Das geschenkte Mädchen. Martin Arz

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Das geschenkte Mädchen - Martin Arz

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für den Handel zu erobern, fehlgeschlagen waren, ob es nun deutsche, englische oder französische Expeditionen waren. Nun hatten sich seit unserem Aufbruch erhebliche Zweifel an den tatsächlichen Qualitäten unseres Expeditionsleiters eingeschlichen. Statt den bekannten Weg über Malimba und dann den Lauf des Flusses Sanaga entlang durch den Urwald zu ziehen, hatte er darauf bestanden, eine »Abkürzung« quer durch das grüne Dickicht zu nehmen.

      »Geben Sie ruhig zu, daß Sie nicht wissen, wo wir sind«, sagte ich deshalb scharf. »Sie haben uns in die Irre geführt.«

      »Solche Expeditionen sind nichts für Händler, Herr Frese«, sagte der Mann schmatzend. »Sie haben mich als Führer bestellt, also werde ich Sie führen. Vertrauen Sie mir. Quer durch den Urwald kommen wir schneller nach Balinga. Sie werden staunen, das ist kein Dorf, das ist eine richtige Negerstadt. Von da aus können wir eine Karawanenstraße nehmen und im Handumdrehen sind wir in Jokó.«

      »Sie tun so, als sei das ein Spaziergang!«

      »Herr Frese, diese Expedition ist ohnehin mit zu wenig Mitteln ausgerüstet! Soll ich Wunder vollbringen? Sie können froh sein, daß ich ein paar gute Krieger vom Volk der Wute habe, die uns vor den schlimmsten Gefahren beschützen können. Sie sollten beten, Frese, daß das hier gut geht, nur weil die im fernen Deutschland meinen, man könne für ein paar Pfennige schnell mal durch wildes Gebiet ziehen! Gehen Sie rüber zu den Frömmlern und beten Sie. Oder kehren Sie um, Frese! Bitte sehr. Und dann sollten Sie warten, bis der Reichstag endlich mehr Mittel für Militärexpeditionen locker macht und das Hinterland von räuberischem Pack gesäubert wird.«

      »Sie wissen wie ich, daß der Reichstag mit Mitteln für die Schutzgebiete geizt. Außerdem, mein Lieber, waren es wir Kaufleute, die das Gebiet dem Reich gesichert haben! Wir bringen Frieden und Wohlstand …«

      »Und füllen nebenbei die Geldsäcke. Na, wie Sie wollen, Herr Frese. Aber passen Sie mal schön auf, daß Sie mit Ihren Geschäften nicht den Haussa in die Quere kommen. Die haben es gar nicht gerne, wenn man ihnen ins Handwerk pfuscht.« Er lachte ekelhaft.

      »Lassen Sie die Haussa mal mein Problem sein«, erwiderte ich scharf. Die Haussa, ein Mischlingsvolk zwischen Fulbe und Sudannegern, das einst so mächtige Königreiche wie das berühmte Sokoto hervorgebracht hatte, beherrschen seit Jahrhunderten den Handel in ganz Zentralafrika. Fast alle Haussa-Stämme sind zwar mittlerweile Vasallen der edlen Fulbe-Fürsten, doch die Fulbe haben nur die Macht, die Haussa den Reichtum. Nicht zuletzt deshalb nennt man diese Meister des Schacherns auch die Juden Afrikas. Doch das afrikanische Handelsprinzip ist noch erheblich vielschichtiger und komplizierter, als es sich unser Expeditionsleiter vorstellen konnte. Ich selbst hatte in den drei Jahren meines Hierseins erhebliche Mühe aufgewandt, um dieses verwirrende Geflecht von Warentausch zu begreifen.

      »In Jokó sind wir dann wenigstens die Pfaffen los. Wenn sie nicht schon vorher von den Heiden aufgeknüpft werden«, sagte unser Anführer mit vollem Mund und machte eine Kopfbewegung zu den zwei Missionaren, die mit uns zogen. Es waren die Brüder Alois und Alfred Kottbauer aus dem Badischen. Sie hatten den wagemutigen Plan, in Jokó eine Missionsstation zu gründen. Noch nie hatten sich Missionare so tief ins Gebiet der Mohammedaner gewagt. Die beiden Männer waren eben damit beschäftigt, sich ein paar Brocken Affenfleisch vom Braten abzuschneiden. Mit ihren vollen Tellern eilten sie dann wieder hinüber zu den erbärmlichen Hütten, in denen eine Sippe unterentwickelter Urwaldbewohner ihr Zuhause hatte. Wie in den vergangenen Tagen hatten wir uns eine solche Siedlung als Nachtcamp ausgewählt. Die Dschungelneger lebten meist an einem Flußlauf, rund um die Hütten war ein kleines Stück Land gerodet, auf dem einige Nutzpflanzen wie Maniok und Süßkartoffeln angebaut wurden.

