Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
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Im Kontext der Medienentwicklung des 20. Jahrhunderts fällt auf, dass das Bild hier zunehmend die Funktionen der Bezeugungsinstanz69 und der Bindung von Aufmerksamkeit70 (etwa im Sinne phatischer Kommunikation) übernimmt – und darin hinter den eigentlichen Potenzialen der Bildmächtigkeit zurückbleibt. Gleichwohl steht solch eine Entwicklung auch einer ganzen kulturgeschichtlichen Reihe von „Pictorial Turns“71, in denen die eine eindeutige Abgrenzung von bildlichen und sprachlichen Elementen ebenso problematisch wäre wie eine eindeutige Bestimmung visueller Medien in der Moderne.
In einer Mediengesellschaft, in der die Bildmedien zu einer dominierenden Stellung gelangen,72 findet sich die katholische Kirche in einer ungewohnten und vieldimensionalen Situation wieder: Hochformen barocker Kirchengestaltung, eine ungebrochene Spiritualität der Ikonographie und eine sinnenfreudige Liturgie gehen hier mit einer ins Geheimnisvolle changierenden Intransparenz organisationaler Abläufe ein Gemenge ein, das Raum für Verschwörungstheorien und Vorlagen für fiktive Romane bietet. Ist die katholische Kirche damit tatsächlich eine ideale Medienreligion? Stimmt die Annahme, müsste sich damit ein großes Evangelisationspotenzial verbinden. Das ist jedoch kaum zu beobachten.
Dass sich eine Bild-Religion in einer auf Bilder ausgerichteten Mediengesellschaft erkennbar schwertut, ihre Rolle zu finden, könnte in einem Paradox begründet sein: Während die klassische ikonographische Bedeutung des Bildes darin liegt, Menschen in andere Welten und komplexe religiöse Wirklichkeiten zu führen, besteht die Funktion des Bildes in modernen Mediengesellschaften gerade in der Reduktion von Komplexität und der Steigerung von Verständlichkeit.
Die katholische Kirche vermag zwar nach wie vor, in der klassischen Logik des Bildes zu agieren. Sie ist aber durch die visuelle Praxis der Postmoderne herausgefordert, sich auf gesellschaftliche Mechanismen einzulassen, von denen ihre eigenen Mitglieder und verantwortlichen Akteur_innen ohnehin auch selbst geprägt sind.
Insofern Aufmerksamkeit73 eine bestimmende Währung in einer Mediengesellschaft darstellt, scheint sich dabei für den bilderfreudigen Katholizismus tatsächlich ein großes Anknüpfungspotenzial zu ergeben. Begleitet wird dieses Potenzial jedoch von bitterer Ernüchterung: der medial-bildlichen Inszenierung von Papstwahlen74, Papst-Requien oder auch einer Fülle von sympathischen Bildern im Pontifikat Papst Franziskus steht eine optische Realität in Diözesen, Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen gegenüber, die vor allem als Professionalitätsdefizit erlebt wird.75 Die Wahrnehmung kirchlicher Optik vor Ort bleibt in der Regel genauso hinter dem eigenen Anspruch zurück, die Verkündigung des Reiches Gottes zumindest zu unterstützen, wie dies in weltkirchlichen Bezügen zu beobachten ist (z. B. bei Weltjugendtagen). Die hier erkennbare Herausforderung wurde in den Skandalen um den Bau des Limburger Bischofshauses unübersehbar, in dem neben vielen Problemstellen auch die Kehrseite der optischen Affinität der katholischen Kirche erkennbar wurde: das Bild einer luxuriösen Sanitäreinrichtung wurde zum Negativsymbol einer verschwendungssüchtigen und klerikalistischen Institution, die zentrale Elemente ihrer eigenen Botschaft konterkariert.
Der Soziologe Hans Jonas wie auch der Medientheoretiker Vilém Flusser sehen in der menschlichen Fähigkeit, aus dem gesehenen Gegenstand durch Vorstellungskraft und Imagination ein Abbild zu schaffen, das Prinzip menschlicher Kommunikation überhaupt.76
Mit der gesellschaftlich zunehmenden Bedeutung digitaler Medien steigern sich auch die Inszenierungstendenzen77, also auch die Bedeutung des Visuellen. In der Stellungnahme „Virtualität und Inszenierung“ der Publizistischen Kommission der DBK wird diese Bedeutung des Bildes aufgegriffen und in medienethischer Einordnung reflektiert.
