Welche Bildung braucht die Wirtschaft?. Группа авторов

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nicht leisten, für die teilweise Rückabwicklung der Bologna-Reform so lang zu brauchen wie für ihre Einführung. Es muss schneller gehen.

      Im Mittelpunkt Ihrer These steht die Kreation. Was genau verstehen Sie darunter? Kann es davon auch zu viel geben?

      Wo es wenig Raum für Kreativität gibt, diskutiere ich ungern schon über Grenzen. Leben lassen, bevor ich eingrenze und normiere! Veränderung fängt in grauen, schmutzigen, manchmal chaotischen Räumen an. Wer gleich mit Angst herangeht und fragt, wie er das Überflüssige begrenzen kann, macht zarte Pflänzchen kaputt. Heute geht es darum zu ermöglichen, dass das Individuum wieder sucht, reflektiert und analysiert. Und urteilt! Was ein Mensch dann kreiert, ist gar nicht so wichtig. Es kommt darauf an, Räume zu schaffen, in denen Menschen verantwortlich Dinge untersuchen, bewerten und zu einer Entscheidung kommen, die zum Handeln befähigt. Also erstens wecken. Dann fördern: Hochschulen sollen Financiers der Interessenlagen, Motivationen und Leidenschaften ihrer Studierenden werden! Wenn sich nur wenige für frühmittelalterliche Literatur interessieren, soll man kein Streichen des Angebots diskutieren, sondern digitale Lernformen, verbunden mit anderen Universitäten, die ermöglichen, dass jemand dieser Leidenschaft frönen kann! Oder: Wie kann ich der Leidenschaft eines Ökonomen entgegenkommen, schon in den ersten Semestern empirisch zu forschen? Sodass schon früh der iterative Prozess von Theorie, Praxis, Evaluierung, Theorie, Praxis, Evaluierung … stattfindet. Die Universität muss individueller werden.

      Führen hieße dann Kreation fördern: »Wie kann ich ermöglichen?«

      Wie kann ich ermöglichen, ja. Wie kann ich Rahmen geben, dass? Wie kann ich Infrastruktur geben, dass? Die Aufgabe der Individualisierung stellt sich auch der Wirtschaft. Die Potenziale der Kreation jedes Menschen sind ja ganz anders, ganz einzigartig. Wenn ich alles nach DIN A4 abarbeite, fallen nicht nur die Leute raus mit IQ 140 – über die intensiv diskutiert wird –, sondern auch jene mit anderen Begabungen und anderem Potenzial. Das betrifft auch das Verhältnis von Hand- und Kopfarbeit. Ich habe Vorlesungen gesehen, in denen auch handwerklich gelernt wurde. Wo Studierende Brücken bastelten: immer zu dritt, über die Reihen hinweg – und damit selber experimentieren. Wie kann ich an Potenzialen, Begabungen, individuellen Leidenschaften ansetzen? Ein zentrales Thema! Das verlangt Räume, in denen ein Mensch sich entfalten kann. Auf der anderen Seite gibt es bestimmte Normierungen, die jeder können muss. Rechnen, Schreiben, Lesen in der Schule und neu das digitale Coding, die Grundlagen des Programmierens, sind unverzichtbare Kulturtechniken, die wir effizient vermitteln müssen.

      Wollen sich Menschen überhaupt zu mehr Kreation und Transformation führen lassen? Sind sie nicht ganz zufrieden, wenn man ihnen sagt: »Das ist das Nächste, und dann das, und dann ist gut, dann bekommst du deine Anerkennung«?

      Ist auch in Ordnung! Wir finden vielerorts Menschen, die sagen: Ich finde den Status quo gut. Dann soll die Hochschule ihnen den Status quo ermöglichen. Die Frage heißt: Ermöglicht die Kultur und Struktur der Hochschule Vielfalt – oder normiert sie Einfalt? Die gleiche Diskussion über das Ausdifferenzieren, das Managen von Vielfalt, das Ermöglichen von Potenzialentfaltung beschäftigt die Pädagogik an den Schulen. Das Thema setzt sich in den Betrieben fort. Interessanterweise kreieren Firmen, die sich eher der Avantgarde zurechnen, Aufgaben um den Menschen herum. Sie verzichten auf Aufgabenbeschreibungen, in die der Mensch hineinzupassen hat. Eine ganz andere Form der Talentpolitik! Organisation ad rem oder ad personam? Menschenbeglückung oder die Option der Freiheit?

      Also niemand zur Kreation nötigen?

      Nein, ganz und gar nicht.

      Ein ethischer Fortschritt?

      Wer auf Kreation setzt, muss dezentraler führen. Fördert dieser Führungsstil moralisches Handeln stärker als die zentralistische Kontrolle des Effizienzmodells?

