An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière. Группа авторов

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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière - Группа авторов Serie Ares

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Verratsrhetorik ehemaliger Offiziere, deren Entlastungsfunktion offenkundig ist, wirft die Geschichte der Streitkräfte in «Österreich-Ungarns letztem Krieg»3 die Frage auf, ob multinationale Armeen in der Moderne nicht grundsätzlich besonders verletzlich sind. So einfach, wie es die «kakanische» Variante der Dolchstosslegende suggeriert, lagen die Dinge dabei allerdings nicht. Das lässt sich gut am wichtigsten Belegstück dieser Denkschule zeigen, den Tschechen. Christian Reiter und Richard Lein haben detailliert nachgewiesen, dass von einer besonderen Unzuverlässigkeit tschechischer Soldaten keine Rede sein konnte. Führungsfehler oder schlechte Versorgung erklären die Fälle von Desertion, massenweiser Kapitulation oder Meuterei zumeist hinreichend. Nationale oder nationalistische Motive standen hingegen deutlich im Hintergrund, auch wenn der Mythos tschechischer Insubordination oder gar tschechischen Überläufertums als Massenphänomen sowohl der tschechischen Nationalbewegung als auch der Führung der k. u. k. Armee mehr als gelegen kam – aus entgegengesetzten Gründen, aber mit dem gleichen, die Erinnerungskultur lange prägenden Resultat.4 Rudolf Kucera hat allerdings auch konzise herausgearbeitet, dass die nationale Perspektive die Kriegserfahrung vieler tschechischer Soldaten doch immer stärker prägte, je länger der Krieg dauerte, je häufiger Diskriminierungserfahrungen wurden und natürlich auch je schlechter die Kriegslage erschien.5 Auch wenn es bei Soldaten aus den nichtprivilegierten Nationen der Doppelmonarchie immer wieder zu einzelnen Problemfällen kam, so blieben doch die Einsatzfähigkeit und der Gehorsam der Truppen über Jahre hinweg bemerkenswert stabil. Die Angst, die multiethnische Armee könnte rasch auseinanderbrechen, die mit dazu beigetragen hatte, 1914 den Krieg zu wagen, solange die Nationalisierung der Streitkräfte noch nicht weiter vorangeschritten war, erwies sich als unbegründet – zweifellos ein Fall von Ironie der Geschichte. Erst in der Schlussphase des Kriegs, als es auf eine erneute moralische wie materielle Mobilmachung anzukommen schien, erwies sich Österreich-Ungarn als vergleichsweise schwach, die Armee als nationalistischer Propaganda gegenüber zumindest teilweise anfällig. Mark Cornwall konnte jedoch zeigen, dass dieser Wandel eben wirklich erst sehr spät manifest wurde, trotz der antiösterreichischen Propagandakampagnen vor allem an der italienischen Front.6

      Das ist umso bemerkenswerter, als die Versorgungslage sich im Laufe des Kriegs, vor allem aber seit Herbst 1917 dramatisch verschlechterte. Dies galt nicht nur für das Hinterland, wo vor allem in der österreichischen Reichshälfte der Hunger immer schärfere Formen annahm, sondern es betraf zunehmend auch die Truppen der Habsburgermonarchie. Weder die militärisch abgestützte Ausplünderung der Ukraine, mit der sich etwa Wolfram Dornik befasst hat, noch die konsequente und in Massen auch erfolgreiche Exklusivnutzung des besetzten Serbiens als Speisekammer der Armee, wie Jonathan Gumz gezeigt hat, boten hier ausreichende Abhilfe.7 In der letzten Kriegsphase wurden die Lebensmittel so stark rationiert, dass an der Südwestfront Kampftruppen in Gefahr gerieten zu verhungern. Dass sich solche Bedingungen auch auf die Schlagkraft und schliesslich auf die Kampfmoral auswirkten, ist nachvollziehbar. Die Zerfallserscheinungen der k. u. k. Armee gegen Kriegsende waren mit grosser Sicherheit nicht nur von der Ungewissheit über den Fortbestand des Imperiums und von der Politisierung ethnisch-nationaler Konflikte verursacht, sondern auch der Erschöpfung der mangelhaft ernährten, bekleideten und mit Waffen, Munition und Transportmitteln versorgten Truppe geschuldet. Als Begründung für die Niederlage eignete sich der Topos von der entscheidenden Wirkung der ethnisch-politischen Konfliktlinien in Heer und Imperium, und er wurde von ehemaligen Offizieren der k. u. k. Armee gerne bemüht, aber selbst in der offiziellen Kriegsgeschichtsschreibung bestand die Einsicht: «Der grösste Feind des guten Geistes im Heere war – das muss immer wieder betont werden – die wirtschaftliche Verelendung der Soldaten. […] Hunger, Mangel am Nötigsten auf allen Gebieten und Krankheiten unterschiedlichster Art öffneten nur zu leicht den erdenklichsten [sic] Einflüssen die Türe zu den Soldatenseelen.»8

