Trotz allem - Gardi Hutter. Denise Schmid
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Dennoch geniesst sie die Fasnacht. Es ist die aufregendste Zeit im Jahr. Sich kostümieren, maskieren, in eine andere Rolle schlüpfen, gehört von Kindsbeinen an zu ihren Erfahrungen. Sie lernt und liebt es, sich zu verwandeln, eine andere Person zu werden. Ihre Fantasie wird durch die katholischen Bräuche stark angeregt, davon erzählt sie wiederholt.
«Für uns Kinder war die Fasnacht die schönste Zeit im Jahr, wir haben uns immer wahnsinnig darauf gefreut.» Die Mutter näht den Kindern Kostüme. Mal ist Gardi ein Marienkäfer, mal eine Hexe, dann eine Indianerin. Am schmutzigen Donnerstag geht es los mit dem Kinderumzug um 14 Uhr. Nach dem Umzug tanzen die Jungbutzen und Jungehrendamen auf der Breite eine Polonaise. Anschliessend spielt die Guggenmusik auf dem Rathausplatz auf, und es gibt Suppe. Am Freitag geht es weiter mit Maskenbällen, alle Lokale sind dekoriert. Die Themen lauten «Wilder Westen», «Honolulu», «Hölle» oder «Auf der Alm da gibt’s koa Sünd». Am Samstag findet die «Tschätteri-Nacht» statt. Die Gruppen ziehen mit Musik und beleuchtetem Kopfputz durch die Stadt. Ab 21 Uhr beginnt die Beizentour von Lokal zu Lokal. Auch die Besucherinnen und Besucher sind verkleidet und machen mit. Am Samstagabend trifft man auf dem Frauenhofplatz die furchterregenden Ribelbüüchwiiber mit ihren klobigen Holzzoccoli. Am Sonntag der grosse Festumzug durch die Stadt. Vorneweg die Blaternbutzen, die mit Schweinsblasen auf die Neugierigen einschlagen. Montag ist der zweitletzte Tag, abends wird in einem Riesenfeuer ein Böögg mit eingelegten ohrenbetäubenden Krachern verbrannt. Für die Röllelibutzen und ihre Ehrendamen ist der Fasnachtsdienstag der wichtigste Tag. Frühmorgens gibt es einen Sternmarsch mit anschliessender Polonaise, um 14 Uhr einen weiteren grossen Umzug. Wenn es dunkel ist, wird auf dem Rathausplatz die Abendpolonaise getanzt. Die Fasnacht neigt sich dem Ende zu, um Mitternacht ist der Spuk vorbei. Mit dem Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit.
Zuvor ist die ganze Stadt sechs Tage lang im Ausnahmezustand. Gardi fürchtet sich als Kind vor den wilden Masken, vor den herumspritzenden Röllelibutzen, dem Lärm, aber es geht auch eine grosse Faszination von dem Treiben aus. «An der Fasnacht gingen die Emotionen hoch. Der uralte Brauch, die Winterdämonen und Totengeister zu vertreiben, ist darin noch lebendig, seine Kraft spürbar. Man lacht über das Schreckliche und weiss gleichzeitig, dass man irgendwann stirbt. Man flucht und schreit, säuft und lässt die Sau raus. Einmal im Jahr geht man emotional über seine Grenzen. Diese Erlebnisse von gleichzeitigem Gruseln und Lachen, Erschrecken und Feiern haben mich geprägt. Da wurde in meiner Kindheit ein Same gelegt.»
In der katholischen Primarschule für Mädchen in Altstätten, 1960. Gardi steht in der obersten Reihe, rechts neben der Lehrerin.
Als Sechstklässlerin in der Klasse von Herrn Schwarz (oberste Reihe, 3. von links).
Gardi 1962 als «Braut Gottes» bei der Erstkommunion. Sie fühlt sich im langen, weissen Kleid wie eine Prinzessin. Danach fliessen Tränen; sie muss sich umziehen, weil die Familie ins Ferienhaus fährt.
Die neunjährige, ausgelassene Gardi im Sommerlager ihrer Schule 1962 in Riom im Bündnerland. Die Liebe zu den Bergen wird auch im Elternhaus gepflegt und begleitet sie bis heute.
Fasnacht in Altstätten: Für Gardi ist das als Kind die schönste Zeit des Jahres, und das wilde, fantasievolle Treiben hat einen prägenden Einfluss auf sie. Sie empfindet aber auch die Ungerechtigkeit, dass sich nur Buben und Männer als Röllelibutzen verkleiden dürfen.
