An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière. Группа авторов

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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière - Группа авторов Serie Ares

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einer so grossen Zahl von ausgebildeten Reserven rechnen zu können, dass sich schon bald die Frage nach einem entsprechenden Organisationsrahmen stellte. Conrad forderte denn auch die Schaffung einer Reservearmee. Bei den Planungen zeigte sich der Generalstab zurückhaltender als die zuständige 10. Abteilung des Kriegsministeriums, die bereits für 1915 die Aufstellung von Reservetruppen ins Gespräch brachte, während der Generalstab im Januar 1914 davon ausging, ab 1918/19 erste Feldformationen und ab 1925 voll ausgestaltete Reservedivisionen bereitstellen zu können.16 Noch nach den ersten Feldzügen, Anfang November 1914, regte der Kriegsminister an, aus Besatzungen der Donaubrückenköpfe zwei bis drei Reservekorps zu bilden. Conrad lehnte dies ab, weil es ihm «viel rationeller erschiene, alles, was wir an Offizieren und Mannschaften verfügbar hätten, in die bestehenden Formationen einzureihen, um diese auf möglichst hohem Stande zu erhalten und deren grosse, durch Gefechts- und Krankheitsverluste verursachte Abgänge zu decken.»17

      Weil bis zum Kriegsausbruch jenseits mittel- bis langfristiger Überlegungen noch wenig passiert war, wurde nun «der Versuch unternommen, mit den Marschformationen eine Art Reservearmee zu improvisieren, indem man sie in Marschregimenter und Marschbrigaden formierte und als Kampftruppe verwendete. Der Versuch zeitigte kein günstiges Ergebnis; unzulänglich ausgerüstet – sie besassen keine Maschinengewehre und so gut wie keine Artillerie – konnten sie trotz bestem Willen, Hingabe und Opfermut den Anforderungen als Kampftruppe nicht gewachsen sein und gingen überdies zum grossen Teil infolge beträchtlicher Verluste ihrem eigentlichen Zwecke, dem Ersatz der Verluste bei ihren Truppen, verloren.»18 Das Experiment wurde rasch beendet und nun stand zusammen mit dem Landsturm auch noch das ganze übrige Reservoir Ausgebildeter für den Fronteinsatz zur Verfügung. «Einen Vorteil hatte die Sache» daher «allerdings: Es standen verhältnismässig zahlreiche Ersätze für eingetretene Verluste zur Verfügung. Diese waren nun freilich bedeutend.»

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      Einrücken von Ersatztruppen in Folwarki Waga, vermutlich 1916. (Österreichische Nationalbibliothek)

      In der Tat: Mit insgesamt 2,7 Millionen Offizieren und Soldaten lagen die Verluste schon im ersten Kriegsjahr besonders hoch, aber auch im zweiten Kriegsjahr mit 1,8 Millionen sowie im dritten und vierten Jahr mit zusammen rund 2,9 Millionen waren die vom Krieg gerissenen Lücken in den Truppenständen und im Offizierskorps gewaltig. In Kämpfen fielen insgesamt 530 000 Mann, davon über 270 000 schon in den ersten zwölf Monaten des Kriegs.19 Den eigentlichen Tiefpunkt an militärischer Schlagkraft erlebten Österreich-Ungarns Landstreitkräfte Anfang 1915. Gerade einmal eine gute halbe Million «Feuergewehre» – also einsatzfähige Kämpfer – zählte die Militärstatistik. Die desaströse Karpatenoffensive forderte dann so viele Opfer, dass bis zum Frühjahr 1915 bereits 2 Millionen Verluste zu beklagen waren.20 Diese Lücken zu füllen wurde zur Herausforderung der militärischen wie der zivilen Administration. Es genügte nicht, die jeweils neu leistungspflichtig werdenden Jahrgänge zu erfassen und möglichst weitgehend einzuziehen, sondern es wurde nun nötig, alle älteren Jahrgänge nachzumustern und den Pool der zahlreichen nicht Ausgebildeten möglichst komplett zu nutzen, aber auch die Landsturmpflicht 1915 um acht Jahre zu verlängern. Unter Einbeziehung von Genesenen, die wieder verwendungsfähig geworden waren, konnten so in den ersten drei Kriegsjahren jeweils rund 2 Millionen Mann aufgebracht werden. Ganz selbstverständlich wurde der Begriff «Menschenmaterial» benutzt, wenn es um die solcherart sichergestellten Ressourcen zur Fortsetzung des Krieges ging – ganz analog zum Waffen- und Munitionsmaterial, das ebenfalls in grossem Umfang verbraucht wurde und zu ersetzen war, sollte ein Zusammenbruch der Front verhindert werden.

