Im Fahr. Susann Bosshard-Kälin
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Aber während der Ausbildung ging mir der Gedanke immer wieder durch den Kopf, im Kloster Fahr zu bleiben. Bis zum Schulende konkretisierte sich der Wunsch. Wie das? Es passierte einfach, ich kanns heute noch nicht anders sagen. Es war eine Erwählung von Gott, eine Berufung. Natürlich bedeutete das auch den Verzicht auf eine eigene Familie. Ich habe keine Kinder, aber die Familie wächst trotzdem weiter, mit zwanzig Nichten und Neffen, dreissig Grossnichten und Grossneffen und sogar Urgrossnichten und -neffen. Zwei meiner Geschwister sind nicht verheiratet – ein Bruder ist Pfarrer und eine Schwester war jahrzehntelang Missionarin in Mali, Westafrika.
Die definitive Entscheidung für das Kloster wäre mir, ehrlich gesagt, leichter gefallen, hätte ich keinen Freund gehabt. Er reagierte jedoch verständnisvoll, vielleicht auch, weil eine seiner Schwestern vor mir in ein Kloster eingetreten war. Eine andere Schwester sagte zu ihm: «Du wirst sehen, sie kommt nach der Schule heim, fährt wieder zur Alp, und weg ist der Klosterwunsch!»
Dem war nicht so. Am 20. Oktober 1957, ein halbes Jahr nach Schulende, trat ich als Kandidatin ins Kloster Fahr ein. Ich wusste einfach, ich gehöre dorthin. So ists doch auch in der Liebe zu einem Partner, oder nicht? Man spürt, es ist das Richtige.
Ich sprang ins kalte Wasser, ohne Vorstellungen. An eine fünfjährige Probezeit dachte ich nicht. Ich ging ins Kloster, um zu bleiben!
Natürlich erlebte ich stürmische Zeiten, vor allem am Anfang. Wenn mir etwas nicht passte, so sagte ich es. Das kam bei den → Oberen nicht eben gut an und trug mir einige Rüffel ein. In Holzlatschen statt Schuhen mit Gummisohlen den Gang zu fegen, das fand ich so was von unpraktisch. Und eine Aufgabe zu einem unpassenden Zeitpunkt zu erledigen, auch wenn danach noch Zeit dafür war – ich sah das nicht ein. Später nahmen die Verweise dann plötzlich ab. Ob ich mit meinen Einwänden sogar recht hatte?
Die Tagwacht um halb fünf Uhr machte mir zu schaffen. Wie ein Fest kam es mir vor, wenn wir am Sonntag erst um halb sechs Uhr geweckt wurden. Ich gewöhnte mich an den regelmässigen Wechsel von Arbeit, Gebet und Erholung – und heute schätze ich ihn. Wir arbeiten nie mehr als zwei Stunden am Stück, beten aber auch nicht während Stunden ohne Unterbruch. Der Rhythmus schont die Kräfte. Von allem etwas, aber von nichts zu viel.
An meiner Einfachen → Profess am 28. Juli 1959 bekam ich den Namen Fidelis. Ich hatte mir verschiedene Namen vorgestellt, Priska, Katharina oder Adelheid. Priska sei ein Modename, und Katharina und Adelheid – na ja! Die frühere Schwester Fidelis, 1943 gestorben, sei eine Fröhliche gewesen und gläubig. Weshalb also nicht wieder eine Schwester Fidelis?
Die Freiheit, meine geistige Freiheit, gab ich im Kloster nie auf. Ich blieb mir selbst treu, vielleicht zu sehr, denke ich manchmal. Ich liess mir nichts aufzwingen, so will ich es formulieren. Geschieht etwas, was ich annehmen muss, dann tue ich es und habe damit keine Schwierigkeiten. Mit Veränderungen in unserem Alltag habe ich manchmal Mühe und denke, ich hätte vielleicht anders entschieden. Aber ich muss es ja nicht verantworten. Das gibt Freiheit. So gesehen bin ich verwöhnt. Äusserliche Freiheiten bedeuteten mir nie viel. Ich musste schon daheim gehorchen und auf andere Rücksicht nehmen. Und ich erfahre ja auch Freiheiten seit ein paar Jahren. Wir können jedes Jahr zwei Wochen in die Ferien fahren, dürfen den Termin, den Ort und die Begleitung auswählen und erhalten hundert Franken Feriengeld zur Pension dazu.
An meinem 29. Geburtstag, am 27. August 1962, wurde ich für immer in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich war angekommen!
