Das geschenkte Mädchen. Martin Arz

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Das geschenkte Mädchen - Martin Arz

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Frauenstimme. »Mein Mann ist nicht da und ich muss zu einem Businesstermin nach Berlin. Ich komme gleich raus, mein Taxi müsste jeden Moment da sein.«

      »Scheiße!«, fluchte Freudensprung und hüpfte von einem Bein auf das andere.

      Es dauerte noch einige Minuten, bis sich endlich die Eingangstür öffnete und eine perfekt gestylte Frau im dunklen Kaschmirmantel auf den Waschbetonweg trat. Ein kuscheliger Pelzkragen umschmeichelte ihr Gesicht. In den warm behandschuhten Händen trug sie einen kleinen Koffer und eine Aktentasche aus Krokolederimitat.

      »Worum geht es?«, fragte sie die beiden Kriminalbeamten und winkte mit einem »Jajaja« gelangweilt ab, als Pfeffer ihr seinen Ausweis- unter die Nase hielt.

      »Frau Frese-Mayer, kennen Sie einen Doktor Sönke Westphal?«

      »Nicht, dass ich wüsste. Sollte ich?«, entgegnete sie leicht schnippisch. Der Wind brachte keine Strähne ihres betont auf lässig frisierten Haares durcheinander.

      »Er war Experte für afrikanische Kunst«, sagte Freudensprung.

      »War?« Frau Frese-Mayer zog eine Augenbraue hoch. Es sah nach einer lange und sorgfältig einstudierten Mimik Marke »Sag mir lieber gleich, was du zu verheimlichen versuchst« aus.

      »Er wurde gestern tot aufgefunden, Frau Frese-Mayer. Ermordet, um genauer zu sein.« Pfeffer bemühte sich genauso gelangweilt zu reden wie sein Gegenüber.

      Keine Reaktion bei der Frau. »Bedauerlich«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Doch leider kann ich Ihnen beim besten Willen nicht weiterhelfen. Ich kannte ihn nicht. Ah, da kommt ja endlich mein Taxi.« Ein zartbeiger Mercedes hielt an.

      »Und Ihr Mann? Könnte er Doktor Westphal gekannt haben?«, fragte Pfeffer und half der Frau beim Verstauen des Koffers auf der Taxirückbank.

      »Schon möglich. Georg kennt die seltsamsten Menschen. Aber das müssen Sie ihn selbst fragen.« Sie stieg in den Wagen.

      »Wann ist Ihr Mann denn mal zu Hause?« Pfeffer musste sich beherrschen, um nicht noch »Lassen Sie sich halt nicht alles aus der Nase ziehen« hinzuzufügen.

      »Mein Mann ist gestern für zwei Tage zum Skifahren nach Zürs gefahren. Da müssen Sie sich also noch ein wenig gedulden. Und wenn er wieder da ist, dann erreichen Sie ihn am besten bei seiner Großtante. Da kann er sich durchschmarotzen und nach Herzenslust besaufen. Seine beiden Lieblingsbeschäftigungen.« Sie zog mit einem Ruck die Autotüre zu. Pfeffer wollte sie schon fast wieder aufreißen, als Frau Frese-Mayer das Fenster einen Spalt herunterließ und »Emmy Frese, Palmstraße 7. Glockenbachviertel. Schönen Tag noch!« rief, während das Taxi losfuhr.

      »Jetzt schließ endlich das verdammte Auto auf, ich habe schon Frostbeulen«, grummelte Paul Freudensprung.

      »Hör zu, Paul«, sagte Pfeffer, als sie endlich im warmen Wagen saßen. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Freudensprung sah seinen Chef verwundert an. »Deine Laune geht uns allen auf den Sack. Entweder du sagst mir jetzt, was los ist, oder ich werde dich auf irgendeinen popeligen Fall ansetzen. Dann kannst du dich alleine am Schreibtisch austoben und vermiest uns anderen nicht das Leben.«

      Freudensprung verschränkte auch die Arme, lehnte sich zurück und schwieg.

      »Wie lange kennen wir uns jetzt?« Pfeffer bemühte sich um einen versöhnlichen Ton und zündete sich eine Zigarette an. »Wir sind schon zu lange befreundet, als dass wir uns noch was vormachen könnten, oder? Du hast mir damals sehr geholfen, als ich vor den Trümmern meiner Ehe stand. Du weißt alles über mich, ich weiß mit Sicherheit viel über dich, oder irre ich mich? Was ist los mit dir?« Freudensprung schwieg. »Du kannst mir zigmal erzählen, dass du nur schlecht geschlafen hast. Mann, ich sehe doch, dass es dir beschissen geht. Ist es wegen Irene? Habt ihr Krach?«