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      Friedhof in Mahala, um 1915. (Österreichische Nationalbibliothek)

      Es fehlte zunehmend auch an Offizieren. Die hohen Verluste unter den an der Front eingesetzten Berufsoffizieren – von denen jeder fünfte fiel –, die häufig über gute oder wenigstens leidliche Kenntnisse in mehreren Regimentssprachen verfügten, machten zudem die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Untergebenen nicht leichter. Erschwerend wirkte sich aus, dass auch das Berufsunteroffizierskorps schon in der Anfangsphase des Kriegs viele Tote und Verletzte zu beklagen hatte und damit ein wesentliches Bindeglied zwischen den Sprachkulturen der Truppe und der kulturell zumeist deutsch, gelegentlich auch magyarisch geprägten Militärelite fehlte. Reserveoffiziere mussten schon gegen Ende 1914 die Lücken im Führungspersonal füllen. Bei ihnen war die Ausrichtung auf die Gesamtmonarchie, das Bewusstsein für die übernationalen Traditionen der Armee und oft auch die Kenntnis der Regimentssprachen schwächer ausgebildet. Potentielle Probleme mit dem Einsatz von Reserveoffizieren blieben der Militärführung schon in der Frühphase des Kriegs nicht verborgen. Manchmal spielten bei der Einschätzung ethnische Zuschreibungen eine Rolle, nicht zuletzt im Hinblick auf die jüdischen Reserveoffiziere. Antisemitismus hatte im politisch-sozialen Leben der Habsburgermonarchie, insbesondere in der österreichischen Reichshälfte, längst einen festen Platz, als der Krieg ausbrach. Im Berufsoffizierskorps der k. u. k. Armee gab es kaum Juden; das war aber kein Hinderungsgrund, im Sinn antisemitischer Denkmuster missliebigen Standesangehörigen jüdische Vorfahren zum Vorwurf zu machen. Zugleich aber gab es, anders als in Deutschland, keinen Versuch, Juden aus dem Reserveoffizierskorps auszusperren. Bildungs- und Vermögensverhältnisse führten im Rahmen des Einjährig-Freiwilligen-Privilegs daher dazu, dass bei Kriegsbeginn beinahe ein Fünftel der Reserveoffiziere Juden waren. Drückebergerei und mangelnde Autorität wurden ihnen in internen Berichten schon nach den ersten Kriegswochen nachgesagt.21 An der Qualität der Reserveoffiziere hatten beim Generalstab vor Kriegsbeginn Zweifel geherrscht.22 Die Erhebung von Informationen zur Leistungsfähigkeit der Reserveoffiziere war denn auch Teil einer systematischen Sammlung von Erfahrungen aus den ersten Kriegsmonaten.23 Martin Schmitz hat diese Erfahrungsberichte als Erster analysiert und ausgewertet. Die Berichte erlauben Einblicke in ein breites Spektrum an Problemlagen. Dazu zählen nicht zuletzt die Fragen nach den Stärken und Schwächen der verschiedenen Ebenen des Offizierskorps, des Verhältnisses zur Truppe und zur Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit bestimmter Einheiten. Die Anfang 1915 systematisch eingeholten Berichte boten aber auch Anhaltspunkte für eine Reform der Landstreitkräfte, ein Thema, das in unterschiedlichen Varianten und mit unterschiedlichen Protagonisten fast bis zum Kriegsende diskutiert werden sollte.24

      Auch die deutschen Verbündeten kommentierten die Qualitätsmängel im Offizierskorps der k. u. k. Armee und machten sich Gedanken über mögliche Verbesserungen. Major Graf Bethusy Huc rügte in einem Erfahrungsbericht am Offizierskorps der k. u. k. Armee die mangelnde Initiative und die Umständlichkeit bei der Befehlsausgabe. Letztlich attestierte er den Verbündeten Verantwortungsscheue und ein zu stark ausgeprägtes Streben danach, sich das Wohlwollen der Vorgesetzten zu sichern. Unter den Verbesserungsvorschlägen war die Empfehlung, durch weniger häufige Versetzungen «mehr Spezialisten für die einzelnen Volksgruppen» zu gewinnen. Die aus deutscher Sicht so erschreckend komplizierte Kommunikation zwischen Offizieren und Mannschaften einer Vielsprachenarmee sollte durch diese Massnahme im Verein mit ethnisch homogeneren Regimentern erleichtert werden. «Mittel und Mass der Ausbildung des einzelnen Mannes», so Bethusy Huc, seien «je nach seiner völkischen Eigenart [zu] bestimmen».25

      Harsche Kritik am Offizierskorps konnte sich auch mit der Ablehnung der in der k. u. k. Armee geübten Praxis verknüpfen, die Verluste unter den Mannschaften auszugleichen.Es bürgerte sich rasch ein, dass jedem Regiment pro Monat ein Marschbataillon zugeschoben wurde, eine Regelung, die zwar die Organisation der Ergänzungen standardisierte und insofern erleichterte, die aber zugleich schematisch war und dem eigentlich je nach Lage des Verbandes sehr unterschiedlichen Ersatzbedarf der betroffenen Einheiten nicht Rechnung trug.26 Diese strukturelle Schwäche fiel auch den Verbündeten ins Auge. Die kritische Sicht auf ein Defizit der Organisation mischte sich allerdings dabei gerne auch mit Urteilen über andere Charakteristika der Armee Österreich-Ungarns. Das weitreichende Versagen der k. u. k. Armee im Jahr 1916, so urteilte der deutsche General Johannes von Eben, dessen Verband zur Unterstützung der

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