Prozess und Philosophie des Helfens. Edgar H. Schein
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Anders ist es bei Dienstleistungen: jemand braucht einen Haarschnitt, eine Maniküre, eine Massage oder sonst eine Leistung, die einen physischen Kontakt erfordert. Der Kunde hat ein spezifisches Bedürfnis, die Rolle des Helfers ist klar definiert, aber begrenzt. Die Beziehung bleibt in gegenseitigem Einverständnis formal und emotional distanziert, weil dem Helfer der physische Kontakt zum Körper des Klienten gestattet ist, ohne dass eine intime Beziehung existiert. Ist die Leistung zufriedenstellend, kann sich eine weniger förmliche Beziehung entwickeln, etwa zu einem Lieblingsfriseur oder dem persönlichem Trainer.
Komplexer wird es in einer Situation, in der es um spezifischere oder sehr persönliche Bedürfnisse geht, etwa wenn man den Rat eines Anwalts, Arztes, Finanzberaters, Priesters oder Th erapeuten braucht. Sie ist zunächst formal, aber man macht sich verletzbar, weil man dem Helfer umfassendere Sachkenntnis zuschreibt. In der Verkaufs- oder Dienstleistungsbeziehung hat der Kunde den höheren Status, denn er kann die Situation problemlos beenden; in der vom Kunden initiierten formellen helfenden Beziehung hat der Helfer aufgrund seiner Sachkenntnis höheren Status und mehr Macht. Deshalb brauchen solche Helfer nicht nur eine gründliche Ausbildung, sondern auch eine Zulassung oder Approbation und sind an professionelle Standards und Ethik gebunden. Weil professionelle Helfer in einer Position sind, in der sie den Klienten ausnutzen und übervorteilen könnten, unterliegen sie formellen Regeln und eigenen inneren Standards. Wie wir noch sehen werden, klammern sich Klienten deshalb oft an die Illusion, sie hätten den gleichen oder sogar einen höheren Status als der Helfer, weil sie ihn ja bezahlen. Sie leugnen ihre Verletzlichkeit, um das Gesicht zu wahren.
Schlussfolgerung und Implikationen
Eine Gesellschaft kann nur funktionieren und ihre Ordnung aufrechterhalten, wenn informelle gegenseitige Hilfe selbstverständlich ist. Die Regeln zur Gesichtswahrung gelten in allen Formen von Beziehung, und die Regeln der Ehrerbietung und des Benehmens legen fest, wie wir uns jeden Tag des Lebens helfen. Reagiert jemand allzu aggressiv, passiv oder peinlich, sorgen wir durch Verleugnung, Entschuldigung und/oder Distanzierung dafür, dass die Situation wieder funktioniert. Wir müssen besser begreifen, was passiert, wenn der normale Ablauf durch ein explizites Hilfsangebot oder eine explizite Bitte um Hilfe unterbrochen wird, und den helfenden Prozess selbst in den Blick nehmen. Dadurch wird erkennbar, dass die verschiedenen hier beschriebenen Beziehungen verschiedene Rollen erfordern. Das wirft die Frage auf, ob es eine gemeinsame, essentielle Dynamik der helfenden Beziehung gibt. Wenn Hilfe wesentlich auf Vertrauen beruht, was bedeutet es dann, seinem Autohändler zu vertrauen?
Der Aufbau einer Beziehung, welcher Art auch immer, erfordert Sensibilität für die soziale Ökonomie und die kulturellen Regeln, die vor Gesichtsverlust schützen, damit alle Beteiligten etwas davon haben und sie als ausgewogen empfinden. Im täglichen Schauspiel des Lebens spielen wir unsere Rollen so, dass das eigene Image und das der anderen nicht beschädigt wird. Wir haben beim Heranwachsen gelernt, in vielfältigen Situationen die jeweils angemessene Rolle des Akteurs oder des Zuschauers zu spielen.
Die Beziehung und die Aufgaben bestimmen den sozialen Wert, den wir in den einzelnen Situationen beanspruchen können. Man kann von dem Experten an der Computer-Hotline nicht erwarten, dass er private Probleme löst, und darf entsprechend nicht beleidigt sein, wenn er sich nicht dafür interessiert. Von einem Freund dagegen erwarten wir durchaus, dass er sich das persönliche Problem, das der Hilfe bedarf, aufmerksam und mitfühlend anhört. Tut er das nicht und versäumt es zudem, sein Desinteresse zu begründen, sind wir zu Recht beleidigt und werden uns in Zukunft nicht mehr an ihn wenden, wenn wir Hilfe brauchen.
Für zukünftige Helfer heißt das, dass sie sich die soziale Ökonomie und das soziale Theater, in dem wir alle leben, bewusst machen, über ihre Helferrolle in den verschiedenen Situationen nachdenken und lernen, mit welchen Währungen und Werten sie umgehen müssen, um eine Beziehung fair und gleichberechtigt zu gestalten.
Und schließlich müssen wir alle begreifen, dass Hilfe im Alltag eine wichtige soziale Währung ist, die, falsch eingesetzt, zu einem Ungleichgewicht führen kann. Beziehungen sind produktiver und angenehmer, wenn man weiß, wann und wie man anderen helfen und Hilfe von anderen annehmen kann. Anders ausgedrückt: Helfen ist sowohl ein routinemäßiger Austausch, der allem Sozialverhalten zu Grunde liegt, als auch ein spezieller Prozess, der den normalen Ablauf des Alltags unterbricht und einen besonders sensiblen Umgang erfordert. Im nächsten Kapitel beschäftige ich mich mit den besonderen Bedingungen der formellen Hilfe und mit den Fallen, in die Helfer wie Klienten dabei geraten können.
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