Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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das Leben aller seiner Kinder.

      Unter der Voraussetzung, dass die fünfte und ebenso die sechste These keine lockere Fügung weisheitlicher Sentenzen sind, sondern einen theologisch-ethischen Gedanken (in zwei Ansätzen) stringent entfalten, ist damit ein Verständnis von 5,39a („Leiste dem, der euch etwas Böses tut, keinen Widerstand“) als quietistischer oder passiver Hinnahme des Bösen ausgeschlossen. Die Absage an „Widerstand“ angesichts des Bösen kann nicht bedeuten, sich nicht mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Wenn etwa die Neue Genfer Übersetzung von 2009 Mt 5,39a wiedergibt mit „Setzt euch nicht zur Wehr gegen den, der euch etwas Böses antut“, so mag sie sich formal eng am griechischen Text bewegen, ist aber inhaltlich in hohem Maße missverständlich und fügt sich nicht konsistent in den matthäischen Kontext ein. Die neue französische katholische „Traduction officielle liturgique“ der Bibel von 2013 nuanciert die Übersetzung, so dass sich ein kohärenter Sinn ergibt: „Eh bien! Moi, je vous dis de ne pas riposter au méchant“. Die Fußnote klärt auf, dass hier gezielt dem Verb „riposter“ der Vorzug gegenüber dem wörtlichen „résister“ gegeben wurde, weil „zurückschlagen“ den Sinn besser trifft als „widerstehen“.9 Alles kommt darauf an, die Logik des himmlischen Vaters beizubehalten und das Handeln an ihr zu orientieren; so wenig, wie Gott das Böse will, können die Jünger/innen es wollen. Warum sollten sie sonst um Rettung bitten? Und zugleich geht es darum, nicht die Verhaltensmuster des Bösen zu übernehmen, im eigenen Verhalten das Böse zu spiegeln.10

      Das Verb „antísthemi“ in Mt 5,39a bezieht sich nicht auf jede Form von Widerstand gegenüber dem Bösen. Kontextuell und textsemantisch scheint es gewählt zu sein, um die Anti-Logik zu charakterisieren, die Jesus überwinden will. Wer in der Anti-Logik verharrt, hat sich den entscheidenden Schritt des entgegenkommenden Gottes gerade nicht zu eigen gemacht. „antísthemi“ ist nicht das übliche Wort für „vergelten“; vielfach wird es als „militärischer Ausdruck“ benutzt. „Resistance implies ‚counteractive aggression‘, a response to hostilities initiated by someone else. Liddell-Scott defines anthistēmi as to ‚set against esp. in battle, withstand‘. Ephesians 6:13 is exemplary of this military usage: ‚Therefore take up the whole armor of God, so that you may be able to withstand [antistēnai, lit., to draw up battle ranks against the enemy] on that evil day, and having done everything, to stand firm [stēnai, lit., to close ranks and continue to fight].‘ The term is used in the LXX primarily for armed resistance in military encounters (44 out of 71 times). Josephus uses antisthēmi for violent struggle 15 out of 17 times, Philo 4 out of 10. As James W. Douglass notes, Jesus’ answer is set against the backdrop of the burning question of forcible resistance to Rome. In that context, ‚resistance‘ could have only one meaning: lethal violence.“11 Als deutsche Übersetzung für Mt 5,39a böte sich also etwa an: „Verhaltet euch nicht gewaltsam gegenüber dem Bösen.“

      Der bereits zitierte Kommentar von 1973 verstärkt das verbreitete quietistische Missverständnis noch durch die Übersetzung: „Ich aber sage euch, dem Bösen überhaupt nicht zu widerstehen.“12 Das scheint sich durch die Beispielreihe zu bestätigen; besonders das Hinhalten der anderen Wange ist sprichwörtlich geworden für eine passive Haltung, die das Böse einfachhin geschehen lässt. Gewaltverzicht bedeutet jedoch nicht Widerstandsverzicht. Der christliche Pazifismus erfordert eine klare Haltung zum und eine entschiedene Abgrenzung gegenüber dem Gebrauch von Gewalt, als genereller Verzicht auf Widerstand wäre er jedoch eher als „Passivismus“ („passivism“) zu bezeichnen, ein „tatenloser Pazifismus“ („nonresistant pacifism“), der in Gefahren und erniedrigenden Umständen nur schwer mit der Nächstenliebe und der immer gebotenen Selbstachtung zu vereinbaren ist. Die Bergpredigt zeichnet einen anderen, einen dritten Weg zwischen Gewalt und Passivismus vor, den der Bibelwissenschaftler und Denker der Gewaltfreiheit Walter Wink mit einem Oxymoron als „kämpferische Gewaltfreiheit“ („militant nonviolence“)13 bezeichnet.

