötig haben. Das Vaterunser ist das Gebet derer, die den Feind lieben sollen und wollen, aber nicht können, weil und solange sie zuerst auf sich schauen. „Sucht aber zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit (…)“ (Mt 6,33). Das ist die Vorzugsregel, die kreativer Gewaltfreiheit den Weg öffnet.

      Die verwandelnde Kraft der Schwachen

      An der Figur des „Gottesknechtes“ entfaltet das Alte Testament einen Weg, der von Anfang an die Anti-Logik, die Spiegelung der Gewalt im eigenen Verhalten überwindet und deshalb aus der Gewalt herausführt. Im ersten „Lied“ (Jes 42,1-9) präsentiert Gott selbst seinen Knecht vor einem imaginären Publikum. Dieser Knecht steht in einer besonders dichten Beziehung zu Gott; er ist erfüllt vom Geist Gottes, so dass in seinem Handeln Gott wirkt und seinen Willen durchsetzt. Damit ist die wichtigste Voraussetzung für alles versöhnende Handeln angesprochen: In der Annahme durch Gott werden dem Selbsthass und der Verachtung der anderen der Boden entzogen. So „erwählt“, „gerufen“ und „behütet“ (vgl. 42,6; 49,1.8) ist der Knecht „neu“, durch Gottes Annahme befreit wie am ersten Schöpfungsmorgen. Durch ihn kann Neues beginnen in der Welt des Unrechts (vgl. Jes 42,9).

      Der Knecht soll in der Welt der Völker („auf der Erde“, 42,4) den Rechtszustand aufrichten, Gottes guter Schöpfung zum Ziel verhelfen. Alle Welt ist einbezogen, die ganze Weite der Schöpfung. So passt es, dass die Gottesrede an den Knecht in 42,5 nicht nur mit der üblichen Formel „so spricht der Herr“ beginnt, sondern Gott geradezu umständlich als Schöpfer von Himmel und Erde und Geber des Lebensatems beschrieben wird. Das steht nicht nur „räumlich“ in der Mitte des Textes, es erinnert an den Grund und das Ziel des göttlichen Wirkens, in den das Wirken des Gottesknechtes eingeschrieben ist.

      Seine größte Sprachkraft entfaltet der Text, wenn er anschaulich wird und die „Methode“ der Durchsetzung des Rechts nennt: Der Knecht tritt nicht dröhnend und herrisch auf und er geht nicht über das Beschädigte und Schwache hinweg. Zurückhaltung und Zärtlichkeit – so könnte man die weltverändernde Methode nennen. In offenen Metaphern wird auch das „Recht bringen“ beschrieben: Licht bringen anstelle von Finsternis (vgl. Gen 1,1-3), Leben schaffen – sich überlagernde Vorstellungen für die schöpferische/göttliche Verwandlung der Welt, eine tief greifende Veränderung zur „Versöhnung“. Entsprechend der Anfangskonstellation der Bibel ist die Adressatenschaft eine doppelte: Es geht um das Volk, also Israel, und um die Nationen, alle andern, die nicht Israel sind (vgl. Gen 12,1-3). Global ist die Perspektive, aber Gottes Weg der Veränderung geht über seine Bindung an das erwählte Volk.

      Damit ist die Aufgabe benannt. Was tut der Knecht? Wie reagieren die Adressaten? In Jes 49,1-9 spricht der Gottesknecht selbst. Er erinnert an seinen Auftrag: Gottes Rettung soll bis an das Ende der Erde reichen, alle umfassen. Dieser Einsatz Gottes für die Welt fängt damit an, dass Jakob/Israel zu seinem Gott zurückkehrt, aber das ist eben nur der Anfang einer weltverändernden Bewegung. Vom Ende des Liedes her gewinnt der Anfang der Rettung Kontur: Es geht wieder um Befreiung – aus der Gefangenschaft zum Licht. Die Aussagen bleiben aber bewusst offen; die metaphorische Sprache sichert ihre Bedeutung über die Ursprungssituation (also die Befreiung aus der Gefangenschaft in Babylon) hinaus.

      Schärfer als im ersten Lied und mit neuen Tönen wird die Zwischenstellung, das „Mittleramt“, des Gottesknechtes vorgeführt: Er ist von Gott gerufen, geehrt; Gott sichert ihm zu, ihn zu behüten und ihm zu helfen. Das ist wichtig, nicht nur für die Stellung des Knechts, sondern für das Bestehen-Können in seiner Rolle. Denn offenbar stößt der Knecht auf Widerstände. Es deuten sich harte Konflikte an. Der Knecht charakterisiert sein eigenes Mühen als vergeblich, erfolg- und sinnlos. In der Verachtung, die er erfährt, hat er nur noch einen Halt: „Mein Recht ist bei JHWH“ (Jes 49,4).

      Auf dieser Linie verbleibt das Lied in Jes 50,4-9. Es beschreibt die Gottesbeziehung des Knechts zunächst wörtlich als „Schülerschaft“: Es geht um das Hören, durch das allein sich Gottes Wille erlernen lässt.

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