Der Hauch der Ewigkeit. Rosina-Fawzia Al-Rawi
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Sei dir deiner Ewigkeit bewusst und des „zeitlosen Augenblicks“, geschaffen durch dein Gedenken an Allāh! Werde, wie die Sufis sagen, „die Tochter, der Sohn des gegenwärtigen Augenblicks“ und sorge dich nicht um das Morgen! Denn nur im gegenwärtigen unersetzlichen Augenblick im Göttlichen „Jetzt“, gehören wir ganz Gott.
Stehe auf und beginne zu gehen, öffne dein Herz, lass dich in der Göttlichen Absolutheit drehen und wenden, wissend, dass alles von Ihm kommt und zu Ihm zurückkehrt. Das Endziel der Sufis ist die Erkenntnis des Göttlichen, das Einswerden mit Gott und die Auflösung der Ketten des selbstgefälligen, selbstsüchtigen, ängstlichen Ichs. Die Liebe als vereinende Kraft steht dabei im Zentrum. „Nicht die Furcht vor der Hölle, noch die Aussicht auf das Paradies sind maßgebend, sondern allein die ewige Schönheit Gottes zu erfahren“, sprach Rābi‘a Al–‘Adawiyya so treffend.
Auf der Suche nach der Erkenntnis des Göttlichen, der Ewigen Realität, sind die Selbstbeobachtung und die spirituelle Reinigung des Herzens wesentlich. Dies ist es, was die Sufis den „großen Djihad (ǧihād)“ oder ğihād un–nafs, „den großen Kampf, die große Anstrengung gegen die Isolationsbestrebungen des verletzten Ichs“ nennen. Folglich bedeutet ǧihād „Anstrengung für das Göttliche“ gegen die selbstsüchtigen Leidenschaften und Schwächen. Djihad kommt vom Verb ğahada und bedeutet „sich bemühen, kämpfen, an sich arbeiten, anstrengen“ und zwar für eine gute Sache und gegen Übel. Das Ego–Nafs mit Mitgefühl und Nächstenliebe zu füllen, mit der Erkenntnis, dass des Nächsten Zustand und Situation sehr wohl mit meinem verbunden ist, erfordert Selbstüberwindung und kann nur erreicht und erkannt werden, wenn ich den Urstoff, den Urgrund, der uns alle verbindet, erfahre. Wenn ich also mein Herz langsam öffne und sage: „Ja, komm Vertrauen, komm Liebe und berühre mich! Ich habe Angst vor den Konsequenzen, ich habe Angst, dass vielleicht auch Schmerz kommen kann, aber ich will ganz werden, ich will den Schritt aus der Isolation wagen und ich werde den notwendigen Kampf und die Achtsamkeit aufnehmen, um heil zu werden!“ In dem Sinne ist Djihad (ğihād) ein „heilender, heiliger Kampf“ bis der Zustand der „Seele im Frieden“ erlangt ist.
Der arabische Begriff „nafs“ steht für die menschliche „Seele“ und/oder das „Selbst“ in welche Allāh Sein rūḥ (Geist) gehaucht hat. Das Nafs umschließt moralisch höhere sowie niedrigere Eigenschaften wie Hass, Gier, Neid usw. Das Nafs ist im Gegensatz zum Geist rūḥ der Teil im Herzen des Menschen, der unter seine eigene Kontrolle gestellt wurde, sozusagen sein „Ich“. Nun sollen aber die niederen Eigenschaften eines Menschen nicht abgetötet sondern kanalisiert werden, um auf dem Weg zum Göttlichen dienen zu können. Das Umwandeln der niederen Triebe und Eigenschaften der Seele/des Selbst in nützliche Werkzeuge ist eine komplexe Angelegenheit. Es bedeutet, die niedrigen, selbstsüchtigen, egoistischen Aspekte der Seele untertan zu machen, zu verwandeln und auszulöschen. Durch diesen Akt der Anstrengung (ğihād), des sakralen Wirtschaften in einem Selbst, lernt man, nicht vom Nafs beritten zu werden, sondern auf ihm zu reiten wie auf einem gebändigten Löwen. Ziel ist es, das selbstgefällige „Ich“ zu überwinden und zu einem gemeinsamen „Wir“ zu kommen – in der Ergebenheit und Hingabe in Gott.
Die Praktiken dazu variieren von Gebet, Meditation, Tanz, Musik, halwa („Rückzug“) und dikr („Gottgedenken, Gottesbewusstsein“). Doch stets stehen der Alltag, der Umgang mit den Mitmenschen und die Handlungen im Mittelpunkt. Sie sind die wahre Übungs– und Reflexionsarena. Teile den Tag in zwei Teile: Sei tagsüber in der Qualität der Dankbarkeit (šukr), im Einatmen der Erlebnisse, und sei nachts in der Qualität des Erinnerns (dikr), im Ausatmen in die Kontemplation und dem inneren Lernen. Tag und Nacht haben hier symbolische Bedeutung: Der „Tag“ ist die Gottgegebene Fähigkeit des Menschen, Einsicht durch bewusstes vernünftiges Denken zu gewinnen. Die „Nacht“ ist die Intuition, die aus der stillen ruhevollen Ergebenheit gegenüber der Stimme des eigenen Herzens kommt.
