Das geschenkte Mädchen. Martin Arz
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»Meine Tante hat mir schon alles erzählt«, begrüßte Aische die Polizisten an der Wohnungstür. Sie war eine hübsche junge Frau mit dunklen ernsten Augen und frecher Kurzhaarfrisur. Sie entsprach überhaupt nicht dem, was Pfeffer erwartet hatte. Statt Kopftuch und Kittel wie ihre Tante trug sie modische schwarze Hosen und ein enges grasgrünes Oberteil aus flauschigem Kunststoff. In ihrem Einzimmerappartement sah es aus wie in der Wohnung einer Studentin. Ein wenig Design, ein wenig Ramsch, aber weit und breit kein orientalischer Kitsch. Dann hörte Pfeffer leise türkische Musik. Also doch.
»Entschuldigen Sie«, sagte Aische. »Aber meine Nachbarn haben immer so laute Musik. Es ist ziemlich hellhörig hier. Wie kann ich Ihnen helfen? Ich muss gleich zur Uni.«
Statt »Was studieren Sie?« zu fragen, rief Freudensprung erstaunt: »Sie studieren?!«
»Natürlich«, entgegnete die junge Frau gelassen. »Hat Ihnen das meine Tante nicht erzählt? Kommunikationswissenschaft im fünften Semester, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Und da finden Sie keinen besseren Job als putzen?«, fragte Pfeffer ungläubig.
»Putzen? Das habe ich nur nebenbei gemacht. Und auch nur für Doktor Westphal. Leicht verdientes Geld. Da musste man nur jeden Tag rauswischen und ab und zu die Regale entstauben. Für die Schaufenster kam immer ein anderes Putzteam.«
»Hört sich nicht nach einem tollen Job an.«
»Ich habe ja auch hauptsächlich im Laden gearbeitet. Zwei halbe Tage pro Woche als Mädchen für alles. Verkaufen, Ware katalogisieren und so weiter. War ganz interessant. Er hatte schöne Ware.«
»Interessieren Sie sich für Afrikanika?«
»Anfangs nicht besonders.« Aische lachte kurz. »Ich habe den Job durch eine Freundin bekommen. Mittlerweile kenne ich mich auch ganz gut damit aus.« Sie nahm einen kleinen Nagelfetisch vom Bücherregal. »Den hat er mir mal geschenkt. Völliger Ramsch. Aber ein Verkaufsschlager.«
»Hatte Doktor Westphal auch sehr wertvolle Ware? Ware, die eventuell einen Raubmord rechtfertigen würde?«
Die junge Türkin zog die Stirn kraus. »Natürlich, was denken Sie denn. Er hat antike Kunst der Benin und Nok sowie einige Kostbarkeiten der Ife. Exquisite Arbeiten, echte Museumsstücke, für die Sammler ein Vermögen hinlegen würden. Aber mit Afrikanika ist es mittlerweile wie mit europäischer Kunst. Gestohlene Arbeiten lassen sich nur sehr schwer auf dem Markt veräußern, wenn sie bekannt sind. Da gab es doch vor kurzem diesen Vorfall mit den gestohlenen Nok-Figuren in Frankreich …«
»Sie meinen die Geschichte mit Jacques Chirac und dem Ankauf für den Louvre?«, unterbrach Pfeffer und nötigte Aische damit ein bewunderndes Lächeln ab.
»Eine Blamage für den französischen Präsidenten. Ich sehe, Sie kennen sich auch aus«, sagte die Frau.
