Pechwinkel. Martin Arz

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hat sie aber was zu trinken gebracht, manchmal was zu essen …«

      »Und manchmal durfte man mit zu ihr«, ergänzte der Einäugige mit der Stirndelle und rempelte prustend seinen Nebenmann an.

      »Halt doch deine Klappe, Idiot«, sagte der Zahnlose.

      »Mit zu ihr?«, fragte Pfeffer. »Durften Sie bei ihr übernachten, oder wie?«

      »Na ja, baden durfte man bei ihr, wenn sie in der Laune war «, sagte der Einäugige. »Ich durfte das. Und unser Jerzy hier auch.« Er rempelte wieder seinen Nebenmann an, der verschämt grinste und Rotz die Nase hochzog. »Der Sepp ist nur neidisch, weil sie ihn nicht mitgenommen hat, weil er ihr zu hässlich war. So ohne Zähne.«

      »Ihr habt doch keine Ahnung, ihr asoziales Pack«, rief der zahnlose Sepp. »Und ob ich bei ihr baden durfte!«

      »Habe ich das eben richtig verstanden«, sagte Max Pfeffer. »Sie alle waren also schon mindestens ein Mal bei Erna Kubelik in der Wohnung …« Er machte eine Kunstpause.

      »Ich nicht«, sagte der junge Mann. »Ich kann mich beherrschen, bei einer alten Assel zu baden.«

      »Klar, unser Mirko, der lässt sich ja beim Duschen zuschauen, wenn …«, sagte der zahnlose Sepp und Blondschopf Jerzy grinste.

      »Halts Maul, Sepp«, antwortete der junge Mann, der Mirko hieß, und trank einen Schluck aus seiner Augustiner-Flasche.

      »Frage an Sie alle, außer natürlich an Sie, junger Mann«, sagte Max Pfeffer. »Ist Ihnen in der Wohnung von Frau Kubelik irgendetwas aufgefallen? Hatte sie Wertgegenstände? Schmuck? Irgendetwas Wertvolles?«

      Alle lachten. Pfeffer fiel auf, dass der blonde Jerzy immer erst dann lachte oder grinste, wenn die anderen es taten. Der Einäugige wurde zuerst wieder ernst. »Was denken Sie, Herr Kriminalmeister. Sie hatte ihre Rente und ein Dach über dem Kopf. Das ist schon verdammt wertvoll.«

      »Und wie oft waren Sie bei ihr?«

      »Selten, viel zu selten.«

      »Wann zuletzt?«

      »Keine Ahnung. Im Oktober oder so. Du, Jerzy?« Er rempelte seinen Nebenmann erneut an. Der Blondschopf zuckte mit den Schultern und lachte.

      »Sie verstehen gar nicht, was ich sage, oder?«, fragte Pfeffer den Blondschopf direkt.

      Der sah ihn erschrocken an. »Nix deutsch«, sagte er dann.

      »Dachte ich mir schon«, murmelte Pfeffer. Jerzy setzte wieder ein breites Grinsen auf.

      Der zahnlose Sepp lachte. »Schlau kombiniert, Meister. Na, dann hatte ich ja wohl als Letzter das Vergnügen. Ich war Anfang Dezember bei ihr. Fichtenschaumbad. Herrlich. Und sie hatte eine Flasche echten Glühwein vom Nürnberger Christkindlmarkt.« Er sah versonnen in die Ferne.

      »Eine Frage noch, meine Herren«, sagte Max Pfeffer. »Warum nennen Sie sie denn Paloma?«

      »Na, wegen dem Auto«, sagte der Einäugige.

      »Blödsinn! Ihr Lieblingslied. La Paloma, ade, auf, Matrosen, ohé!«, fing der Zahnlose an zu singen und der Einäugige stimmte sofort erstaunlich textsicher in den Hans-Albers-Klassiker mit ein. »Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf See, mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh. Mein Herz geht an Bord und fort muss die Reise gehn, dein Schmerz wird vergehn und schön wird das Wiedersehn …«

      Jerzy sang »la la la« mit. Mirko schüttelte amüsiert den Kopf und tippte sich an die Stirn.