      Scheidet also die Schwächung durch nationalistische Strömungen als direkte Ursache für die vielen Rückschläge aus, die die k. u. k. Armee über den Gesamtverlauf des Kriegs hinweg erlitt, so harrt die Frage nach den Ursachen der gerade im Vergleich zum deutschen Verbündeten wenig erfolgreichen Kriegführung Österreich-Ungarn einer schlüssigen Antwort. Die ökonomischen Rahmenbedingungen, Probleme der zivilen Verwaltung oder die Koordinationsprobleme zwischen dem Königreich Ungarn und Österreich waren für die defizitäre Versorgungslage, die gegen Kriegsende in Teilen Österreichs und, wie erwähnt, selbst bei den Truppen an der Front katastrophale Züge annehmen konnte, in erster Linie verantwortlich. Die k. u. k. Armee und ihre Führung hatte darauf eher indirekten Einfluss, etwa im Hinblick auf die Anforderung von Arbeitskräften oder die Beanspruchung von Transportkapazitäten. Zur Erklärung der vielen militärischen Misserfolge vor dem letzten Kriegsjahr ist die Lebensmittelversorgung ohnehin nicht geeignet. Die Rüstungswirtschaft der Habsburgermonarchie wies Schwächen auf und konnte den Bedarf nicht immer decken. Dies galt in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht. Bei Kriegsbeginn fehlte es an Gewehren, bald gab es auch Engpässe beim Munitionsnachschub für die Artillerie, und vor allem in der Anfangsphase galt es, möglichst schnell zur Ausstattung der gegnerischen Truppen mit Feldgeschützen aufzuschliessen.9 Unter dem Zeitdruck des Kriegs wurde dem raschen Schliessen von Rüstungslücken der Vorzug vor technischen Innovationen gegeben, etwa bei der Wahl der Geschütze oder der Bereitstellung von leichten Maschinengewehren.10 Wie Christian Ortner gezeigt hat, liess sich allerdings relativ bald gerade die Geschütz- und Munitionsproduktion steigern. Die katastrophale Unterlegenheit bei der Bestückung der Verbände mit Feldartillerie, die zu Anfang vor allem an der Galizien-Front verheerende Folgen zeitigte, konnte behoben werden. Mit 2600 Geschützen rückte das Feldheer 1914 aus; Ende 1915 waren bereits über 4500 Geschütze vorhanden, davon allein 2300 im Südwesten; Ende 1916 waren es insgesamt 6200, bei Kriegsende sogar 8500 Geschütze. Auch die Ausstattung mit Maschinengewehren war von Beginn an gut und umfasste Ende 1915 2800 Stück. Erst die letzten eineinhalb Kriegsjahre führten dann wieder zu neuen Engpässen.11

      Anders als im Fall der Lebensmittelversorgung bestand vor allem bei der Artillerierüstung auch schon in den ersten Kriegsmonaten ein gravierender Nachteil für die Operationsfähigkeit der k. u. k. Armee und nicht erst im letzten Kriegsjahr. Die Verantwortung für das Fehlen moderner Feldhaubitzen und die geringe Ausstattung mit Feldkanonen trugen keineswegs nur die sparsamen Politiker der Vorkriegszeit, sondern auch die Militärführung, die bei der Ressourcenallokation andere Prioritäten gesetzt hatte, die sich nicht zuletzt aus der Absicht erklären lassen, auf einen Krieg gegen Italien vorbereitet zu sein.12 Für das zweite, dritte und selbst für das vierte Kriegsjahr waren die so bereits vor 1914 angelegten Defizite der Artillerierüstung aber weniger entscheidend. Bei der Personalrüstung lagen die Dinge zwar anders, aber auch hier galt, dass zumindest bis zur Wehrreform 1912 den Politikern die Schuld für das geringe Kräfteaufgebot 1914 zugesprochen werden konnte – ganz im Sinn Conrads und der früheren Armeeelite urteilte Maximilian Ehnl in einem Ergänzungsheft zum offiziellen österreichischen Weltkriegswerk daher:

      «Die zur Bewilligung des Rekrutenkontingents berufenen Volksvertretungen beider Reichshälften haben in unverantwortlicher Kurzsichtigkeit und Verständnislosigkeit nie die volle Ausnützung der Volkskraft auch schon im Frieden ermöglicht. Mit einem jährlichen Ersatz von 159 500 Mann für das k. u. k. Heer, von 7200 Mann für die bosnisch-herzegowinischen Truppen, von 24 717 Mann für die k. k. Landwehr und von 25 000 Mann für die k. u. Honvéd war an eine Erhöhung der Stände nicht zu denken; man musste froh sein, wenn das Bestehende erhalten und die für zeitgemässe Gestaltung notwendigen Neuaufstellungen an schwerer Feldartillerie und technischen Truppen durchgeführt werden konnten.»13

      Die – durchaus zutreffend geschilderten – Folgen der verspätet einsetzenden und nicht sehr weitreichenden Verstärkung der Personalrüstung erwiesen sich in der Tat als schwerwiegende Belastung für die Kriegführung der Habsburgermonarchie, und zwar mindestens für die ersten drei Kriegsjahre. Allerdings waren die niedrigen Stände auch darauf zurückzuführen, dass sich Österreich-Ungarn bereits im Frieden verhältnismässig (zu) viele Verbände leistete.14 Dementsprechend wurden während des Kriegs im Vergleich zu Deutschland nur spät und in geringem Umfang neue Divisionen aufgestellt. Bei der relativ überdehnten Organisationsstruktur führte die geringe Anzahl ausgebildeter Rekruten

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