Im Fahr. Susann Bosshard-Kälin

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Im Fahr - Susann Bosshard-Kälin

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wachsen nebeneinander, ebenso Karotten, Zwiebeln und Lauch. Es darf im Beet ungeniert turbulent und bunt sein, Wirrwarr tut den Pflanzen gut. Gegen vieles ist ein Kraut gewachsen, davon bin ich überzeugt. Mein liebstes ist Rosmarin. Auf der grossen Kräuterspirale wachsen ausserdem Dill, Minze, Liebstöckel, Fenchel, Malve, Petersilie, Schnittlauch, Eisenkraut, Kapuziner und Ringelblumen, Thymian und Majoran, ungefähr zwanzig verschiedene Kräuter. Von Mai bis Oktober biete ich Gartenführungen für Interessierte an. «Hereinspaziert in den Fahrer Klostergarten», heisst es dann, und es darf an den Pflanzen gerochen oder ein Kraut probiert werden. Die Leute mögen diese begleiteten Führungen und lassen sich inspirieren. Das Tor zum Propsteigarten steht immer offen. Das ist mir wichtig. Menschen sollen dort Kraft schöpfen dürfen. Ist es nicht eine Armut, wenn Eltern mit ihren Kindern nur noch im Grossverteiler einkaufen und die Kleinen keine Ahnung mehr haben, wie und wo etwas wächst?

      Mein Klosteralltag ist dicht und vielfältig. Ich stehe um fünf Uhr auf. Zwanzig Minuten später bete und singe ich mit der Gemeinschaft das erste → Chorgebet in der Klosterkirche. Der Rhythmus von Arbeit und Gebet – Ora et labora – gefällt mir, und er hält mich gesund. Mit dem Älterwerden schätze ich diesen Rhythmus immer mehr. Ich bin ja in erster Linie Benediktinerin und nicht Klostergärtnerin.

      Die Arbeitszeiten sind jeweils kurz, ich muss speditiv sein und gut planen. Vier-, fünfmal täglich von draussen ins Kloster und zurück, nicht selten verschwitzt, regennass und dreckig, dann Händewaschen und Tenuewechsel – das ist nicht ohne! Aber ich habe gelernt, fix und flexibel zu sein. Neben dem Klosteralltag gibt mir die Natur den Fahrplan vor, und ich muss mich nach ihr richten. Wenn für den nächsten Tag Regen angesagt ist, gilts noch, vorher den Boden zu lockern. Wenn Setzlinge pikiert werden müssen, dann kann man damit nicht ewig warten, und bei Sommerhitze muss entsprechend oft und gezielt gewässert werden. Um Viertel vor neun Uhr bin ich im Garten, und schon zwei Stunden später heisst es, alles Werkzeug aus der Hand legen, husch, husch, Hände waschen und umziehen fürs Mittagsgebet und das Mittagessen, hopp! Meist bin ich nach ein Uhr wieder draussen, bis kurz vor drei. Und nach dem Zvieri und der geistlichen Lesung ab vier bis zur → Vesper um Viertel vor sechs. Nach der → Komplet um acht gehe ich oft ein letztes Mal in den Garten und schaue zu den Schafen. Wir Schwestern sind wohl alle fleissig und können die Ärmel hochkrempeln – damals wie heute. Wir kommen aus ähnlichen familiären Verhältnissen und sind das Werken gewohnt. Arbeit ist doch auch eine Art Gottesdienst, nicht?

      Ich mag es, Neues auszuprobieren. So ging ich auf eine Anfrage ein und betreibe nun in Uitikon zweimal im Jahr einen kleinen Marktstand. Dort verkaufe ich im Frühling meine Setzlinge und eigens gemachtes Kräutersalz, im Herbst Gemüse und meine Wallwurzsalbe. Die Döschen sind jeweils im Nu weg.

      Mir ist nie etwas zu viel. Diese Haltung lernte ich schon daheim. Wir waren eine fleissige und sozial denkende Familie, hatten immer ein offenes Haus und oft Gäste mit am Tisch. Am 17. Dezember 1947 kam ich in Hörhausen, auf dem Seerücken im Thurgau, zur Welt. Ich bin das vierte von sechs Kindern. Mit drei Brüdern und zwei Schwestern bin ich aufgewachsen. Ein Bruder starb mit zweieinhalb Jahren. Meine Eltern bewirtschafteten einen grossen und gepflegten Hof. Ich half Vater viel, war ein gesundes, kräftiges Kind und am liebsten draussen. Früh lernte ich melken, die Pferde führen und die Landmaschine, den Rapid, fahren. Ich mochte alles – ausser Stricken. Meine Mutter bedauerte das, sie schämte sich wohl für mich, wenn sie als Schulpflegerin meinen Handarbeitsunterricht besuchte und sah, wie ich mich mit einer halb fertigen Socke herumquälte!

      Nach der Primarschule schickten mich meine Eltern ins Internat nach Flüeli-Ranft in Obwalden. Es hiess, mein Lehrer hätte mich nicht ernst genommen. Wer wusste schon, was das bedeutete! Und so kam ich für die siebte und achte Klasse zu Dorothea-Schwestern. Dort plagte mich oft Heimweh. Glücklicherweise besass eine der Schwestern einen Hund, mit dem ich laufen gehen durfte, und auch die Gartenarbeit half mir über die Trauer hinweg. Durch die halbe Schweiz, über Luzern, Zürich und Frauenfeld reiste ich in die Ferien. So lernte ich die Schweiz kennen. Noch heute ist Zugfahren ein grosser Spass für mich.