Die Glaubenszweifel kamen erst später. Ich kann mir das gut erklären. Erst wenn man so intensiv im Glauben lebt, wenn man Zeit findet, sich darüber Gedanken zu machen, kommen sie. Ich empfand sie aber nie als negativ, im Gegenteil. Vor meinem Klostereintritt hatte ich wohl eher einen Kinderglauben, eingeimpft mit der Erziehung. Es waren nicht Zweifel an der Berufung für das Kloster, sondern am Glauben selbst. Ich fragte mich ernsthaft: Gibt es Gott überhaupt? Durch diesen Prozess muss vermutlich jede Klosterfrau gehen. Ich versuchte, möglichst wenig darüber zu reden, ab und zu die Augen zu schliessen und zu hoffen, es komme wieder besser. Diese Phasen erlebte ich immer mal wieder. Erst jetzt im Alter sind sie weniger geworden. Nach jedem dieser «Abstürze», am Tiefpunkt, konnte in mir drin wieder etwas wachsen. Ich denke, ohne dieses Ringen wäre mein Glaube an der Oberfläche geblieben. Verdrängung und Resignation scheinen mir schlimmer zu sein. Glaube bedeutet für mich zu wissen, dass ich von Gott geliebt bin.
Während vieler Jahre arbeitete ich im Klosteratelier, wo kirchliche Textilien für Pfarreien, die → Paramente, gefertigt werden. Neben dem Weben von Stoffen in Seide, Wolle und Leinen gehörte das Zuschneiden und Nähen von Gewändern dazu. 1966 wurde es fast von einem Tag auf den anderen sehr streng. Schwester Paula, die die Paramentenwerkstatt aufgebaut und jahrelang geleitet hatte, trat aus dem Kloster aus. Wir übrig gebliebene Schwestern hatten zu schauen, dass der Betrieb weiterlief. Unverhofft übergab man mir immer mehr Leitungsaufgaben. Ich wurde verantwortlich für den Materialeinkauf, die Verkaufsstrategie, die Verhandlungen mit den Pfarrherren. Waren das Lektionen für später?
Im April 1988 starb die langjährige Vorsteherin unserer Gemeinschaft, Schwester Raphaela Rast, im Alter von nur 61 Jahren. Ein Schock für uns alle. Ich war mittlerweile 55 Jahre alt. Und ich erinnerte mich, wie ich vor der Einfachen Profess verkündet hatte, nur ins Kloster eintreten zu wollen, wenn ich nie Priorin werden müsse.
Gehorsam hat Priorität! Die geheime Wahl fiel auf mich. Ich wurde Priorin des Klosters Fahr. Tags zuvor war ich noch eine der dreissig Schwestern, und plötzlich trug ich als deren Vorsteherin eine grosse Verantwortung, ohne Vorbereitung und Ausbildung. Das ist im Kloster so. Aber auch damals erlebte ich, wie so oft, eine Kraft, die mir geschenkt wurde. Ich blieb erstaunlich ruhig.
Nun kamen alle Anliegen von aussen an mich heran, auch die Fragen der Schwestern. Es galt etwa, Arbeitseinsätze neu zu regeln, wenn jemand ausfiel. Vieles läuft im Priorat zusammen, die ganze Organisation des Klosteralltags. Und bei Problemen mit Angestellten oder in der Schwesterngemeinschaft war ich natürlich die Anlaufstelle. Ich darf sagen, dass ich immer viel Hilfe von meinen Mitschwestern erfuhr. Aber die Verantwortung lag letztendlich bei mir.
Der Stress kam dann später, als junge Frauen im → Noviziat grosse Schwierigkeiten hatten und ich als Vermittlerin und Verantwortliche gegen innen und aussen nach Lösungen suchen und Kompromisse finden musste. Das war eine belastende Situation, die mich viel Energie kostete. Da waren zwei intelligente Frauen, die sich nicht in unsere Gemeinschaft einfügen konnten. Eine musste ich schliesslich wegschicken, der anderen gaben wir eine zweite Chance. Aber schliesslich trat auch sie aus. In dieser Angelegenheit hatte ich von der Gemeinschaft wenig Rückhalt, was meine Entscheidungen betraf. Das konnte ich auch nicht erwarten, hatten die Schwestern doch kaum Hintergrundinformationen. Die Geschehnisse zehrten an meiner Gesundheit. Die Belastung wurde so gross, dass eine aggressive und sehr schmerzhafte Polyarthritis ausbrach. Sie hatte wohl in mir geschlummert. Ich litt. Nur dank starker Spritzen, die gut wirkten, und Medikamenten, die ich vertrug und heute noch wöchentlich zu mir nehme, bin ich schmerzfrei. Gott sei Dank!
Vieles bleibt in Erinnerung von meinen 15 Jahren als Priorin, zum Beispiel der Brand unserer Scheune 1989. Ein Pyromane hatte in der frühen Morgenstunde des 3. April im Stall Feuer gelegt. Das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder. Glücklicherweise kamen weder Mensch noch Tier zu Schaden. Danach gab es unendlich viel zu tun. Für die Ökonomieverwaltung war damals noch der → Propst zuständig. Das hatte sehr viele Vor-, aber auch Nachteile. So konnte ich als Priorin nicht