Welche Bildung braucht die Wirtschaft?. Группа авторов

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Welche Bildung braucht die Wirtschaft? - Группа авторов

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auf eine breite akademische Bildung aufbauen; dennoch würde ich mich als halbwegs gebildet bezeichnen.

      Gebildet ist, wer Verantwortung übernimmt für die eigene Entwicklung. Wer, in einer Mischung aus Neugierde und Reflexion, sein Leben in unterschiedlichen Sphären gestaltet. Und wer unterschiedliche Perspektiven in seine Urteilsfindung zu integrieren versucht.

Annette Winkler * 1959, studierte in Frankfurt Betriebswirtschaft und übernahm 1984 das elterliche Bauunternehmen. 1995 wurde sie Kommunikationschefin von Mercedes-Benz. Die Leitung der Braunschweiger Mercedes-Niederlassung, danach der Vertriebsgesellschaft von Daimler-Chrysler in Belgien und Luxemburg und schließlich die Verantwortung für das weltweite Händlernetz waren weitere Aufgaben. Seit 2010 ist sie Chefin von smart. Ihr Motto: Wer etwas erreichen will, muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen.

      Fähigkeit zum Widerspruch in großen Hierarchien?

      > Interview: Thomas Philipp, Marielle Hofer

      Annette Winkler, Sie tragen Führungsverantwortung in der Automobilindustrie. Warum ist das Widersprechen in einer großen Hierarchie so schwierig?

      Auch in der Hierarchie gibt es sehr viele Führungskräfte, die eigentlich Widerspruch wollen, weil sie wissen, wie sehr dadurch Kreativität und Mitdenken aller Mitarbeiter befördert wird. Aber dennoch ist es im Alltag oft schwer, ihn zuzulassen. Manchmal ist es einfach eine Frage der Zeit. Widerspruch verlangt ja eine Debatte. Das ist oft lästig und rein zeitlich gesehen nicht möglich. Dann gibt es leider aber auch Chefs, die Widerspruch wirklich nicht wollen – wo es manchmal mehr um Hierarchiedenken und Machtgehabe geht, vielleicht auch um fehlende Souveränität, die es ja braucht, um Widerspruch nicht nur zuzulassen, sondern sogar einzufordern! Das ist dann natürlich schwierig und ausgesprochen schade, weil man sich damit viele Talente, die man im Unternehmen nutzen könnte, nicht nutzbar macht.

      Das ist die Perspektive der Führungskraft, von der man erwarten würde, dass sie Widerspruch sucht. Aber es gibt ja noch die zweite Seite, die Person, die widersprechen sollte. Da gibt es leider Verhaltensweisen, die mit Angst zu tun haben. Gerade gegenüber Leuten, die Macht ausüben, ist da bei vielen einfach eine lähmende Furcht. So erlebe ich durchaus auch in einer wohlwollenden, einladenden Atmosphäre, also wenn Widerspruch wirklich gewollt ist, dass man auf Leute trifft, die gar keine eigene Meinung mehr haben oder in vorauseilendem Gehorsam das vermeintlich Gewollte sagen. Auch das macht es schwierig, zu einer Widerspruchskultur zu kommen.

      Warum ist das Widersprechen dennoch wichtig, gerade in einer großen Hierarchie?

      Die erste Stufe ist schlicht die Risikoverminderung oder -begrenzung. Wenn ich erkenne, dass irgendwo Gefahr droht, und nicht widerspreche, erwachsen daraus schnell sehr große Gefahren. Ich habe also eine wirkliche Verpflichtung, auf Risiken hinzuweisen. Fast noch wichtiger finde ich, dass durch die Nutzung einer konstruktiven Widerspruchskultur eine Vielzahl von unterschiedlichen Talenten beginnen, zusammenzuwirken und dass Kreativitätsprozesse angekurbelt werden. Das ist doch das Schönste in einem Unternehmen! Ich spreche oft vom Kneten: Das geschieht dann, wenn jemand eine Meinung äußert und sagt: »Moment mal, lasst uns doch eine andere Perspektive einnehmen« – da kommt ein kreativer Prozess zustande. Und das ist immer wichtig. Ich denke, das ist die Quelle des Gestaltens und letztlich auch des wirtschaftlichen und wertebezogenen Erfolgs.

      Also eine Begeisterung für den Pluralismus und das kreative Potenzial, das er freisetzt?

      Ja, genau!

      Nun hat Klaus Mertes über Widerspruch und Loyalität geschrieben. Er sieht eine Art von Widerspruch, die destruktiv ist. Wie grenzen Sie konstruktiven von destruktivem Widerspruch ab?