Sonntagsspaziergang am Bodensee in den 1960er- Jahren mit Familienhund Rexli. Gardi und Gilbert, ordentlich gekleidet, so wie es die Mutter mag.
Das Modehaus floriert, und Hutters können sich am Hang über Altstätten ein neues Haus mit Planschpool im Garten bauen. Hinten links Irma Hutter, in der Mitte vorne Gardi Hutter.
VIER KINDER UND EIN BADETUCH
In Gardi Hutters Kindheit gibt es viel Auslauf und Bewegung, Spiel und Sport. Der Körper ist immer nur dann völlig tabu, wenn es um Nacktheit oder Sexualität geht. Und obwohl sie mit drei Brüdern aufwächst, sieht sie, bis sie 17 Jahre alt ist, nie einen nackten Männer- oder Bubenkörper. Die Mutter bringt das Kunststück fertig, dass Gardi selbst den kleinen Bruder Gilbert nie unbekleidet sieht. Einmal pro Woche baden die vier Kinder gemeinsam im selben Badewasser, erst die beiden älteren Brüder, anschliessend Gardi zusammen mit Gilbert. Und wie geht das, gemeinsam in derselben Wanne, ohne dass man einander nackt sieht? Bruder und Schwester müssen sich Rücken an Rücken in die Wanne setzen und nacheinander einzeln aussteigen, sich abtrocknen lassen und verschwinden, bevor der andere aufsteht. Bruder Erwin erzählt, dass dieses Prozedere auch für ihn und Fredi gegolten habe. Er habe mit dem Bruder auch Rücken an Rücken gebadet und ihn nie nackt gesehen. Das Badetuch ist immer schon recht feucht, wenn Gardi als Dritte an der Reihe ist, aber eines muss reichen für die vier Hutter-Kinder, auch als sie heranwachsen. Man ist, wie gesagt, sparsam im Kleinen.
Irgendwann wird das Haus an der Trogenerstrasse für Familie und Laden zu klein, und die Eltern haben mittlerweile die nötigen Mittel, um sich ein Haus zu bauen. Sie kaufen ein schönes Grundstück, etwas erhöht am Hang über Altstätten. Es ist neues Bauland, und sie sind die Ersten auf der Wieswanne, mit weiter Sicht über die Gemeinde, das Rheintal und auf die umliegenden Berge. 1965 ist der einstöckige Bungalow mit vier Schlafzimmern und grosszügigem Wohnesszimmer bezugsbereit. Gardi erhält wieder ihr eigenes Zimmer und der älteste Sohn Erwin nun auch. Fredi und Gilbert teilen sich weiterhin einen Raum.
Das Ferienhaus auf dem Ruppen, das in der Nähe liegt, wird verkauft. Nun konzentriert sich alles auf das neue Heim. Die Eltern pflanzen ausgiebig Gemüse ums Haus an, werden beinahe zu Selbstversorgern – die bäuerliche Herkunft verschwindet nie ganz. Der Vater legt im Garten, so wie schon auf dem Ruppen, wieder einen kleinen Pool für die Kinder an.
Das neue Einfamilienhaus ist zwar moderner und schöner als das frühere Haus mit Laden und Wohnung, aber Gardi fehlen die Spielgefährten aus der Altstadt, und der Schulweg ist einiges länger. Nicht weit entfernt liegt der kleine Waldpark, dort lässt es sich immerhin noch spielen, und auch auf dem nahe gelegenen Bauernhof ist sie gerne. Aber sie sagt, die Fremdheit, die sie schon früh als Kind gespürt habe, sei am neuen Wohnort noch grösser geworden. Wenn sie von oben auf die Stadt schaut, sieht sie unten das einzige Hochhaus von Altstätten, das alles überragt, und stellt sich vor, wie viele Kinder es dort geben muss und wie herrlich es wäre, dort zu wohnen und oben und unten Spielkameraden zu haben. «Ich wäre auch gerne ins Waisenhaus gezogen, das gleich neben unserer Primarschule lag und an dessen hohem Zaun ich oft hing und sehnsüchtig die spielenden Kinder beobachtete. Ich hatte ja keine Ahnung, wie es in einem Waisenhaus zuging. Ich sah nur, dass dort ganz viele