      Dezentrale Strukturen erzwingen größere Verantwortung nicht, aber ermöglichen sie. Und mit Sicherheit schaffen sie mehr Transparenz. Die Organisationsforschung spricht hier von loosely coupled systems …

      Lose vernetzte Systeme – das hatten Sie bei Continental …

      Ja. Über diese Fragen habe ich sehr viel nachgedacht. Effizienzorientierung fragt immer nach internen Synergien, nach der Standardisierung interner Prozesse. Wie können wir siebzehn verschiedene Marken von VW auf eine gleiche Plattform stellen, um effizienter zu produzieren? Zentralismus und Synergie. Aber nur interne Synergie! Nicht Synergie beim Kunden, beim Partner, beim Lieferanten, auf den Märkten draußen! Dann beglücke ich die Menschen draußen eher mit Einfalt als mit Vielfalt. Die Synergiediskussion der letzten zehn Jahre hat interne Abläufe fokussiert: mit geringeren Ressourcen das Gleiche erreichen oder mit gleichen Ressourcen mehr. Der Blick für die Motivationen der handelnden Akteure, der Stakeholder, ging verloren. Das hat dazu beigetragen, dass Unternehmen autistisch geworden sind. In meinem Berufsleben habe ich unterschiedlichste Strukturen erlebt. Im Rückblick wird mir bewusst, dass die beste die bei Conti war. Extreme Dezentralisierung, extreme unternehmerische Verantwortung. Jeder musste ein Ergebnis bringen, das diskussionsfähig war – Antwortfähigkeit nannten wir das. Die Freiheit, über das Was zu entscheiden und nicht nur über das Wie, war außerordentlich hoch. Eine dezentrale Struktur gibt ganz andere Möglichkeiten zu experimentieren. In monolithischen Strukturen kommt gleich die Frage: Ja, was passiert denn da links nebenan? Das will ich auch haben! Oder: Das darf nicht sein! In dezentralen Strukturen können Sie eigene Logiken entwickeln. Und die Ansteckungsgefahr ist geringer, wenn ein Subsystem erkrankt. Dem steht als Nachteil gegenüber, dass die Fliehkräfte sehr stark werden. Nichts ist ohne Schatten. Deshalb hat Google begonnen, die Geschäfte aufzuteilen und sich als kleine Holding darüber organisiert. Weil monolithische Strukturen zwar Effizienzen steigern können, aber die Risiken der Normierung zu hoch sind. In der jetzigen Phase ist die beste der schlechten Organisationsformen die Dezentralität, das loosely coupled network.

      Macht diese Organisationsform die Welt besser?

      Ich glaube schon: weil Verantwortung und Rechenschaft transparenter werden. Die einzelnen Teile sind ja keine atomistischen Gebilde. Es gibt darüber ein Dach, es gibt einen code of conduct. Ein loosely coupled network hat meist ein ausgeprägtes Wertesystem: Wenn nicht die Struktur zusammenhält, muss es die Ideologie tun. Jeder wird gefragt: Was hast du aus dem dir Anvertrauten gemacht? In synergiesuchenden Systemen finden Sie extreme Abstimmungsrituale. Die Handlungsfähigkeit des einzelnen Akteurs ist außerordentlich beschränkt, sodass er massiv mit Koalitionen arbeiten muss. Aber Verantwortung? Danken, wenn es gut gelaufen ist? Jemand zur Rechenschaft ziehen, wenn Mist gebaut worden ist? Das ist in solchen Systemen gar nicht mehr möglich, weil das System mit seinen Ritualen und Routinen verantwortlich ist!

      Die katholische Kirche veranstaltet alle paar Jahre eine Synode, die Richtungsänderungen diskutiert oder an Grundfragen weiterarbeitet. Eine ganz andere Form von Abstimmung, über Metathemen! Natürlich gibt es Situationen, wo die Zentralgewalt reagieren muss, nehmen wir die Verbrechen vieler Priester an Kindern. Da hat die Selbstverantwortung der Subsysteme nicht funktioniert. Die Zentrale hat die Möglichkeit, selektiv einzugreifen, wenn Werte verletzt werden. Ich bin Ex-Katholik. Als Ex ist man ja immer sehr bewusst und schaut sich das an … ohne loosely coupled system hätte die Kirche sich nie so ausgebreitet.

      Ja, wir Katholiken haben das Modell der Einheit in Vielheit. Seit Jahrhunderten diskutieren wir über Inkulturation, immer wieder: in China, in Afrika. Die faktischen Lösungen sind oft erstaunlich offen.

      Die meisten Organisationen diskutieren die Vielfalt in der Einheit. Klüger wäre vermutlich, über Einheit in der Vielfalt zu diskutieren. Diese Einheit muss sehr präzise ausgearbeitet werden, sie ist ja der kleinste gemeinsame Nenner, der alle zusammenhält. Eine konföderative Struktur. Konföderativ ist schöner als dezentral. Sie entspricht dem Trend zur Netzwerkorganisation in der Wirtschaft.

      Was heißt

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