      Anschliessend wollte ich Französisch lernen und wurde im kalten Winter 1963 Volontärin im Institut Guglera der Ingenbohler Schwestern im Freiburgischen. Meine Eltern hatten während dieser Zeit einen Grippevirus, und ich fürchtete, Mutti könnte sterben. So machte ich mich eines Tages klammheimlich davon. Zu Fuss lief ich im Schneesturm Richtung Tafers und nahm den erstbesten Zug in die Deutschschweiz. Zu Hause waren sie gar nicht erfreut, mich zu sehen. Ich musste auf dem Absatz kehrtmachen und zurück ins Internat, wo ich ins Verhör genommen wurde. Im Rückblick weiss ich: Fremdes Brot essen tat mir gut, aber Französisch lernte ich wenig mit all den Deutschschweizerinnen, die mit mir in der Küche, in der Wäscherei und im Garten arbeiteten.

      Damals war es in unseren bäuerlichen Kreisen beliebt, die Bäuerinnenschule im Kloster Fahr zu absolvieren. Die Schule hatte einen guten Ruf, und Mutter meinte, sie wäre das Richtige für mich. Ich wäre gerne Gärtnerin geworden, aber ich scheute mich vor der langen Lehrzeit. Warum also nicht für zwanzig Wochen ins Fahr? Mein erster Eindruck des Klosters, als ich zu Fuss von Schlieren mit dem Koffer einrückte: Es wirkte kalt, sah aus wie eine Kaserne, und es hatte nicht mal Vorhänge vor den Fenstern! Bald wurde ich eines Besseren belehrt. Das Leben an der Bäuerinnenschule und die klösterliche Atmosphäre gefielen mir ausgezeichnet.

      Am 19. November 1965, während des Ausbildungsgangs, feierte Priorin Elisabeth ihren Namenstag. Uns wurde eine Überraschung angekündigt, und so gab es ein grosses Hallo, als die Schwestern mit einem neuen Schleier auftraten. Bis jetzt waren sie bis auf die Wangen und Augen total verhüllt gewesen. Jetzt sah man plötzlich ein Gesicht. Mit Nina Felder aus Solothurn besuchte die tausendste Schülerin der Bäuerinnenschule unseren Kurs. Bis zur Schliessung der Schule im Jahr 2013 sollten es dann über 4000 Frauen sein, die in fast siebzig Jahren im Fahr die bäuerlich-hauswirtschaftliche Ausbildung absolvierten.

      Nach der Bäuerinnenschule wurde ich für kürzere oder längere Einsätze als Familienhelferin gerufen – auch zu einer Familie in Weiningen. Während dieser Zeit schlief ich im Fahr und spürte zunehmend eine Verbindung zum Kloster. Ich fühlte mich an diesem stillen Ort irgendwie gestärkt. Und ich begann mit mir zu ringen: Bäuerin – Gärtnerin – Klosterfrau? Was sollte wohl aus mir werden? Es waren schwierige Monate. Der älteste Bruder hatte Theologie studiert. Meine Eltern stellten sich vor, er würde Priester und ich Bäuerin werden. Aber es sollte anders kommen. Kurz vor der Priesterweihe lernte er seine spätere Ehefrau kennen. Er heiratete, studierte Psychologie und wurde Betriebspsychologe und Berufsberater. Und ich? Es war an Ostern 1969, als ich mit einer Kollegin im Dorf in die Frühmesse ging. Der Pfarrer zitierte aus dem Evangelium: Wenn du meine Stimme hörst, so folge mir! Dieser Satz schlug ein wie ein Blitz, und ich wusste von einer Sekunde zur anderen: Ich will ins Fahr. Es war ein Ruf an mich. Anders kann ich das nicht beschreiben.

      Meinen 22. Geburtstag feierte ich als Kandidatin im Kloster Fahr. Am Gertrudstag, dem 17. November 1969, trat ich ein. Mein Radio und eine Truhe aus Birnbaum, die Vater für jede Tochter zur Aussteuer herstellen liess, musste ich zu Hause lassen und natürlich meine liebe Familie. Ich wusste, ich würde nie mehr heimdürfen.

      Ich arbeitete während des Noviziats und auch später während der Sommermonate vor allem auf dem Feld. Im Winter strich ich zusammen mit anderen Schwestern unzählige Wände in den Gängen, laugte Dutzende Fensterläden ab und versah sie mit einem neuen Anstrich. Ich galt als Allrounderin im Kloster.

      1986 wurde ich von der damaligen Priorin Raphaela ins Benediktinerinnenkloster Müstair «ausgeliehen». Der kleinen Gemeinschaft fehlte es an Unterstützung, weil eine der dortigen Schwestern ins Spital musste. Ob ich bereit wäre, der Gemeinschaft ein paar Wochen unter die Arme zu greifen? Erst war ich geschockt, brauchte Bedenkzeit und wollte nicht alleine hin. Aber ich überwand meine Bedenken und sagte zu. Eine Woche später fuhr ich mit dem Führerschein, den ich habe, seit ich 18 Jahre alt war, und Pater Benedikts Auto über den Ofenpass ins Münstertal. Es gefiel mir dort von Beginn an ausgezeichnet, nicht nur im Kloster, sondern auch auf dem klösterlichen Maiensäss und der hoch gelegenen

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