Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens
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Es war nach wie vor ungewohnt für Katharina, dass Menschen, die sie noch nie gesehen hatte, sie sofort erkannten. Eigentlich war das der Vorteil einer schreibenden Journalistin, dass man nicht wusste, wie sie aussah. Seit der Medell-Sache hatte sich das bei ihr grundlegend geändert. Sie war selbst fast genauso ins Zentrum des Interesses gerückt wie ihre Story. Ihr Foto tauchte in allen Zeitungen auf, sie hatte diversen Radio- und Fernsehsendern Interviews gegeben. Höhepunkt: ihr Auftritt bei Anne Will. Nette Frau, gute Journalistin, die im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen sinnvolle Fragen gestellt und ihre Privatsphäre respektiert hatte. Die »Alleinerziehende Mutter deckt Mega-Skandal auf«-Nummer war ihr erspart geblieben.
Katharina folgte Nina Obermann zu dem Tisch in der Ecke, wo sie ungestört sprechen konnten.
Tatsächlich bestellte die Kommissarin sich einen Schweinsbraten, Katharina beließ es bei einem Salat mit Putenstreifen. Dazu orderten beide große Johannisbeer-Schorlen – »zwoa große Johann für die Damen«, wiederholte die für Münchner Verhältnisse ungewohnt freundliche Kellnerin. »Wenn Ihnen des mit dem Salat zu grün wird, lasst sie Ihre Freundin bestimmt vom Krusterl probiern, ge«, fügte sie noch hinzu, als wollte sie ihre gute Laune und Kunden-Zugewandtheit definitiv unter Beweis stellen.
Nina Obermann und Katharina grinsten sich an, die Bedienung verschwand zufrieden.
»Frau Obermann, nachdem wir fast Freundinnen sind: Können Sie mir noch mehr über den Zustand von Lukas’ Zimmer sagen?«
»Sie verlieren keine Zeit, ich merk’ schon. Kein unnötiger Small Talk, gleich zum Punkt. Ehrlich gesagt, ich bin genauso, passt.«
Die »zwoa großen Johann« kamen, Frau Obermann hob das Glas und deutete ein Anstoßen an. »Auf die neue Freundschaft.«
»Dem Lukas sein Zimmer – grauslig eben, das hatte ich Ihnen ja gesagt. Essensreste überall, das Bett nicht gemacht, die Bettwäsche wahrscheinlich wochenlang nicht gewechselt, wenn man von dem – vorsichtig ausgedrückt – unangenehmen Geruch in dem Zimmer ausgeht. Überall lag dreckige Wäsche rum, alte Zeitungen … Langer Rede kurzer Sinn: das Zimmer eines Messies. Es gab einen kleinen Pfad von der Zimmertür zum Schreibtisch und zum Bett, ansonsten alles voll mit Müll. Und eben das besagte Heftchen mit den verschiedenen Selbsttötungsmethoden, furchtbar, übrigens handschriftlich. Lukas Adelhofer muss eine Weile dran gesessen haben. Wahrscheinlich aus dem Internet zusammengetragen.«
»Noch eine Frage zu den Zeitungen: Waren es Ausschnitte, die herumlagen, oder einfach irgendwelche alten Zeitungen?«
Frau Obermann schaute Katharina interessiert an.
»Ein Braterl mit Krüsterl und Knödl und einmal Grün mit Putenstreifen.« Das gastronomische Gute-Laune-Wunder stellte zwei nicht gerade kleine Teller vor den Frauen ab. »Lassens sich guad schmecka und …«, sie deutete auf die Schweinebratenkruste, »Krüsterl probiern lassn.«
Einen Moment lang blieb es still am Tisch, bis beide den ersten Happen gegessen hatten. Nina Obermann tunkte das nächste Stück Knödel in die Sauce, während sie weiter berichtete. »Es waren tatsächlich Zeitungsausschnitte, und zwar ging es nur um Robert Adelhofers Bergwinter, sein Wiederauftauchen, seine beginnende Karriere und so weiter. Völlig unsortiert übrigens, nichts angestrichen, keine Ordner irgendwo zu dem Thema – sah aus, als hätte der Lukas alles aufgesaugt, was über seinen Bruder geschrieben wurde, und es – im wahrsten Sinne des Wortes – einfach fallen lassen.«
»Eine perfekte Methode, depressiv zu werden – sich an der Karriere des Bruders weiden, der einen umgekehrt links liegen lässt«, überlegte Katharina laut.
