Der Hauch der Ewigkeit. Rosina-Fawzia Al-Rawi

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Der Hauch der Ewigkeit - Rosina-Fawzia Al-Rawi

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oder ausgetauscht werden, damit alles wieder „läuft“. Der Mensch wird also als ein isolierter begrenzter Organismus angesehen. Diese Sichtweise ist die im „Westen“ noch immer vorherrschende Herangehensweise zur Bewältigung von Krankheiten. Die Fokussierung ist auf die Dysfunktion eines Teils gerichtet, die Leber ist krank, das Bein ist gebrochen, doch die Gesamtheit des Menschen, die gesunden beteiligten Teile, die verstehen wollen, die an der Heilung beteiligt werden müssen und dafür benötigt werden, werden immer noch ausgeklammert. Diese Grundeinstellung drückt sich auch in dem Wort „Krankenhaus“ aus, während es z. B. im Arabischen „Heilungshaus“ mustašfā heißt.

      In den nicht–westlichen traditionellen Kulturen besteht eine holistischere Sicht der Welt. Diese hat damit natürlich auch Ausdruck in der Herangehensweise der Dinge in Bezug auf Krankheit wie auch im Alltag. Alles steht mit Allem in Verbindung und somit in gegenseitiger Abhängigkeit und Ergänzung. Geborenwerden und Sterben, Gesundsein und Kranksein, Freude und Trauer. Man kann von einer „Beziehungsgesellschaft“ sprechen, während die westliche Kultur als „Leistungsgesellschaft“ bezeichnet werden kann.

      Natürlich integriert dieses verbundene Verständnis für das Leben auch den Tod. Der Tod wird nicht als Versagen empfunden – was nicht die tiefe Trauer des Abschieds ausschließt – sondern als integrierter Teilbestand des Lebens. Wichtig ist, dass der Patient wenn sie/er stirbt, geheilt, in sich „vereint“, in Frieden sterben kann. Heilung führt nicht notwendigerweise zu einer Verlängerung des Lebens, aber unsere Existenz ist auch nicht zwischen Geburt und Tod beschränkt.

      Eine der ansehnlichsten Sufi–Geschichten ist jene vom Fluss und der Sandwüste. Sie schildert die Transformation auf dem Entwicklungsweg in poetisch berührender Weise: Es ist notwendig, dem Selbst das Ich zu opfern, um den letzten Schritt in Richtung Erlösung zu tun. Eine Geschichte von Idries Schah erzählt:

      Ein Strom floss von seinem Ursprung im fernen Gebirge durch sehr verschiedene Landschaften und erreichte schließlich die Sandwüste. So wie er es immer schon gewohnt war und wie er alle anderen Hindernisse überwunden hatte, versuchte der Strom nun auch, die Wüste zu durchqueren. Doch er merkte, dass – so schnell er auch in den Sand fließen mochte – seine Wasser verschwanden.

      Da er jedoch überzeugt davon war, dass es seine Bestimmung sei, die Wüste zu durchqueren, versuchte er es weiter. Da hörte er eine sanfte Stimme, die aus der Wüste kam und ihm zuflüsterte: „Der Wind durchquert die Wüste, und der Strom kann es auch.“ Der Strom wandte ein, dass er sich doch gegen den Sand werfe, aber dabei nur aufgesogen würde; der Wind aber kann fliegen, und deshalb vermag er die Wüste zu überqueren. „Wenn du dich auf die gewohnte Weise vorantreibst, wird es dir unmöglich sein, sie zu überqueren. Du wirst entweder verschwinden, oder du wirst ein Sumpf. Du musst dem Wind erlauben, dich zu deinem Bestimmungsort hinüberzutragen.“ Aber wie sollte das zugehen? „Indem du dich von ihm aufnehmen lässt.“ Diese Vorstellung war für den Fluss unannehmbar. Schließlich war er noch nie zuvor aufgesogen worden. Er wollte keinesfalls seine Eigenart verlieren. Denn wenn man sich einmal verliert, wie kann man da wissen, ob man sich je wiedergewinnt. „Der Wind erfüllt seine Aufgabe“, sagte der Sand. „Er nimmt das Wasser auf, trägt es über die Wüste und lässt es dann wieder fallen. Als Regen fällt es hernieder, und das Wasser wird wieder ein Fluss.“ „Woher kann ich wissen, ob das wirklich wahr ist?“ „Es ist so, und wenn du es nicht glaubst, kannst du eben nur ein Sumpf werden. Und auch das würde viele, viele Jahre dauern; und es ist bestimmt nicht dasselbe wie ein Fluss.“ „Aber kann ich nicht derselbe Fluss bleiben, der ich jetzt bin?“

      „In keinem Fall kannst du bleiben, was du bist“, flüsterte die geheimnisvolle Stimme. „Was wahrhaft wesentlich an dir ist, wird fortgetragen und bildet wieder einen Strom. Heute wirst du nach dem genannt, was du jetzt gerade bist, doch du weißt nicht, welcher Teil deines Selbst der Wesentliche ist.“ Als der Strom dies alles hörte, stieg in seinem Innern langsam ein Widerhall auf. Dunkel erinnerte er sich an einen Zustand, in dem der Wind ihn – oder einen Teil von ihm? War es so? – auf seinen Schwingen getragen hatte. Er erinnerte sich auch daran, dass dieses, und nicht das jedermann Sichtbare, das Eigentliche war, was zu tun wäre – oder tat er es schon?

