Das geschenkte Mädchen. Martin Arz

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Das geschenkte Mädchen - Martin Arz

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nie wieder eine Zigarette von mir.«

       06

      »Sansibar war immer mein Traum. Sansibar – schon der Name allein verheißt die süßesten Träume von Exotik«, pflegte ich immer zu sagen, wenn mich jemand fragte, warum ich nach Afrika gekommen war. Sansibar, allein der Klang des Namens! Nun, es hatte nicht sollen sein. Sansibar sollte immer ein unerreichter Traum für mich bleiben. Ein Traum, der allmählich weiter und weiter in Vergessenheit gerät, seit ich hier bin. Hier in dem Land, das für mich eine zweite Heimat geworden ist, obwohl es mit meiner geliebten Heimat im fernen Königreich Bayern rein gar nichts gemein hat. Absolut gar nichts. Ich habe Sansibar gegen Kamerun eingetauscht. Wie konnte ich ahnen, daß ein primitiver Negerstamm und ein kleines Negerpüppchen mir das vollkommene Glück bringen würden? Doch ich greife vor und muß nun von vorne beginnen. Im Jahre 1890, in dem alles seinen Anfang fand:

      Mit einem kräftigen »Patsch« erschlug ich bestimmt die tausendste Mücke. Ihr zerdrückter Körper und die paar Tropfen Blut, die sie mir abgezapft hatte, bildeten ein pittoreskes Muster auf meinem Handrücken. Mich ekelte, so schnippte ich den toten Plagegeist in das Urwalddickicht. »Patsch«, die nächste, und »patsch«, wieder eine. Warum tat ich mir nur diese Hölle an?! Wie hatte ich je so wahnsinnig sein können, Bertram Jacobsens Drängen nachzugeben? Oh ja, die unermeßlichen Reichtümer lockten, doch dafür mußte ich durch die Hölle gehen. Doch was für eine! Zwar heiß, aber nicht lavarot, sondern dschungelgrün. Trotz allem die schönste und verführerischste, die man sich vorstellen kann. Eine Hölle, die süchtig macht, die mich gefangenhält. Und ich bin gerne ihr Gefangener.

      Sansibar war einst der Grund für mich, München und meine heißgeliebten Eltern zu verlassen, und in Bremen in die Dienste des Handelshauses Jacobsen & Co. einzutreten. Vermutlich hatte ich das gleiche Fernweh geerbt, das meinen Bruder Josef weiland in die Marine eintreten ließ, um die weite Welt zu sehen. Mich trieben die faszinierenden Berichte der berühmten deutschen Afrikaforscher Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal, die dem dunklen Kontinent mutig Geheimnis um Geheimnis entrissen. Doch meine Hoffnung, die während meiner Lehrjahre in Bremen ständig neu genährt wurde, nach der Ausbildung in die Niederlassung nach Sansibar versetzt zu werden, zerschlug sich an dem Tag, als der Seniorchef Jacobsen beschloß, eine weitere Niederlassung in Kamerun zu eröffnen. Der Kautschuk-, Elfenbein- und Palmölhandel verhieß größte Gewinnspannen. Also wurde ich gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn Bertram nach Duala geschickt, zwei weitere Faktoreien zu den bereits seit langem betriebenen drei Faktoreien der Firma Jacobsen & Co. aufzubauen und zu leiten.

      So wurde mein afrikanischer Traum in Kamerun Wirklichkeit. Jacobsen & Co. besaß an der Westküste Afrikas Niederlassungen an den Gestaden Gabuns, die älteste bereits seit 1867, in Liberia und in Dahomey und galt neben den Firmen C. Woermann und Jantzen & Thormählen als eines der wichtigsten Handelshäuser für die reichen Schätze dieses fernen Erdteils. Jacobsen sen. selbst hatte einst an jenen historischen Tagen im Juli 1884 gemeinsam mit den Herren Woermann, Jantzen und Thormählen den Vertrag ausgehandelt, in dem die Könige Bell, Dido und Akwa die Hoheitsrechte ihrer Länder an die deutschen Firmen übertrugen.

      Als das Schiff im Jahr 1887 in Duala eintraf, das Bertram Jacobsen und mich in die neue Heimat brachte, war Sansibar für mich mit einem Schlag in weite Ferne gerückt. Der beeindruckende Berg der Götter, der Kamerunberg, dessen scharf umrissener duftiger Gipfel mit einem Mal aus der blauen Flut auftaucht und schon weit vom Meer aus sichtbar den Seefahrer zu sich lockt! Mächtige Gebirgszüge mit schneebedeckten Kuppen, die sich über dem dichten Grün wildwachsender Gebüsche und Wälder erheben. Welch gigantisches Eingangstor hat die Natur hier zum Herzen Afrikas erschaffen! Freilich – das überwältigende Panorama, das man von See aus hat, weicht beim Näherkommen einem öden Küstenbild. Dichtes Mangrovengebüsch bedeckt die Landschaft, die nur selten durch die aus dem Buschwerk herauslugenden Hütten eines Fischerdorfes belebt wird. Ab und an kreischt irgendwo ein Papagei. Nach gut zwei Stunden Fahrt wurde das Bild für uns Neulinge endlich anziehender, der Regierungssitz am rechten Ufer des Kamerunflusses kam in Sicht, ebenso mehrere europäische Anlagen und einige Negerdörfer.