      06

      »Ich weiß nix«, sagte der alte Mann und schüttelte energisch den Kopf. Er nippte an seinem Bier und sah Max Pfeffer mit wässrig blauen Augen misstrauisch an. Ein Mix aus lange abgestandenem Zigarettenqualm und altem Bratfett machte die Räume stickig. Bei dem mit einer grauen Plane eingerüsteten Haus in der Pestalozzistraße hatte Max Pfeffer vorhin bei Xylander lange Sturm geklingelt und hatte schon gehen wollen, weil niemand öffnete. Da war eine Frau aus dem Haus gekommen und hatte auf Pfeffers Frage nach Bertram Xylander gesagt: »Den finden Sie vorne in der Stehkneipe in der Westermühlstraße, wenn er nicht da ist.«

      Die Stehkneipe hatte Pfeffer schnell gefunden. Countrymusik dudelte aus den Lautsprechern. Pfeffer stellten sich die Nackenhaare auf. Die dicke Wirtin hatte wortlos mit einer Kopfbewegung auf den alten Mann gewiesen, der alleine auf einem Barhocker an einem der Stehtische saß. Neben ihm stand eine große Plastiktüte eines Elektromarkts. Außer ihm befand sich noch ein weiterer alter Mann im Raum, der aus dem Fenster starrte und dabei unablässig mit dem Unterkiefer mahlte.

      »Wollen Sie sich setzen?« Xylander deutete auf einen abgewetzten Barhocker.

      Pfeffer setzte sich. »Herr Xylander, Sie haben Frau Kubelik als vermisst gemeldet.«

      »Na ja, ich hab sie halt gekannt, die Erna.« Er zuckte mit seinen gebeugten Schultern. Bertram Xylander rieb sich mit schwieligen Händen über das faltige Gesicht. Seine Haltung und seine Hände verrieten, dass er sein Leben lang körperlich schwer gearbeitet haben musste. »Sie war früher ein lebenslustiger Mensch. Wir haben oft mal was unternommen. Der Alkohol. Ja, dann kam der Alkohol, und sie wurde immer launischer in all den Jahren.« Er warf die Hände in die Luft.

      »Wie lange kannten Sie sich denn?«

      »Ewig. Ewig und drei Tage. Schon als Kinder kannten wir uns. Wir sind im selben Haus aufgewachsen. Vorne in dem Haus, in dem sie immer noch gewohnt hat. Sie ist dort aufgewachsen und gestorben. Ich bin als junger Mann ausgezogen. In meine Wohnung. Gleich ums Eck. Und jetzt soll ich raus. Wird luxussaniert. Wie alles hier.« Er deutete zu den Fenstern. »Presslufthammer und so Zeugs. Bumm, bumm, bumm. Seit letztem Oktober geht das schon so. Fast alle Wohnungen sind mittlerweile fertig. Sie haben mir eine Wohnung im Hasenbergl angeboten! Im Hasenbergl! Was soll ich da? Dann noch eine in Laim. Da will ich auch nicht hin. Ich bleibe hier. Ich wohne hier seit fünfzig Jahren. Ich habe vorne bei Hurth gearbeitet, Sie wissen schon, und als die dichtgemacht haben, dann bei Zettler.«

      Pfeffer nickte. Er kannte die alten Firmen, die hier im Viertel einst große Produktionsstätten unterhalten hatten. Hurth stellte bis in die 1980er-Jahre an der Holzstraße Zahnräder und Getriebe her, seitdem stand hier eine riesige Wohnanlage. Zettler produzierte bis 1999 elektrische Anlagen aller Art auf einem großen Areal zwischen Jahn- und Klenzestraße, wo sich nun eine Seniorenluxusresidenz befand. Bald würde auch der Brillenfabrikant Rodenstock, der letzte große Betrieb in der Isarvorstadt, seine Produktion in die Peripherie verlagern, dann wäre es endgültig vorbei mit dem alten Industrieviertel.

      »Die müssen mich schon mit den Füßen voran hier raustragen«, fuhr Xylander fort. »Ich bleibe, bis es gar nicht mehr geht. Und vor den Scheißpolacken hab ich schon gleich gar keine Angst!«

      »Polen?«

      »Na, die Schwarzamseln, die sie eingemietet haben.« Er deutete nach oben, als sei die Bar seine Wohnung, und die Bauarbeiter direkt über ihnen. »Die den Innenausbau machen. Lauter Verbrecher. Allen voran der Gorilla mit seinem debilen Bruder. Hausen da oben in einer Wohnung und machen nur Lärm und Dreck, statt zu arbeiten.« Er machte verächtlich »Pfffhhh« und winkte mit beiden Händen ab.

      »Sie sagten, Sie kennen Erna Kubelik schon seit Kindesbeinen«, sagte Pfeffer, um wieder aufs Thema zurückzukommen.

      Bertram

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