      Freudensprung schwieg trotzig. »Sie hat mich rausgeschmissen«, brach es letztlich aus ihm heraus. Er kaute auf seiner Unterlippe. »Am Neujahrsmorgen. Einfach rausgeschmissen.« Er schluchzte kurz. »Entschuldige. Sie sagt, dass sie es mit mir nicht mehr aushält. Dass ich ein verlogener Hallodri sei, der jedem Rock hinterherrennt. Dass ich sie gleichzeitig einenge, ihr die Luft zum Atmen nehme. Aber ich bin mir sicher, dass sie in Wahrheit einen Neuen hat. Da muss ein anderer Kerl dahinterstecken.«

      »Meine Güte!« Pfeffer legte seinem Kollegen die Hand auf die Schulter. »Sag ganz ehrlich: Hatte vielleicht dein Aufriss von neulich etwas damit zu tun?«

      »Da war doch nix! Man wird doch noch flirten dürfen. Verdammt, die Kleine neulich hat mir doch gar nichts bedeutet! Irene bauscht immer alles so auf! Sie wirft mir immer vor, dass ich sie mit meiner Eifersucht einenge, dabei ist sie auf jedes weibliche Wesen eifersüchtig, das irgendwo am Horizont auftaucht.«

      »Alles bedeutungslos, was du mit den Mädels machst. Und Irene hat dafür seltsamerweise kein Verständnis, hm? Und jetzt? Wo wohnst du?«

      »Nirgends«, sagte Freudensprung und schniefte. Er nahm Pfeffer unvermittelt die Zigarette aus der Hand, inhalierte lange und tief und gab seinem Chef den Glimmstengel zurück. Freudensprung, der Nichtraucher aus Passion, hustete erbärmlich. »Ich hatte noch keine Zeit, mir eine neue Wohnung zu suchen. Ich wollte nicht, dass jemand erfährt, dass ich … na ja, dass ich auf der Straße stehe. Meine Freunde und so, die sind alle so etabliert und gesetzt. Nein, Scheißspießer sind sie und eigentlich sind es alles Irenes Freunde. Wenn die erfahren, dass ich rausgeschmissen wurde, würden die nur sagen: ›Selbst schuld‹. Ich hab eine ganz passable Pension gefunden, wo ich zumindest ein Bett habe. Ist billig und sauber.«

      Pfeffer reichte Freudensprung eine Packung Tempos und fasste einen Entschluss. »Du kannst bei mir wohnen. Vorerst. Bis du was gefunden hast«, sagte er und startete den Wagen.

      »Nein, nein, schon okay.« Freudensprung winkte ab und schneuzte sich.

      »Stell dich nicht so an«, antwortete Pfeffer. »Wir fahren später bei der

      Pension vorbei, holen deine Sachen und dann kriegst du die Schlafcouch in meinem Gästezimmer. Du wohnst bei mir.«

      »Was sollen denn deine Jungs sagen?«

      »Die sind Männer im Haus gewohnt.« Die beiden Polizeibeamten lachten. »Und jetzt schau mich nicht so dankbar an, sonst nenne ich dich auch Gaudihupf. Sag mir lieber, ob wir an der nächsten Ampel rechts oder links müssen. Wieso muss diese Aische Demir auch ausgerechnet in Ramersdorf wohnen? Da kennt sich doch keine Sau aus.«

      Freudensprung holte das Filofax des Ermordeten aus seinem Rucksack und blätterte darin. »Glück gehabt, dass er so kurz nach dem Jahreswechsel noch den Vorjahreskalender drin hatte.« Freudensprung schlug die Seite mit Mitte Oktober auf, in der am Montag und am Donnerstag der Name Frese-Mayer eingetragen war, blätterte dann weiter zur zweiten Novemberwoche. Wieder Frese-Mayer, diesmal rot umringelt. Dazwischen kaum Einträge, überhaupt enthielt der ganze Kalender nur sehr wenig Einträge. Zwei Messetermine sowie ab und zu mal ein Name, hinter dem meistens Sotheby’s oder Christie’s oder der Name einer Universität stand, dreimal waren in den letzten Wochen des Jahres auch die Kürzel PU verzeichnet.

      Westphal hatte sein Filofax kaum genutzt. Vor allem der Adressenteil war regelrecht jungfräulich. Kein Stift schien seine Seiten je berührt zu haben. Sicherlich hatte der Tote ein gesondertes Adressbüchlein, das der oder die Täter hatten mitgehen lassen. Keine Visitenkarten befanden sich in den Taschen, nur eine Zeitungsseite war kleingefaltet hinter dem Kalenderteil eingeschoben. Freudensprung faltete sie zum x-ten Mal auf. Eine Seite aus der Süddeutschen Zeitung

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