Pfeffer tat verlegen, dann holte er aus seiner Tragetasche die Holzfigur, die in Westphals Blutlache gestanden hatte. »Kennen Sie diese Figur, Frau Demir? Können Sie mir darüber etwas sagen?«
Aische Demir zuckte mit den Schultern. »Nein, keine Ahnung. Nie gesehen. Könnte vom Stil her Bamun oder Ndjamele sein. Aber da hätte Ihnen Doktor Westphal sicher genauere Auskunft geben können. Wenn es antikes Ndjamele ist, ist sie einiges wert.« Die Frau nahm die Figur in die Hände, drehte und wendete sie. »Ich kann mich, wie gesagt, täuschen, aber ich glaube, dass dieses Teil ziemlicher Ramsch ist. Kein halbes Jahr alt. Künstlich patiniert. Also ein paar Monate irgendwo vergraben und schon siehts echt antik aus. Wert gleich Null. Obwohl – na ja, ach, keine Ahnung!« Sie roch an der Figur, drehte sie herum und strich mit dem Daumen zart über die äußeren Unterkanten der Füße. »Hmm, vielleicht doch echt. Sehen Sie, Fälschungen erkennt man meist daran, dass die Unterseite noch recht scharfkantig ist. Bei echt alten Figuren sind die Unterkanten durch Witterung, Beopferung oder einfach durch Gebrauch immer weich abgeschliffen. Diese hier sind weich abgeschliffen. Wenn es eine Fälschung ist, dann hat der Fälscher selbst auf solche Kleinigkeiten geachtet. Ein Top-Profi.«
»Und welches Interesse sollte jemand haben, so eine Figur zu fälschen?« Pfeffer nahm die Statuette wieder an sich. »Ist die besonders selten?«
»In diesem konkreten Fall bin ich überfragt.« Aische lächelte entschuldigend. »Sie sollten sich an einen Fachmann wenden. Bei den Afrikanika ist es wie bei Autoersatzteilen, Designerklamotten oder Uhren – es wird gefälscht, was gutes Geld bringt.«
»Ihre Tante sagte uns, dass Doktor Westphal Ihnen nachgestellt haben soll«, sagte Freudensprung. Aische zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Stimmt das nicht? Es soll der Grund gewesen sein, warum Sie Ihren Job im Laden aufgegeben haben.«
»Ich arbeite nicht mehr in der Galerie, weil ich jetzt in einer PR-Agentur jobben kann«, antwortete Aische.
»Sie haben die Frage nicht beantwortet«, hakte Pfeffer nach. »Ist Doktor Westphal Ihnen zu nahe getreten?«
Aische sah aus dem Fenster und sagte nach einigen Sekunden bestimmt: »Nein! Ist er nicht.«
»Was wissen Sie über sein Privatleben? Hatte er eine oder mehrere Freundinnen? Können Sie uns seine Geschäftspartner nennen? Sagt Ihnen die Abkürzung PU etwas? Kurz, mit wem hatte er Kontakt und wer hätte ein Motiv für so eine grausame Tat?«, fragte Pfeffer.
»Wissen Sie was?« Aische zog sich eine dicke Daunenjacke an. »Ich muss jetzt wirklich zur Uni, wenn ich die Klausur nächste Woche verbocke, kann ich das Semester vergessen. Falls ich heute Nachmittag etwas Zeit habe, werde ich Ihnen eine Liste von allen Personen machen, mit denen Westphal zu tun hatte. Zumindest von den Personen, die ich kenne. Ist das ein Vorschlag?«
»Na, Chef! Alles klar, Gaudihupf?!«, begrüßte Annabella Scholz ihre Kollegen im Büro und schwenkte ihre modische Brille mit der linken Hand. »Wohl doch kein so leichter Fall. Das hier ist die Kiste mit allem, was wir an Unterlagen auf, neben und unter seinem Schreibtisch gefunden haben. Ziemlicher Chaot.«
Pfeffer wühlte kurz in dem Umzugskarton. Rechnungen, Schriftverkehr, zwei englische Lexika über afrikanische Kunst, ein paar ältere Bücher. Er nahm die Bücher heraus und legte sie sich auf den Schreibtisch.
»Was hast du rausgefunden, Bella?«
»Ich habe mit Westphals Mutter gesprochen und mit seiner letzten festen Freundin. Zumindest mit der letzten Freundin, von der seine Mutter wusste«, antwortete Annabella Scholz. »Nicht sehr ergiebig. Die Ex ist schon seit einem halben Jahr verheiratet und hat nur gesagt, dass unser Opfer tatsächlich ein ziemlicher Schürzenjäger gewesen sein muss. Die Mutter weiß von seinen Geschäften gar nichts.«
»Hast du sie gefragt, ob sie mit PU etwas anfangen können?«, fragte Pfeffer.
»Nein. Kann ich aber noch nachholen«, antwortete Annabella. »Und zu einer gewissen Figur konnte ich nichts recherchieren, da gewisse Kollegen besagte Figur einfach mitgenommen haben.« Sie sah Pfeffer frech an.
»Und die Gerichtsmedizin? Wie weit sind die?«
»Deine Freundin Gerda Pettenkofer hat mich rausgeschmissen. Sie sagt, dass ihre Abteilung momentan von einer Grippewelle heimgesucht wird. Sie war sogar so reizend, mich mit ihrem Nikotinatem demonstrativ anzuhusten. Du möchtest dich bitte