Welche Bildung braucht die Wirtschaft?. Группа авторов

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und seiner Bildung kühles Desinteresse zeigt. Selina Abächerli (Sozialanthropologie, Klassische Philologie) versteht Wissenschaft als Kunst, kluge Fragen zu stellen. Sie erlaubt einen Blick in die Zweifel und Krisen, die mit ihrer studierenden Auseinandersetzung einhergehen. Sie bedauert, dass die Wissenschaft solche anspruchsvollen inneren Prozesse lieber beschweige als thematisiere. Wie könne die Universität diesen Lebensnerv kultivieren, wenn sie nicht von ihm spreche? Bologna setze die Studierenden zwar unter dauernden Druck, ohne jedoch bedingungslose Hingabe zu verlangen, oft nicht einmal eine klare Entscheidung. Hier nimmt eine wache Studentin wahr, dass das Studiensystem sie zwar beständig beschäftigt, ihr aber viel weniger zutraut, als in ihr steckt. Jonathan Gardy (Katholische Theologie) berichtet aus einem vollständig modularisierten Studium. Seine These: Solche Studienpläne entmündigten junge Erwachsene, denen das durchaus gelegen kommen könne. Aber Studienordnungen müssten Mut zur Lücke beweisen. Nur so merkten Studierende, dass ihnen zugetraut werde, ihre Bildung in die eigene Hand zu nehmen. Für Bildungspolitik und Professorenschaft bedeute das Kontrollverzicht, für die Studierenden Kontrollverlust. Billiger sei ein von Freiheit und Verantwortung geprägtes Leben und Arbeiten nicht zu haben.

      Philosophisch-pädagogische Blicke

      Helmut Geiselhart geht vom Ende der Grands Récits aus, vom Verlust der zusammenhängenden Bildes unserer Welt; vom Verlust einer zusammenhängenden Sprache, die Sehnsucht und Politik, innen und außen, Leiden und Erfüllung sinnvoll aufeinander beziehen könnte. Es gebe kein sprachliches Bild menschlichen Daseins als Ganzen mehr. Das habe tiefgreifende, noch kaum reflektierte Folgen. Die erste nachideologische Generation – X, Y, Z – stehe dem unmittelbaren Erleben offener gegenüber als alle Generationen zuvor, sei damit auch schutz- und wehrloser gegenüber Ansprüchen des Systems. Sie tauchten einfach ein in ein Jetzt. Bar der Möglichkeit, wie die 68er eine Gegenideologie, ein kritisches Bewusstsein gegen die gegebenen Verhältnisse zu stellen. Geiselharts Analyse kann erklären, warum diese Generation den Älteren mitunter seltsam angepasst vorkommt.

      Für Klaus Mertes macht das Mehr als Messbare den Kern des Bildungsprozesses aus. Aber warum verschwindet dieses Mehr im politischen Diskurs über Bildung? Seine These: Die Sprache der Zentralinstitutionen überrolle die untere und mittlere Ebene derart, dass die Sprache der bildenden Begegnung verstumme. Mertes fordert Subsidiarität: Die Ebene der Bildungsplanung müsse anerkennen, dass Bildung auf der Mikroebene stattfinde; die Zentrale habe der persönlichen Bildungs- und Beziehungsarbeit zu dienen und sich vor ihrer Erfahrung zu rechtfertigen. Die Begründungspflicht für Eingriffe liege bei der je höheren Ebene.

      Carl Bossard konfrontiert die Anziehungskraft der Casting-Shows mit dem Verschwinden der Lehrperson im pädagogischen und bildungspolitischen Mainstream. Die Jugend suche die lebendige Beziehung zum Vorbild, während Pädagogik und Bildungspolitik das selbstgesteuerte Lernen propagierten. Sodass die Lehrperson mehr organisiere und auf Fragen hin berate denn als Gegenüber da sei. So gerate das Entscheidende in den Schatten: die Beziehung, in der sich Resonanz ereigne und die eine Auseinandersetzung aushalte.

      Der Herausgeber entwickelt aus Kants kategorischem Imperativ den Grundriss einer Bildungsethik, die das Werden des Menschen vor Instrumentalisierung, vor Verzweckung schützt – durch andere und auch durch sich selbst.

      Was sehen Verantwortliche des Schweizer Bildungssystems?

      Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich und Präsident der swissuniversities, und Anna Däppen-Fellmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stab des Generalsekretariats der Universität Zürich, entwickeln die Aufgabe der Universität aus ihrem mittelalterlichen Ursprung. Sie habe neben der sprachlichen und naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung, den sieben artes liberales, immer schon der Berufsbildung von Juristen, Priestern und Ärzten gedient. Bologna passe das Studium der Realität der Massenuniversität an. Die Reform habe sich in ihren beiden Grundelementen – Zweiteilung des Studiums, europaweit vergleichbare Punkte – bewährt: Sie fördere die Mobilität, belebe den Wettbewerb, strukturiere das Studium besser und gebe früher Rückmeldung über die erzielten Leistungen. Einzuräumen sei, dass die kleinteiligen Prüfungen zur Verzettelung und zum Verlust des großen Zusammenhangs führen könnten. Die Lösung liege in einer besseren Vernetzung der Module. Das lasse sich durch Anpassung des Systems bewerkstelligen, ein grundsätzliches Überdenken der Reform sei nicht angezeigt.