      »Na, wenn wir Glück haben, bleiben die Pfaffen gleich hier«, gluckste er. Klagendes Geschrei und sonderbar weiches Vorübergleiten kündete davon, daß Flughunde über uns auf Jagd waren. »Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir sie nicht hätten mitnehmen müssen. Sie fangen schon an, meine Wute-Krieger zu bequatschen, und ständig schleichen sie um unsere Träger herum. Die Krieger sollen uns beschützen und die Träger unsere Sachen schleppen. Der Lohn, den wir ihnen zahlen, ist dafür genug. Da brauchen sie nicht noch das Himmelreich als Trinkgeld in Aussicht gestellt zu bekommen.« Der Mann machte mich wegen seiner ungehobelten Art zum unzähligsten Mal wütend auf sich. Er stand auf. »Ich gehe noch mal zu meinen Kriegern, um ihnen die Flausen von Nächstenliebe aus dem Kopf zu treiben. Wir werden die primitive Urgewalt brauchen, wenn wir unterwegs Schwierigkeiten haben, nicht die vergebende Hand Gottes.« Er lief auf das munter prasselnde Feuer zu, um das sich die Krieger vom Stamm der Wute geschart hatten.

      So marschierten wir Tag um Tag durch den Dschungel. Sofern man bei Tag von »Tag« sprechen kann. Unter dem feuchten, dumpfen, halbdunklen Blättergewölbe herrscht auch bei strahlendem Sonnenschein ständig dunstiges Dämmerlicht. Tagelang stolperten wir da unten zwischen den mächtigen Pfeilerstämmen, dem Gewirr, Gestrüpp und Wurzelwerk und den endlosen Lianen auf unserem Weg entlang. Oft schwirren einem kostbare Edelsteine vor den Augen: Kleine bunte Vögel stehen über einer Blüte und bewegen ihre Flügel so schnell, daß man nur den winzigen Leib im Licht irisieren sieht. Etwas hingegen sieht man im Dschungel nie: die wilden großen Tiere. Elefanten, Leoparden, Löwen oder Panther halten sich im Dickicht verborgen und denken gar nicht daran, den Menschen anzugreifen oder vor seine Flinte zu laufen. Ich hatte schnell meine Furcht vor den »mörderischen Bestien« abgelegt. Gefahr drohte uns von dieser Seite keine, auch nicht von den Schlangen. Die größeren giftigen Reptilien, die mit ihrem Biß das feste Schuhwerk des Europäers durchdringen können, kann man leicht umgehen, wenn man aufmerksam ist.

      Gefahr drohte uns allein von den Tieren, die jeder Urwaldkenner zu Recht fürchtet: Ungeziefer, die wahren Bestien Afrikas. Flöhe, die einen piesacken und sich heimtückisch unter die Zehennägel bohren, um dort schmerzende Geschwüre zu erzeugen, die den Wanderer für Wochen vollkommen marschunfähig machen; Ameisen, die zu Tausenden überall hineinkrabbeln und einem schmerzhafte Bisse zufügen; Ratten, die Stiefel und Proviant anknabbern und nächtliche Kletterübungen an den Schläfern machen; Fliegen, die in Mund, Augen und Nase eindringen und den Körper mit brennenden Stichen martern, oder sich eitererzeugend in Wunden setzen.

      07 »Sansibar war immer mein Traum. Sansibar – schon der Name allein verheißt die süßesten Träume von Exotik«, pflegte ich immer zu sagen – Helene kannte diesen Satz in- und auswendig. Sie hatte ihn immer wieder gelesen. Immer wieder. Irgendwann hatte sie aufgehört zu zählen, wie oft sie schon die Erinnerungen von Leopold Konrad Frese gelesen hatte. Dennoch heuchelte sie Interesse, als ihr Emmy Frese das aufgeschlagene Buch in die Hand drückte.

      »Hier«, sagte die Greisin, »lesen Sie mal. Dann wissen Sie alles über mich und meine Familie.«

      »Gerne, Frau Frese«, antwortete Helene und legte das abgegriffene Büchlein beiseite. Das Büchlein mit dem Titel

, das sie schon ihr ganzes Leben begleitete und das sie seit einem halben Jahr beinahe ständig bei sich trug. »Aber jetzt sagen Sie mir erst, wo ich die Konservendosen verstauen soll.« Sie hatte die Einkäufe auf den Küchentisch gestellt und begonnen, die Kartons mit Altglas in eine Ecke zu stapeln. Einen guten Teil des Mülls in der Küche hatte sie schon entsorgt. Bald würde es hier wie bei einem normalen Menschen aussehen. Natürlich gab es, entgegen der Behauptung der Alten, keine Putzfrau, die die Küche auf Vordermann bringen würde.

      »Ach, das hat doch Zeit«, erwiderte Emmy Frese. »Ich habe uns einen Nusskuchen gebacken und der Tee ist noch warm. Steht alles in der Stube. Kommen Sie, mein Kind.« Die alte Frau zog Helene ins Wohnzimmer und wies ihr einen Platz auf dem beigen Breitcordsofa zu. Im Gegensatz zur Küche war das Wohnzimmer tipptopp aufgeräumt und oberflächlich sauber. Lediglich die Bezüge der zwei Sofas und drei Sessel waren speckig und abgewetzt. Helene ekelte sich ein klein wenig vor dem, worauf sie saß.

      »Ja«,

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