„Denn waren sie nicht gewahr, dass Wir es sind, die die Nacht für sie gemacht hatten, auf das sie darin ruhen mögen, und den Tag, um sie sehen zu lassen.“
Koran Sure 27: Vers 86 (27:86)
Die ersten Schritte, der Auszug vom Übel des selbstgefälligen, selbstsüchtigen Ich zum Göttlichen, sind oft von herzzerreißender Einsamkeit begleitet. Es ist eine Trennung vom Vertrauten, aber auch oft ein Abschied von bestehenden Beziehungen.
„Und wer den Bereich des Übels um Gottes Willen verlässt, der wird auf Erden manch einsame Straße wie auch Leben in Fülle finden.“
(4:100)
Um diesen Weg zu gehen, braucht der Suchende eine/n LehrerIn, jemanden, der diesen Weg gegangen ist und die komplexen Fallen des Egos kennt und von der Liebe zu Gott durchtränkt ist, aber auch unterstützende, beistehende, aufmunternde, weiterhelfende GefährtInnen.
Der Weg und das Ziel ist Schönheit „iḥsān“. Iḥsān kommt von ḥusn „Schönheit, Anmut“ und bedeutet: „Alles auf die für uns höchstmögliche Art und Weise schön angehen, leben und ausführen“, denn iḥsān bedeutet gemäß der prophetischen Überlieferung „dass du Gott verehrst, als wenn du Ihn sähest, und wenn du Ihn nicht siehst, so sieht Er doch dich“. Iḥsān ist die vollkommen aufrichtige Anbetung Gottes, die vollständige Verschmelzung der Erkenntnis und des Willens mit dem Göttlichen.
Der Sufismus besagt: Der Mensch ist das perfekte Ebenbild des Universums! Betrachten wir das Universum, die Natur, so finden wir Harmonie, Ausgewogenheit und Frieden vor. Wieso finden wir also keine Harmonie, keine Ausgeglichenheit und vor allem keinen Frieden unter den Menschen?
Beschenkt mit einem freien Willen und einem Verstand verwendet das Ich diese, um seine Wünsche und Begierden zu erfüllen und auf bestmögliche Weise zu befriedigen. In seiner Ich–bezogenen Einstellung lehnt das Ego–Nafs das wahre heilige Gleichgewicht ab und ist bereit, für seine Begierden nicht nur unsere persönlichen und sozialen Beziehungen, sondern auch die Natur und den ganzen Planeten zu zerstören. Obwohl wir alles tun, um diese Befriedigung zu erreichen, haben wir stets das Gefühl, dass etwas fehlt, und dieses Gefühl lässt uns immer weiter nach noch mehr „Fortschritt“ hinzielen.
Doch die wahre Identität des Menschen ist nicht ein Konglomerat seiner Begierden und Verhaltensweisen. Wir sind zwar in unserer Konstellation den Steinen, den Pflanzen und den Tieren sehr ähnlich, doch es gibt da einen Kern, eine Essenz, ein inneres Licht, ein Sein, das uns Menschen von allen unterscheidet und das der Mensch mit seinem Verstand und seinem Herzen bewusst erreichen kann.
Es ist dieses Sein, an das sich alle Propheten und großen Meister wenden. Je nach Zeit und Raum, mit stets anderen Einsichten, zeigen sie alle die Eine Realität auf. Sie wenden sich nicht an unsere Gefühle, unsere Verhaltensweisen oder unsere Intelligenz. Ihre Worte sind stets an unsere Essenz gerichtet, die ewig und anhaltend von Anbeginn bis zum Ende existiert. Alles verändert sich: unser Körper, unsere Gedanken, unsere Ideen, unsere Beziehungen, unsere Neigungen und Ziele, doch dieses wahre Selbst ist ewig und immerwährend.
Uns auf dieses wahre Selbst einzuschwingen bedeutet, uns für unsere wahre Bestimmung bereitzustellen. Dafür müssen wir uns mit unserer wahren Natur verbinden, erst dann beginnen sich die höheren Energien klar und unverzerrt in uns zu manifestieren. Das isolierte Ich–bezogene Ego, das uns so oft zu Sklaven unserer scheinheiligen und engherzigen Bedürfnisse und Triebe macht, ist ein träges, sich langsam drehendes Gebilde. Sich vom Ego–Selbst zum wahren Selbst zu öffnen bedeutet, vom schnelldrehenden Wirbel der Liebe gepackt zu werden, der alles Schwere abprallen lässt und das Göttliche Licht anzieht. Es bedeutet, im Herzen eine Verpflichtung für die Menschheit und diesen Planeten, ja das ganze Universum zu tragen. Es bedeutet, sich in sich selbst zu verlieben, in diese ewige Göttliche Natur, die in unserer Mitte pulsiert, und die uns mit ihrer unendlichen Güte und Gnade durch das Leben führt, wenn wir es zulassen. Es ist ein täglicher Kampf für das Licht, die Liebe,