»Krüsterl probiern?« Frau Obermann deutete grinsend auf die Schweinsbratenkruste. Katharina lehnte dankend ab und widmete sich weiter ihrem Salat.
»Und das Büchlein, das Sie gefunden haben, was hat es damit auf sich?«
Nina Obermann zog eine graublaue abgegriffene Kladde aus ihrer Handtasche und schob sie über den Tisch: »Schaun Sie sich’s an.«
Katharina blickte überrascht auf das Buch und dann auf die Kommissarin. Die beantwortete die unausgesprochene Frage direkt: »Ja, Sie dürfen reinschauen, ich habe die alten Adelhofers gefragt. Sie wollen nur nicht, dass es der Robert bekommt. Als ich gesagt habe, dass ich eine hervorragende Journalistin kenne, die mit dem Buch verantwortungsvoll umgehen wird und nichts veröffentlicht, ohne nachzufragen, waren sie einverstanden. Nichts veröffentlichen, ohne nachzufragen, Frau Langenfels, in Ordnung? Ich habe mich für Sie verbürgt!«
»Selbstverständlich geht das in Ordnung, vielen Dank! Dass Robert Adelhofer das Buch nicht bekommen soll, das haben sie so gesagt?«
»Die Rosa Adelhofer hat sowieso die ganze Zeit geweint, und als ich von dem Buch erzählt habe, wollten sie es beide nicht sehen. Der Max Adelhofer hat nur gesagt, dass Robert das nicht in die Finger kriegen darf, damit er es nicht in seiner Sendung verwendet. Das spricht Bände.«
»Gut, ich nehme es mit und schaue es mir gründlich an.« Katharina steckte die Kladde ein. »Das heißt, für Sie ist der Fall Adelhofer Geschichte?«
Nina Obermann wischte mit dem letzten Stück Kartoffelknödel über den Teller und steckte es sich in den Mund.
»Na ja, die Obduktion hat genau die Verletzungen bestätigt, die bei einem Sprung entstanden sein müssen. Keine Spuren von Fremdeinwirkung. Reichlich Alkohol im Blut, der zu den leeren Flaschen in seinem Zimmer passt. In der Scheune haben wir eine umfassende Beweisaufnahme und Spurensicherung gemacht, haben Fingerabdrücke von Robert und den Adelhofer-Eltern genommen, und: nichts, absolut nichts. Die einzigen Spuren, die wir gefunden haben, sind von Lukas. Überall seine Fingerabdrücke. Auf den Glasscherben, auf dem NATO-Draht, Fußabdrücke von ihm auf dem Boden der Scheune, Faserspuren im Stroh, aus dem er runtergestürzt ist. Keine anderen Spuren oder unbekannte Fingerabdrücke, nichts.«
»Sie haben Fingerabdrücke von den Eltern genommen? Wie haben die reagiert?«
Nina Obermanns Miene wurde ernst: »Es war schrecklich, dass wir der alten Frau Adelhofer das antun mussten, dafür hasse ich meinen Beruf. Sie war wie erstarrt. Und die ganze Zeit hat sie gemurmelt: ›Wir ham doch unsern Buben ned umbracht, wir ham doch unsern Buben ned umbracht.‹ Der alte Bauer hat ihr die Wange gestreichelt und nichts gesagt. Und wie nicht anders zu erwarten, haben wir keinerlei Fingerabdrücke von den beiden in der Scheune gefunden.«
Katharina überlegte: »Ist das nicht seltsam, dass vom alten Adelhofer keine Fingerabdrücke in der Scheune zu finden sind? War er nicht öfter dort? Könnte es sein, dass jemand gründlich Fingerabdrücke beseitigt hat?«
Nina Obermann grinste: »Bei Ihnen muss man gescheit achtgeben, dass Sie einem nicht den Job streitig machen. Wenn’s Ihnen bei ›Fakten‹ zu blöd wird, die Polizei kann schlaue Frauen brauchen. Jetzt im Ernst: Das habe ich mich natürlich auch gefragt. Der alte Adelhofer sagt, dass er seit Jahren nicht in der Scheune war. Die Adelhofers haben keine Landwirtschaft mehr, leben von der Rente und der Vermarktung des Sohnemanns. Der Einzige, der oft in der Scheune war, war der Lukas. Das bestätigen unabhängig voneinander seine Mutter, sein Vater und sein Kumpel Alfred Birnhuber.«
Katharina horchte auf: »Alfred Birnhuber ist …«
»Der, der uns angerufen hat, als er mitgekriegt hat, dass der Lukas nicht bei der Pressekonferenz war.« Nina Obermann