Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz. Markus Mäurer
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Verbundpartnerschaft: Rhetorik oder Realität?
Die verbundpartnerschaftliche Trägerschaft bildet gewissermassen das Grundprinzip der schweizerischen Berufsbildung. Sie ist verankert in institutionellen Regeln oberster Ordnung wie Föderalismus, Korporatismus und Konsensdemokratie und kann deshalb als ein äusserst stabiles Charakteristikum bezeichnet werden. Zugleich deuten die Diskussionen der jüngeren Vergangenheit und die in Angriff genommenen Reformen auf Transformationen, welche die Verteilung der Steuerungsmacht der drei Hauptakteure wesentlich betreffen. Zugunsten der Stärkung seiner Rolle kann der Bund Internationalisierungstendenzen im europäischen Arbeits- und Bildungsraum anführen, also die Notwendigkeit der Herstellung nationaler Kompatibilität. Mitunter dürfte die zeitliche Situierung der Problemdefinition und Politikformulierung in den Neunzigerjahren dazu beigetragen haben, die Krise der Berufsbildung vornehmlich als Steuerungskrise zu definieren und mit den entsprechenden Mitteln anzugehen. Damals war nämlich, so lässt sich rückblickend feststellen, just der Zeitpunkt, in der die Governance-Perspektive ultimativ Einzug in die politische und administrative Praxis hielt und insbesondere auch im Bildungsbereich breit rezipiert wurde.
Rasch war deshalb klar, dass dem Lehrstellenmangel beziehungsweise dem Rückgang der Zahl abgeschlossener Lehrverhältnisse sowie deren Ursachen mit einer dezidierten Bundespolitik begegnet werden musste. Als zentrales Anliegen kristallisierte sich im «Bericht des Bundesrates über die Berufsbildung» von 1996 die Definition und Wahrnehmung neuer Steuerungsaufgaben heraus. Dies berührte den Kern der traditionellen verbundpartnerschaftlichen Kompetenzverteilung in der Berufsbildung, und entsprechend umstritten waren die diesbezüglichen Punkte in der Vernehmlassung des ersten bundesrätlichen Entwurfs eines neuen BBG. Ablehnung fand auch ein neu einzuführender Innovations- bzw. Berufsbildungsrat, der einen fassbaren Ausdruck des Steuerungsanspruches des Bundes darstellte. Die Verankerung dieses Rats im BBG wurde zuletzt anlässlich der ständerätlichen Überprüfung des Gesetzestextes abgewendet; die ihm zugehörigen Befugnisse wurden dann allerdings in weiten Teilen der bereits bestehenden Berufsbildungskommission übertragen.
Die «Verbundpartnerschaft» wird in erster Linie von staatlicher Seite angeführt. Dies lässt sich – gerade durch die allgegenwärtige Bezugnahme – im Sinn eines vagen (rhetorischen) Kompensationsangebots angesichts der (expliziten) Übertragung strategischer Entscheidungs- und Steuerungsmacht an den Bund bzw. das BBT und einer insgesamt stärkeren Reglementierung der Berufsbildung auf staatlicher Verwaltungs- und Behördenebene interpretieren. Diese Verschiebung konnte im Vorangehenden deutlich anhand der Initiierung der jüngsten Revision der Bildungsverordnungen und der von der einstigen Praxis abweichenden (im «Handbuch» des BBT fixierten) Regeln, die den Prozess und die Akteursbeteiligung der Erarbeitung definieren, aufgezeigt werden. Sie kommt aber auch in der Einsitznahme von Behördenvertretungen, insbesondere des BBT, in Gremien wie den Kommissionen «Berufsentwicklung und Qualität» der Branchen zum Ausdruck.
Eine gewisse Abwehr gegenüber der Dominanz des Bundes in der Steuerung der Berufsbildung hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Sie wird etwa in den «Magglinger Leitlinien», die 2007 von den Verbundpartnern verabschiedet wurden, deutlich (Verbundpartnerschaft in der Berufsbildung, 2007). Dort wird zwar lediglich wiederholt, was das aktuelle BGG in seinem ersten Artikel statuiert, zugleich verweist dies aber auf die Unzufriedenheit von Kantonen und gewissen OdA mit der Umsetzung des Postulats der Zusammenarbeit von gleichberechtigten Partnern. Und schliesslich erachtete der SGV in seinem Berufsbildungsbericht 2010 eine «erneute Revision des Berufsbildungsgesetzes» unter anderem deshalb als «zwingend», weil die OdA im Rahmen der Verbundpartnerschaft zu wenig respektiert würden (Schweizerischer Gewerbeverband, 2010, S. 3).
Unterfüttert wird die Kritik gemeinhin mit der Reklamation eines Missverhältnisses zwischen Steuerungsmacht und finanziellem Engagement des Bundes. Dabei gilt: Auch wenn 2012 der vom BBG auf 25 Prozent angehobene Bundesanteil realisiert wird, bedeutet dies nicht, dass der Kritikpunkt ein für alle Mal ausgeräumt ist (vgl. Schweizerischer Gewerbeverband, 2012). Ebenso dürfte der Weg bis zur von der Verfassung postulierten Gleichbehandlung von akademischer und berufsbezogener Bildung noch weit sein.
Die Anrufung der «Verbundpartnerschaft» – im Sinne eines identitätsstiftenden Merkmals jenseits von Kompetenzverschiebungen auch gradueller Art (Mahoney & Thelen, 2010) – kann also durchaus an Grenzen stossen. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der starken Verankerung von Formen kooperativer Regelung und der Handlungskoordination in Akteursnetzwerken, wie sie dem Berufsbildungssektor in der Schweiz eigen ist. Eine mutigere und explizitere Neudefinition dieser Verbundpartnerschaft unter Berücksichtigung damit einhergehender (materieller) Verantwortungen wäre dort angezeigt, wo sie sonst zuweilen eher zum blossen Schlagwort wird.
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