Eine besondere Rolle kommt in der Entwicklung medientheoretischer Ansätze der Fotografie78 zu, mit der sich etwa Walter Benjamin (1892–1940) in seiner „Kleinen Geschichte der Photographie“79 beschäftigt.80 Ihm ist auch der technische Fortschritt wichtig, der sich zunächst vor allem aus der Reproduzierbarkeit des Bildes ergibt, vor allem aber eine Geschichte des Lesens von Fotografie. Bestandteil dieses Lesens ist die Wahrnehmung der Aura der Fotografie, die eng mit der Welt bürgerlicher Aufstiegshoffnungen des 19. Jahrhunderts, dem Interesse an Inszenierungen und der Positionierung zwischen Kunst und Technikeuphorie verbunden ist.81 Mit ihm entsteht zudem ein Bewusstsein für die Bedeutung der Reproduktion.82
Sie bewirkt im 19. Jahrhundert nicht nur eine grundlegende Diskussion über den Kunstbegriff der Fotografie beziehungsweise den durch sie veränderten Kunstbegriff. Diese Auseinandersetzung wiederholt sich im 20. Jahrhundert im Umgang mit dem Film und der Entstehung der Filmtheorie83.
Gerade die Reproduzierbarkeit des Bildes in der Fotografie ermöglicht zunächst eine archivarische Funktion (etwa in der Popularität von Familienfotografien und Porträts84), später auch eine dokumentarische Funktion (im Aufkommen von Kameras in Privatbesitz und ihrer Verwendung im Zweiten Weltkrieg). Einerseits wird die Fotografie in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts zu einem Teilgebiet des Journalismus. Andererseits etabliert sie sich im Kontext der modernen Kunst85 und ordnet sich so in die Kulturgeschichte86 ein. Es kommt also zu einer deutlichen Weitung eines auf technische Bezüge reduzierten Fotografie-Verständnisses.87
Schließlich wird auch die Fotografie durch die Entwicklung der Digitalisierung grundlegend verändert, und dies nicht nur hinsichtlich der technischen Weiterentwicklungen und der Arbeitsbedingungen innerhalb des Fotojournalismus. Die Möglichkeiten, mit einem einfachen Smartphone relativ hochwertige Spontanaufnahmen anzufertigen und eigene Fotoaufnahmen auf Online-Plattformen wie www.flickr.com oder www.photocase.com anzubieten und zu vermarkten, erzeugt neue bildethische Fragestellungen,88 macht die Fotografie zu einem Feld der digitalen Massenkultur und erschwert die Profilierung professioneller Berufsbilder. Insbesondere die breite gesellschaftliche Etablierung von „Selfies“ mit Hilfe von mobilen Digitalgeräten (in der Regel Smartphone oder Tablet) kann zu einer philosophischanthropologischen Reflexion des Fotos in seiner Bedeutung für die Selbstwahrnehmung und die Inszenierung in der Öffentlichkeit führen.89
2.2. Wie ticken die „Digital Natives“?
Jüngere Bevölkerungsgruppen, zu deren Kindheitserfahrungen spätestens ab der Grundschule, häufig aber schon im Vorschulalter die Nutzung von digitalen Medien und mobilen Kommunikationsgeräten gehören, werden im Rückgriff auf Marc Prensky, John Palfrey und Urs Gasser90 als „Digital Natives“ bezeichnet. Häufig werden sie in soziologischen Ansätzen mit der „Generation Y“91 identifiziert und mit leichten Divergenzen in den Geburtsjahrgängen ab (!) 1980 verortet. Insbesondere die selbstverständliche Nutzung digitaler Medien,92 aber darüber hinaus auch andere soziologische Merkmale, wie ein verändertes Bewusstsein für ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit93 (Work-Life-Balance) oder Veränderungen im Konsumverhalten (abnehmende Bedeutung von immobilen Statussymbolen) bewirken in vielen Ansätzen eine scharfe Kontrastierung gegenüber älteren Bevölkerungsgruppen.94
In Verbindung mit dem technischen Fortschritt, der auch eine mobile Nutzung digitaler Medien ermöglichte, lässt sich beobachten, dass kein gesellschaftlicher Bereich moderner Gesellschaften von dem Einfluss digitaler Medien unbeeinflusst geblieben ist und bleibt. Eine Gegenüberstellung von digitaler und realer Welt, oftmals verbunden mit einer Wertung und häufig auch einer romantisierenden Verklärung der Vergangenheit („Wir haben uns früher noch ohne WhatsApp und Handy vor dem Freibad verabredet!“) erscheint kaum noch plausibel. Besondere Fokussierungen erfolgen in der Regel mit Blick auf generationsspezifische Lebensformen und Konsequenzen für die Arbeitskultur und das Arbeitsverständnis.95
Die selbstverständliche Nutzung digitaler Medien ist für Prensky