      Und der Strom ließ seinen Dunst aufsteigen in die Arme des Windes, der ihn willkommen hieß, sachte und leicht aufwärts trug und ihn, sobald sie nach vielen, vielen Meilen den Gipfel des Gebirges erreicht hatten, wieder sanft herabfallen ließ. Und weil er voller Bedenken gewesen war, konnte der Strom nun in seinem Gemüte die Erfahrungen in allen Einzelheiten viel deutlicher festhalten und erinnern und davon berichten. Er erkannte: „Ja, jetzt bin ich wirklich ich selbst.“

      Der Strom lernte. Aber die Sandwüste flüsterte: „Wir wissen, weil wir sehen, wie es sich Tag für Tag ereignet; denn wir, die Sandwüste, sind immer dabei, das ganze Flussufer entlang bis hin zum Gebirge.“

      Und deshalb sagt man, dass der Weg, den der Strom des Lebens auf seiner Reise einschlagen muss, in den Sand geschrieben ist.

      Was ist der Unterschied zwischen „heilen” und „kurieren”?

      Heilen ist mit „ganz sein“, „heil sein” verbunden, aber auch mit „heilig“. Heil sein bedeutet, in die große Harmonie des Seins eingebettet zu sein, selbst wenn der individuelle Mensch im Extremfall stirbt, denn einerseits hört der Prozess mit dem Tor des Todes nicht auf, andererseits schwingt mit dem „Ich“ stets das „Wir“ der Gesamtheit der Menschheit mit. So ist das „Heil“ der einzelnen Person ein Anliegen der Gesamtheit der menschlichen Gemeinschaft, ja der Schöpfung. Der Einklang mit dem eigenen tiefen individuellen Sein bringt Einklang für uns alle.

      Wenn jemand ,,kuriert” ist, also wieder „funktioniert”, jedoch keinen Sinn in ihrem oder seinem Leben gefunden hat, keine Verbindung bzw. Integration in ihre oder seine Gemeinschaft erfahren kann, ist kein „Heil sein” im holistischem Sinne geschehen. Denn eine durchlebte Krankheit sollte uns Menschen die Möglichkeit geben, danach menschlicher zu werden, bessere Menschen zu sein und näher unserer eigenen Vollkommenheit gekommen zu sein. Dazu brauchen wir die adäquate sinnerfüllte Begleitung und die dafür angebrachte Medizin.

      Die Heilungs– bzw. Therapiemethoden, die aus dem islamischen Kulturraum stammen, aber auch die anderer Kulturen mit holistischer Herangehensweise wie z. B. jene der Indianer, der Tibeter oder Inder, basieren auf der Erkenntnis der Verwobenheit aller Existenzen und daher auf der existentiellen Einheit allen Seins.

      Aus der Sicht des Sufismus basiert alles Kranksein auf dem „Getrenntsein“, auf dem „Vergessen" um die verwobene Einheit allen Seins. Es ist diese „Illusion“ der Trennung, die sich im Innerlichen, also auf der körperlichen, psychischen und emotionalen Ebene zeigen kann, wo sich Schleier zwischen Körper, Geist und Seele schieben, die ihren Ausdruck der Abgetrenntheit innerlich, aber auch im Äußerlichen, auf der Ebene der familiären oder der sozialen Beziehungen aufzeigen, wo Einsamkeit, Isolierung und „das außerhalb stehen“ einen einnimmt. Doch auch die Verbundenheit mit dem Göttlichen ist nicht mehr bewusst und man verliert sich in der verwirrenden Orientierungslosigkeit. Eines der wichtigsten Ziele der Heilung ist die Auflösung der Isolation des Einzelnen und die Wiedereinbettung in die Ganzheit.

      Alle Behandlungen, alle Unterstützungen streben die Auflösung der „Trennungsschleier“ an und zielen auf die Wiederverbindung und Einbettung des erkrankten Menschen, und darauf, dem Menschen zu helfen ihren bzw. seinen Platz im Leben zu finden und ihn auszufüllen. Die Heilung geschieht, wenn der Mensch wieder seine Verbundenheit mit allen Ebenen des Seins erkennt, eingebettet wird in die Einheit allen Seins, und ihren/seinen Platz wiedergefunden hat, innerlich und äußerlich. Denn jeder Mensch, der in diese Welt geboren wird, trägt einen wesentlichen Beitrag für diese Welt in sich. Jeder Mensch ist ein Geschenk an die Menschheit, an die Schöpfung. Das „Wieder–erinnern“ an unsere Verbundenheit macht uns Menschen gesund. Das Ziel ist nicht die Unabhängigkeit des Einzelnen, sondern die bewusste Akzeptanz der Verwobenheit, die gegenseitige Vervollständigung und auch Abhängigkeit

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