Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler
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Dem Gebet bei Edith Stein widmet sich schon zwei Jahrzehnte zuvor die Darstellung von Veronika Schmitt OCD, die das Steinsche Gebet als „Lebensprozeß“ in den Blick nimmt.135 Die Karmelitin arbeitet im Jahre 1982 insgesamt sieben136 biographische Entwicklungsphasen heraus, die der Autorin schließlich retrospektiv als „Kreuzwegstationen“137 erkennbar werden. Zwischen diesen Stationen geschieht nicht nur jeweils nach außen hin eine biographische Wandlung, auch innerlich setzen sich Entwicklungsvorgänge durch. Diesen führen als „innerer Weg“138 durch Nacht- und Kreuzerfahrungen schließlich zum Licht und zur Teilhabe an der Auferstehung Jesu Christi.139 Der Beitrag dieser Studie zum Verständnis des Betens bei Edith Stein besteht darin, dass die großen Linien ihrer geistigen Existenz in knapper und prägnanter Form gezeichnet und in ihrem Fluchtpunkt der Kreuzesberufung und – nachfolge Edith Steins gebündelt dargestellt werden. Desgleichen kann die Untersuchung Schmitts dafür sensibilisieren, wie Individuationsprozesse und biographische Entwicklungen Edith Stein sukzessive in eine vertiefte geistliche Existenz führten.
Phasen der religiös-geistlichen Entwicklung werden auch in biographischen Übersichten zum Thema, die sich in Studien von Felix Maria Schandel OCarm140 und Francisco Javier Sancho Fermín OCD141 finden. Bei Schandel geschieht dies jedoch ohne explizit auf einzelne Gebetsformen einzugehen.142 Fermín greift das Gebet Edith Steins ausdrücklich in knapper Form vor allem auf in Rahmen seiner Betrachtung über den „Karmel als konkreter Rahmen des Seinsvollzugs“143. Dort lenkt er den Blick auf die „Mystik des Alltags – Gebet, Meditation, Kontemplation“144 und die Aspekte „Arbeit der Selbstüberwindung“145, „Gemeinschaftsleben“146 und „Das Schweigen“147. Schon zuvor kommt er einschlussweise auf das Gebet zu sprechen im Rahmen seiner breiten Darstellung des Steinschen Weges „Von der Philosophie zur Mystik“.148 In der Entfaltung der historischen und der damaligen zeitgenössischen karmelitischen Tradition, in deren Rahmen die geistliche Entwicklung Edith Steins zu situieren ist, und in der Darstellung der „Grundinhalte der mystischen Philosophie“149, die Fermín mit einer Darstellung der „Karmelitischen Grundzüge der mystischen Philosophie Edith Steins“150 verbindet, liegt der Beitrag dieser Studie zur Frage nach dem Gebet bei Edith Stein. Auf den Beitrag von Maria Amata Neyer OCD151 zum geistlichen Text „Das Gebet der Kirche“ braucht an dieser Stelle der vorliegenden Studie nicht ausführlicher eingegangen werden, da dies noch im Rahmen der Besprechung des genannten geistlichen Textes geschehen wird.152 Neyer beleuchtet Einflüsse der zeitgenössischen Reformbewegungen und stellt biblische Bezüge heraus, die sich im Beitrag Steins als einem aus jüdischer Tradition und Frömmigkeit herkünftigem Menschen aufweisen lassen.
Über die genannten Studien hinaus sind bisher drei Abhandlungen erschienen, die das geistliche Leben bei Edith Stein in systematischer Perspektive sichten und dabei dem Thema Gebet das Interesse zuwenden. Diese Beiträge illustrieren biographische oder themengeschichtliche Zusammenhänge und konturieren Schwerpunkte der Spiritualität Edith Steins. Alle drei Studien lassen instruktive Ansätze erkennen, die in der Zusammenschau wichtige Akzente am betenden Geschehen bei Edith Stein vor Augen stellen. Eine summarische Sichtung dieser Forschungszugänge soll den Ausgangspunkt markieren, von dem aus eigene methodische Überlegungen angestellt werden.
