Im Fahr. Susann Bosshard-Kälin

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Im Fahr - Susann Bosshard-Kälin

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style="font-size:15px;">      Am Mittagstisch, zwei Tage nach meiner Einfachen Profess am 11. August 1969, wurde ein Brief aus dem Kloster Einsiedeln vorgelesen: Der amtierende Abt, Raymund Tschudi, hatte das Kloster verlassen, seinen Schlüssel abgegeben. Eben noch hatte er meine Profess als Benediktinerin entgegengenommen. Und jetzt war er weg! Ein Schock! Es brauchte einige Zeit, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich die Profess nicht nur vor dem Abt, sondern letztlich vor dem Herrgott abgelegt hatte.

      Bald danach wurde ich von Schwester Elisabeth angefragt, ob ich Lust hätte, einen Töpferkurs zu besuchen, weil ich gerne Handarbeiten machte und bastelte. Sie plante, mich an der Schule einzusetzen, um den Schülerinnen an der Bäuerinnenschule eine kreative und sinnvolle Freizeitbeschäftigung für die freien Samstagnachmittage und -abende anzubieten. Damals war es noch nicht üblich, dass die jungen Frauen jedes Wochenende nach Hause fuhren – und kreatives Werken würde vielleicht die eine oder andere vom Ausgang abhalten!

      Gleichzeitig ermahnte mich die Priorin, dass ich durch mein kreatives Schaffen keinesfalls einen Künstlerinnennimbus haben würde. Dieser war im Kloster bereits an Schwester Hedwig vergeben.

      Das Töpfern begeisterte die Schülerinnen von der ersten Stunde an. Sie konnten von Hand etwas Eigenes erschaffen und es dann nach Hause mitnehmen – Vasen, Krüge, Kreuze, Schüsseln und Schalen, ganze Geschirre sind entstanden. Bis zur Schliessung der Schule leitete ich das Atelier. Und ich staune, wenn Ehemalige noch heute kommen und erzählen, was sie bei mir damals alles gemacht haben. Das freut mich sehr.

      Als meine erste Nichte 1971 zur Welt gekommen war, wagte ich mich an meine erste Tonskulptur – den Kopf der kleinen Judith, nach einer Fotografie, die mein Bruder mir geschickt hatte. Das Geschenk machte viel Freude. Und mit einem Mal traute ich mich an eine 25 Zentimeter grosse Figur der Muttergottes mit Kind, die ich zusammen mit Weihwassergeschirren und Kreuzen aus Ton versuchsweise zum Verkauf in die Paramentenstube stellte. Alles war schnell weg! Es folgte ein Auftrag nach dem andern. Ein Priester erkundigte sich nach Krippenfiguren. Warum nicht? Versuchen konnte ich es ja!

      Ich weiss nicht, wie viele Krippenfamilien, Hirten, Hunde, Kamele, Schafe und Drei Könige in verschiedenen Grössen in den folgenden Jahren das Kloster Fahr verliessen – für Kirchen von Aarau bis nach Solothurn, von Malters bis Speicher, ja eine ging sogar nach Ecuador. Die Kirche Muttenz bestellte irgendwann einen Punk – in Ledermontur und mit Irokesenfrisur. Ich hatte das ganze Jahr Weihnachten. Das meiste brachte ich mir selbst bei, mit Ausprobieren und Tüfteln, Verwerfen und Neuanfangen. Schwester Fidelis stand mir beim Ankleiden der immer grösser werdenden Figuren sehr hilfreich zur Seite. Die Ideen kamen oft aus dem Nichts. Oder im Gebet, beim Psalmenbeten. Auf einmal sah ich eine Form genau vor mir. Verbissen nach Lösungen zu suchen, brachte nichts. Geduldig zu sein, das musste ich üben. Wenn ich mit einem Objekt nicht weiterwusste, musste ich ruhig bleiben, zuwarten. Beim Töpfern kreiert man nicht jeden Tag etwas. Es braucht Zeit beim Formen, Trocknen, Brennen. Wenn ich den Ofen zu früh öffnete, zerbrach die Ware. Das lernte ich schnell!

      Eine schöne Aufgabe waren auch die grossen Figuren, die ich nach der Aussenrenovation am Klostergebäude realisieren durfte. Drei der ursprünglichen, aus Holz geschnitzten Figuren waren verwittert und mussten ersetzt werden: Joseph mit dem Jesusknaben, die Muttergottes mit Kind auf dem Arm und der heilige Mauritius; sie stehen in den Ausbuchtungen der Nord-, Süd- und Ostfassade.

      Die kunsthandwerkliche Arbeit trat nach dreissig Jahren schrittweise in den Hintergrund. Andere Aufgaben wurden mir zugewiesen. Mit der neuen Priorin, Irene, kam ich 2003 zum Einsatz an der Klosterpforte und später als Mitarbeiterin in die Paramentenwerkstatt. Mein Material, den Ton, den Brennofen und alle Utensilien, konnte ich nach der Schliessung der Bäuerinnenschule im Jahr 2013 einer ehemaligen Schülerin weitergeben. Sie ist eine begeisterte Töpferin und lud mich sogar in ihr Atelier nach Schwyz ein. So fiel es mir leichter, mich schliesslich ganz von einer Tätigkeit zu trennen, die mir während Jahrzehnten sehr viel Befriedigung und Freude geschenkt hatte – eine Freude, die ich durch mein Tun vielfach weiterschenken durfte.

      Seit ein paar Jahren betreue ich die → Sakristei. Am Montag, Mittwoch und Freitag um elf Uhr feiern wir Kommunion. Dann muss ich rechtzeitig das Evangelium des Tages bestimmen und auflegen, die Kerzen anzünden, den Schlüssel für den → Tabernakel bereitlegen und das → Korporale vorbereiten. Das braucht Zeit, denn ich will nicht in der Kirche herumrennen müssen. Mir ist auch die Aufgabe zugeteilt worden, alles für die Gottesdienste bereitzustellen – den Kelch, die Schale mit den Hostien, das Kännchen für Wein und Wasser, die Kelch- und Handtüchlein, das Korporale, das Messbuch und das → Lektionar, die Gewänder für die Ministranten und die Liednummern auf der Anschlagtafel. Für Gäste, die am Chorgebet teilnehmen, lege ich die → Antiphonale bereit. Im Sommer kommt das spezielle Kreuz für den Wettersegen dazu, den wir vom 25. April bis zum Erntedank im Oktober beten. Hostien kaufen wir in einer spezialisierten Bäckerei im Kloster Weesen; ungefähr 8000 bis 10 000 Stück brauchen wir jährlich.

      Wir beten hier im Fahr seit Jahrhunderten zu Ehren Gottes und im Auftrag der Kirche. Diesen Dienst versehen wir jeden Tag, immer und regelmässig. Das ist unser Dienst auch an der Welt und für die, die draussen keine Zeit fürs Gebet haben.

      Manchmal sorgt es mich schon, dass wir keinen klösterlichen Nachwuchs haben. Aber wir wissen nicht, was der Herrgott mit unserem Kloster vorhat. Es ist Sein Werk.

      Eintritt ins Kloster Fahr: 2. November 1967

      Einfache Profess: 11. August 1969

      Feierliche Profess: 14. August 1972

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