      Aus der Sicht des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI umreißt Josef Widmer das Verhältnis von Wirtschaft und Bildung aus systemischer Sicht und präsentiert Schwerpunkte und Ziele der nationalen Bildungspolitik. Der politische Text macht deutlich, wie die Steuerung des Bildungssystems sehr viele verschiedene Interessen vermittelt. Das Bildungssystem sei ein Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung, nicht umgekehrt: Bildungspolitische Entscheide seien in der Schweiz aufgrund des demokratischen und partizipativen Prozesses breit abgestützt. Das lasse auf der Systemebene erst gar keinen fundamentalen Änderungs- oder Handlungsbedarf entstehen. Wo dennoch Steuerung angemahnt werde, sei sie evidenzbasiert zu begründen.

      Eine besondere Chance bietet das Interview mit Hans Ambühl, der die Bildungspolitik der Kantone als Generalsekretär koordiniert. Er stellt sich der Kritik, erklärt, verteidigt Positionen – und anerkennt Schwierigkeiten und wunde Punkte. Er führt den Dialog der Tagung weiter, vertieft ihn, präzisiert die Positionen. Der Tonfall zeigt Anerkennung und Wertschätzung.

      Ein Bottom-up-Projekt wie dieses Buch beginnt als Outlaw. Umso dankbarer ist es für die Anerkennung der Verantwortlichen. Die Geschichte der Christen war immer dann besonders fruchtbar, wenn Macht und Prophet miteinander sprachen und aufeinander hörten. Innozenz III., auf dem Höhepunkt der weltlichen Macht der Päpste, sprach mit Franz von Assisi, hielt seine radikale Kritik an der reichen Kirche aus, gab ihm Raum. Er anerkannte die Bettelorden. Das Neue durfte im Alten wachsen und führte die abendländische Kirche zu ihrer höchsten Blüte. Nicht ohne sich mit dem linken Flügel der Franziskaner zähe Probleme einzuhandeln, nicht ohne furchtbare Schatten wie die Katharerkreuzzüge – aber man war im Gespräch, und man war glaubwürdig für die Jugend. Mit Luther hingegen sprach niemand. Schon seinen ersten Brief beantwortete sein Bischof nicht. Stattdessen strengte er sofort einen Ketzerprozess an: weil er sich gegenüber den Fuggern, die den Ablasshandel organisierten, in wirtschaftliche Abhängigkeit begeben hatte. Er war ökonomisch nicht frei.

      Reibungen

      Fokussiert ein Fotograf ein Detail, tritt es scharf hervor; der Hintergrund verschwimmt. Will er aber das Ganze im Blick halten, bleiben interessante Details klein, gehen unter. Jeder Fokus hat Grenzen. Jede Sprache nimmt manche Verhältnisse deutlich wahr, andere bleiben unscharf oder finden sich ausgeblendet. Einer Sprache ihre Begrenztheit als solche zum Vorwurf zu machen, wäre wenig durchdacht. Allen Sprachen stellt sich die Aufgabe, neben der sorgfältigen Pflege des eigenen Fokus auch auf die der anderen zu hören, die eigene Position auch von außen wahrzunehmen und sich von ihr in Frage stellen zu lassen. Auch wenn das etwas unbequem ist und Arbeit verspricht. Am Dialog über Interessen- und Sprachgrenzen hinweg führt, zumal in komplexem Gelände, kein Weg vorbei. Treten wir also in die verschiedenen Sichtweisen ein, begegnen wir Spannungen zwischen den Interessen und den Sprachen der Beteiligten! Das sorgfältige Hören auf die Differenzen ist der erste Schritt zu ihrer Versöhnung.

      Die wichtigste Reibung liegt in der Unmöglichkeit, den sich bildenden Menschen und die Tätigkeit der Bildungsinstitution ganz oder auch nur überwiegend in ökonomischer Sprache zu beschreiben. Dieser Versuch liegt, in den meisten Leitbildern und in allen Strategien der Deutschschweizer Universitäten vor. Diese Verkürzung und Vereinnahmung des werdenden Menschen ist mit Aufklärung, Demokratie und Liberalität unvereinbar.

      Eine zweite Spannung ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der Begegnung sich bildender Menschen an der Basis und steuernder Großinstitutionen, die verschiedene Sprachen sprechen müssen. Nach Klaus Mertes überrollt die Sprache der Zentralinstitutionen diejenige der bildenden Begegnung. Dieser Analyse scheint zu entsprechen, dass Josef Widmer sich auf eine systemische Sprache beschränkt,

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