      Während der Eingang der fünften These negativ zunächst einmal verbietet, die Anti-Haltung der Übeltäter zu übernehmen, können die Beispiele als positive Entfaltungen der geforderten Haltung einer „militanten“ Gewaltfreiheit gelesen werden. Sie sind weit von jedem „frommen Dulden“ des Unrechts entfernt, das dem Bösen in die Hände spielt, statt es zurückzudrängen. In allen drei Beispielen der fünften These geht es darum, sich der Gewalt und dem Unrecht entgegenzustellen, ohne sich das Muster der Gewalt zu eigen zu machen. Vielmehr zielen die Beispiele auf Befreiung von der destruktiven Logik ab; die negative Handlungslogik soll nicht nur vorgeführt und entlarvt, sondern durchbrochen und kreativ überwunden werden.

      Die blitzschnelle Gegenaktion „pariert“ nicht auf der Ebene der Aktion des Gewalttäters – das wäre im Sinne der von Jesus problematisierten „Anti“-Haltung –, sondern „dreht“ die Situation. Der normalerweise mit der rechten Hand ausgeführte Schlag auf die Wange des Gegenübers kann nur mit dem Handrücken ausgeführt werden; das ist nicht nur eine Form der Gewalt, sondern Ausdruck der Herabsetzung, der Entwürdigung des Gegenübers. Dreht dieser dem Schläger die andere Wange zu, verschiebt sich die Situation; aus der Herabwürdigung wird nackte Gewalt. „Durch die Gegenprovokation, auch die andere Wange hinzuhalten, verändert er [d.i. der Unterlegene, G.St.] die Situation. Das Objekt des Unrechts wird zum Handlungssubjekt und gewinnt so ein Stück weit Handlungssouveränität und Würde zurück. Selbst wenn nun das Gegenüber durch dieses ‚Entgegenkommen‘ nicht dazu stimuliert wird, innezuhalten und sein Verhalten zu überdenken, sondern die Skrupellosigkeit besitzt, die ‚Einladung‘ anzunehmen, hat sich die Konstellation gegenüber dem ersten Schlag fundamental verändert.“14

      An diesem „Paradebeispiel“ des jesuanischen Pazifismus scheint die Logik der Gewaltfreiheit überdeutlich auf. Der Gewaltverzicht bedeutet den Austritt aus dem ewigen Hin und Her von Gewalt und Gegengewalt, er unterbricht den Kreislauf der Destruktivität und ermöglicht einen Ausweg. Eines bietet er nicht: eine Garantie, dass die Gewalt ein Ende findet. Und er bietet auch keine billige Lösung; der Preis kann sogar sehr hoch sein. Man darf die Assoziationen nicht zu weit treiben, aber gleich das erste Beispiel der Dreierreihe in Mt 5,39b ruft die Passionsgeschichte des Evangeliums in Erinnerung (vgl. Mt 26,67f) und lässt erahnen, was Nachahmung Gottes als Weg aus der Gewalt bedeuten kann. Aber auch wenn dieser Ernst immer im Blick zu behalten ist, wenn es um den Widerstand gegen zerstörerische Gewalt geht, sind die weiteren Beispiele nicht ohne Humor, der auch zum Aufbrechen einer verfahrenen Situation gehört und dem Unterdrückten wie dem Unterdrücker den Weg in eine andere Zukunft öffnen kann.

      Wer vor Gericht unter Zwang zusätzlich zum Untergewand auch noch den als lebenswichtiges Kleidungsstück nicht pfändbaren Mantel (vgl. Ex 22,25f; Dtn 24,12f) hergibt, steht nackt vor dem Publikum; die Vorstellung überbietet die eigentlich ernste Situation, in der es um das letzte Hab und Gut des Armen geht, in Richtung eines Straßentheaters – mit dem Appell an den Gläubiger, „sein Verhalten gegenüber den Armen überhaupt zu überdenken und zu verändern“15. Das Mitgehen der „zweiten Meile“ führt nicht zum Zusammenbruch des römischen Besatzungsregimes, zeigt aber einen Weg zur Wahrung der Würde in einer bedrückenden Situation. „But why carry his pack a second mile? Is this not to rebound to the opposite extreme of aiding and abetting the enemy? Not at all. The question here, as in the two previous instances, is how the oppressed can recover the initiative and assert their human dignity in a situation that cannot for the time being be changed. The rules are Caesar’s, but how one responds to the rules is God’s, and Caesar has no power over that. Image then the soldiers’s surprise when, at the next mile marker, he reluctantly reaches to assume his pack (…) From a situation of servile impressment, the oppressed have suddenly seized the initiative. They have taken back the power of choice. (…) Imagine the situation of a Roman infantryman pleading with a Jew to give back his pack. The humor of this scene may have escaped us, but it could scarcely have been lost on Jesus’ hearers, who must have been regaled at the prospect of this discomfiting their oppressors.“16

      Praktizierte Schöpfungstheologie

      Die sechste These führt das Programm einer schöpferischen

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