      Diese betörende Üppigkeit der Tropen, die den Ankommenden begrüßt! Der augenscheinliche Überfluß an Nahrungsmitteln und wertvollen Rohstoffen überstieg schon damals alle unsere Erwartungen. Dazu noch die uns Deutschen freundlich gesinnten Neger.

      Doch wir mußten auch schnell lernen, daß sich die Natur niemals nur gütig zeigt. Die Tropen warten mit Gefahren auf, die uns Europäer nur allzuoft bis ins Mark erschüttern. Das Klima, die Hitze und die Feuchtigkeit setzten uns bald schwer zu. Ebenso manch Ungeziefer und Gewürm. Und nie werde ich unseren panischen Schrecken vergessen, der uns bei dem ersten tropischen Gewitter überfiel. Dieses Krachen, als würde sofort die Welt untergehen. Man erwartet, in wenigen Sekunden vor dem Schöpfer zu stehen. Auch heute noch bereitet mir ein besonders heftiges Gewitter Unbehagen. Doch wie wunderbar sind dann wieder die von mildestem Sternenlicht durchflossenen Nächte, erfüllt mit dem verschwenderischen Duft märchenhafter Blüten. Nächte, in denen allerlei rätselvolle Stimmen an dein Ohr dringen, in denen gelegentlich eine kleine Negermusik aufbrummt, oder wie Geisterspuk das Schlagen einer Nachrichtentrommel ertönt und wieder verebbt. Wer je den Zauber einer solchen Nacht erlebt hat, vergißt Sansibar gerne.

      »Massa Frese!« Mein Boy Robert kam zu mir gelaufen. »Hier, das Essen ist fertig.« Er hielt mir einen Teller mit gebratenem Fleisch und zwei gekochten Bananen sowie einen Becher unvergorenen Palmenweines hin. »Ich habe für Sie Lendenfleisch ergattert«, sagte er stolz. Er strahlte mich an und erwartete Lob, das ich ihm eigentlich nicht geben konnte, denn mir graute vor dem Essen.

      »Gut, Robert«, sagte ich trotzdem und nahm ihm den Teller ab. »Das hast du gut gemacht. Danke.« Müde lehnte ich mich an den Baumstamm eines Urwaldriesen und betrachtete das Fleisch. Die Soldaten hatten an diesem Tag nichts anderes vor ihre Gewehre gekriegt als Schimpansen. Affenlende als Abendessen. Ich hatte mir meine erste Reise ins Landesinnere schlimm vorgestellt, aber nicht so schlimm. Ach, Sansibar – nur, wenn man im tiefsten Dschungel sitzt und ein Schimpansenschnitzel auf den Knien balanciert, überwältigen einen die Sehnsüchte nach der paradiesischen Gewürzinsel vor der Küste Deutsch-Ostafrikas. Vor vier Tagen waren wir in Duala aufgebrochen und steckten nun in der grünen Hölle.

      »Na, Herr Handlungsreisender, schon an den Urwald gewöhnt?« Mein Expeditionsleiter gesellte sich zu mir und setzte sich auf seinem Klappstuhl neben mich. In Minutenschnelle war stockfinstere Nacht hereingebrochen.

      »Wie soll man sich daran gewöhnen?« fragte ich zurück und deutete auf seinen Teller. Unser Expeditionsleiter, dessen Namen ich hier verschweigen möchte, um seine Familie zu schonen, da er sich im Laufe unserer Reise wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, hatte offenbar ein weniger gutes Teil vom Schimpansen abbekommen als ich. Es sah mir sehr nach einer verkohlten Hand aus.

      »Ach, ich habe schon Schlimmeres gegessen«, antwortete er mit einem Achselzucken und knabberte an einem Affenfinger herum.

      »Wann erreichen wir endlich das Hochland?« fragte ich und begann mit dem Verzehr der Affenlende. Nach afrikanischer Sitte tunkte ich das Fleisch in einen Topf mit dampfender, würziger Pfeffersauce. Wider Erwarten schmeckte die Mahlzeit köstlich und mein Ekel legte sich ebenso schnell wie damals, als ich das erste Mal in Palmöl gesottene Maden vorgesetzt bekam. Schimpanse schmeckt erstaunlicherweise einem Schwein nicht unähnlich.

      »Schon ungeduldig? Wir sind erst vier Tagesmärsche von Duala entfernt. Ich bin diese Strecke noch nie gegangen.« Unser Führer hatte das Innere von Kamerun bereits in mehreren Expeditionen erkundet. Er sprach zudem einige Eingeborenendialekte und kannte sich bei den Gepflogenheiten mancher

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