      Auch diese Frage gefällt mir gut, weil es sehr wichtig ist, diesen Unterschied zu machen. »Alles ist schlecht!« ist noch keine Widerspruchskultur! Konstruktiv ist Widerspruch, wenn er vor allen Dingen das Gesamtziel vor Augen hat, zum Beispiel ein Gesamtunternehmensziel, und nicht einfach nur eine kurzfristige Optimierung des eigenen Bereichs. Und natürlich, wenn er lösungsorientiert ist. Und ich finde auch einen dritten Aspekt sehr wichtig: Am Ende eines Entscheidungsprozesses muss der Verantwortliche entscheiden. Wenn alle Meinungen ausgetauscht sind und es geht anders aus, als man es gewünscht hat, muss man das akzeptieren. Das heißt nicht, dass man nicht sagen darf: »Ich war anderer Meinung.« Aber man muss dann trotzdem mitarbeiten, die gefallene Entscheidung erfolgreich umzusetzen.

      Es braucht also einen lebendigen Dialog über Ziele. Und dann kommt es darauf an, wie groß der Raum ist: ob mein Ziel nur ist, dass mein Bereich gut läuft – dann kann es destruktiv werden –, oder ob ich bereit bin, mich mit einem großen Ziel zu identifizieren.

      Genau. Das setzt natürlich voraus, dass man so ein großes Ziel kennt, dass nicht jeder nur in seinem kleinen Silo vor sich hin wurstelt, sondern dass sich alle auf ein großes Ziel ausrichten und dann auch abwägen können. Wenn ich zielorientiert für meinen kleinen Bereich etwas anders machen kann, ohne das große Ganze zu stören, soll ich das artikulieren und versuchen, die Entscheider von meiner Meinung zu überzeugen.

      Welches ist denn das große Ziel von smart?

      Lebensqualität und Freude in der Stadt vergrößern! Wir wollen eine Marke sein, die in den immer größer werdenden Städten und Konglomeraten den Menschen ein besseres Leben ermöglicht, natürlich für unsere Kunden in den Autos, aber auch für die Bewohner der Metropolen schlechthin. Zum Beispiel die Elektromobilität. Was würde es denn konkret bedeuten, wenn eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen fahren würden? Das ist das Äquivalent vom CO2-Ausstoß von zighunderttausend Fernflügen, von ich weiß nicht wie vielen mit konventionellen Fahrzeugen gefahrenen Kilometern, 50 Prozent weniger Geräuschpegel – und es gibt für die Menschen heute fast keinen schlimmeren Stressor als Geräusch. Und dann wollen wir Stadtautos bauen, die Farbe, Individualität in die Stadt bringen statt des grauen Einerleis auf den Straßen. Oder ein wunderschönes Beispiel in Sachen Lebensqualität: In Rom hat smart bislang den größten Erfolg. Dort fahren mittlerweile hundertzwanzigtausend smarts. Ein smart ist ein Meter zwanzig kürzer als ein durchschnittliches Auto – das heißt, wir sparen in dieser Stadt jeden Tag rund 150 km Platz: Stau, Parkraum etc. Das erklärt unsere Vision, wie wir dazu beitragen wollen, das Leben in den Städten dieser Welt besser zu machen, sehr eindrücklich.

      Es geht gar nicht zuerst um Geld, sondern das große Ziel ist Lebensqualität?

      Es geht immer darum, die finanziellen Ziele in ein großes Ganzes einzubetten.

      Frau Winkler, wie fördern Sie denn den Mut zum Widerspruch?

      Indem ich mir anvertraute Menschen immer wieder ausdrücklich auffordere, ihre Meinung zu sagen, bevor sie meine kennen.

      Bevor sie Ihre kennen.

      Das ist außerordentlich wichtig. Wenn sie wissen, wie ich denke, besteht die Gefahr des vorauseilenden Gehorsams: dass man mir erzählt, wovon man denkt, dass ich es so hören will. Diese Aufforderung, erst einmal seine eigene Meinung zu haben, funktioniert leider nicht immer, das Thema der oft fehlenden Zeit für eine echte Debattenkultur, wie anfangs beschrieben, betrifft mich natürlich auch. Manchmal muss ich sagen: »Kommt, Kinder, jetzt machen wir das so!« Aber ich versuche sehr viel herauszuhören, durch unser smart-Haus oder die Fabrik zu laufen, den hierarchieübergreifenden Dialog zu pflegen und auch meine Führungskräfte dazu aufzufordern. Das Allerwichtigste ist das Vorleben. Wenn es keine Kultur gibt, oder andersherum: wenn jemand widerspricht und dafür sanktioniert

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