2.2.1 Forschungsbeiträge von Josephine Koeppel OCD, Joanne Mosley und Dianne Marie Traflet
Einen zusammenschauenden Blick auf das geistliche Leben der Edith Stein und in diesem Zusammenhang auf ihr Beten ermöglicht eine 1990 in den USA erschienene Studie von Josephine Koeppel OCD. Die Monographie trägt den Titel „Edith Stein – Philosopher and Mystic“.153 Koeppels Beitrag legt den Akzent auf die biographischen Fügungen, die Edith Stein ermöglichen, ihr religiöses Leben in allen Wechselfällen immer stärker aus der Begegnung mit dem göttlichen Gegenüber heraus zu leben. Dazu geht die Autorin aus vom geistesgeschichtlichen Hintergrund Sr. Teresia Benedictas als unbeschuhter Karmelitin und von ihrem täglichen Leben im Alltag des Klosters. Einfühlsam und differenziert dargelegte Momente von Irritation, Enttäuschung und Trauer, von Neuaufbrüchen nach Erschöpfendem in Beruf und privatem Leben werden von Josephine Koeppel rückblickend als Prozesse der Wandlung und Weitung des religiösen Verhältnisses gesehen. Dem Leser der Studie wird wiederholt die posthume Perspektive verdeutlicht, in der eine rückblickende Schau mehr und noch anderes zu sehen imstande ist, als jenes, das Edith Stein im jeweiligen Moment ihrer Biographie möglich war. In der hohen Sensibilität für das Illustrieren der verschiedenen Perspektiven, in denen das gelebte Leben der Edith Stein ihr selbst und dem nachträglichen Betrachter in ganz verschiedener Weise vor Augen tritt, liegt ein bedeutendes Verdienst der genannten Abhandlung. Sie lädt den Leser immer neu ein, in den biographischen Wechselfällen eine vorsehende Fügung am Werke zu sehen. Weil das auf werbende statt auf apodiktische Weise geschieht, vermag der Leser diesem Duktus in der Weise zu folgen, dass die menschliche Verletzbarkeit und zugleich die Fähigkeit zum Gottvertrauen bei Edith Stein Kontur gewinnen. Der geistesgeschichtliche Kontext ihrer Lebensweise als Ordensfrau im Karmel wird umfassend gewürdigt und als hermeneutischer Schlüssel für ihre geistliche Existenz herangezogen. Das findet u. a. darin Ausdruck, dass einige Kapitel der Studie mit Abschnitten der Karmelregel eingeleitet werden154 oder Zitate aus den ordenseigenen Konstitutionen den Ausführungen vorabgestellt sind.155 Dieser Zugang zum betenden Geschehen der Edith Stein ist sehr instruktiv. Denn es wird bei der Lektüre der größere Zusammenhang des gottgeführten Weges sichtbar, auf dem Koeppel zufolge Edith Stein schließlich in den Karmel geführt wurde. Eine retrospektive Sichtung der Biographie Edith Steins, bei der betont und durchgängig von der Warte ihrer späteren Karmelexistenz auf ihre gesamte Biographie geschaut wird, bleibt allerdings vom Ansatz her anfällig für engführende Perspektiven. Denn im Verlauf ihres geistlichen Lebens war keinesfalls schon jederzeit ausgemacht, dass unsere Autorin in den Karmel gelangen sollte. Vielmehr waren immer neu große Offenheit und Unbestimmheit das Signum ihrer Biographie. Durch diese Unbestimmtheit konnte für Edith Stein jedoch auch die Dimension der Freiheit von Entscheidungen und diejenige des radikalen Vertrauens auf Gottes Fügungen an Bedeutung gewinnen, auch und gerade in prekären biographischen Momenten. Eine engführende Perspektive auf das Beten der Edith Stein, das nur noch vom geistlichen Leben der Karmelitin Sr. Teresia Benedicta her in den Blick käme, wird allerdings von Koeppel in allen Teilen ihrer Studie vermieden. Was die Autorin zum Gebet bei Edith Stein ausführt, erlaubt vielmehr tiefen Einblick in das je neue Zusammenwirken von biographischen Fügungen und mutigen Entscheidungen seitens der späteren Ordensfrau, die in der Darstellung Koeppels als geistlicher Mensch prägnante Kontur gewinnt.
Vierzehn Jahre nach dem Beitrag Koeppels erschien im Jahre 2004 eine Abhandlung von Joanne Mosley aus Großbritannien. Dieser Beitrag führt das Thema Gebet direkt und instruktiv im Titel: „Edith Stein – Woman of Prayer“.156 Bereits im Vorwort kommt die Autorin auf die zentrale Bedeutung des Gebets für das Verständnis von Edith Stein zu sprechen: „But to my mind, there is one label that holds all the others together, that I feel is the essence of Edith Stein: she was, first and foremost, a woman