Das geschenkte Mädchen. Martin Arz

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Das geschenkte Mädchen - Martin Arz

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lebte. Sie hatte es nie getan, sich nie wirklich auf die Suche begeben, es immer verschoben auf ein andermal.

      Aber wenn das Schicksal schon mit Zaunpfählen um sich schmiss, musste man was tun. Zum Beispiel den Akt öffnen und nachschauen, ob es vielleicht der richtige Frese war. Ein paar Blätter Schriftverkehr zwischen der Anwaltskanzlei Beck und Emmy Frese, Palmstraße 7, München, aus den achtziger Jahren. Ein versiegelter Umschlag, das Testament. Und dann die Kopie einer Geburtsurkunde für Emmy Wilhelmine Bertha Frese, geboren am 23. März 1904 in Buëa, Deutsch-Kamerun; Vater: Leopold Konrad Frese, Kaufmann und Plantagenbesitzer aus München; Mutter: Bertha Sieglinde Frese, geborene Wartmann, Krankenschwester und Kaufmannsgattin aus Berlin; Eltern des Vaters, Eltern der Mutter, etc. Helene war für einen Augenblick schwindelig geworden. Kein Zweifel, das war die richtige Frese. Sie lebte offenbar noch, denn das Testament war noch nicht geöffnet worden, und sie lebte gar nicht so weit von Helene entfernt. Ebenfalls im Glockenbachviertel. Vielleicht waren sie sich sogar schon im Supermarkt begegnet.

      Jetzt, drei Tage später, wusste Helene, dass sie sich noch nie an der Käsetheke gesehen hatten. Die kleine Alte mit dem verwitterten Gesicht wäre ihr sicherlich aufgefallen.

      »Kreislaufprobleme?«, hatte Gitti gefragt, als Helene sich kurz gegen den Schreibtisch gelehnt hatte, um sich vom positiven Schock ihrer Entdeckung zu erholen.

      »Geht schon wieder«, hatte Helene geantwortet und Gitti hatte sich nahtlos weiter ihren Fingernägeln gewidmet.

      Helene lächelte Emmy Frese, geboren 1904 in Buëa, Deutsch-Kamerun, freundlich an. Sieht ja noch ganz schön fit aus, dabei ist sie schon fast hundert Jahre alt, dachte sie sich. In dem Alter zählte man sicher nur noch die Tage. Zeitverlust konnte sie sich also nicht leisten.

      »Wissen Sie«, sagte Helene deshalb, »ich arbeite als Rechtsanwaltsgehilfin. Aber ich dachte mir, ich könnte noch ein kleines Zubrot verdienen. Ein paar Stunden die Woche. Sie wissen ja«, Helene seufzte melodramatisch, »München ist ein ganz schön teures Pflaster.«

      Emmy Frese seufzte solidarisch mit und winkte mit ihrer welken Hand wissend ab. »Wem sagen Sie das. Und eine junge, so hübsche Frau wie Sie hat bestimmt viele Verehrer, für die Sie sich schön machen wollen. Oh, ich weiß, was all die Sachen kosten, die wir Frauen so brauchen.« Sie zwinkerte verschwörerisch.

      Verehrer! Was für ein schönes Wort für die Flops, die Helene in der letzten Zeit um sich gehabt hatte. Mal kürzer, mal länger. Einzige Ausnahme war Bert, mit dem sie fünf Jahre in trauter Zweisamkeit gelebt hatte, bis sie dann herausfand, dass die Zweisamkeit schon seit längerem eine Dreisamkeit war. Trotzdem hatte sie ihn geliebt und war nach der Trennung monatelang mit Grabesmiene herumgelaufen, wobei sie im Beruf zu einer neuen Höchstform im freundlichen Säuseln aufgelaufen war. Nun gut, über Bert war sie endlich hinweg, trotzdem war er im Vergleich zu den anderen Flitzpiepen der reinste Gott gewesen. Helene hätte der Alten da Geschichten erzählen können – von wegen Verehrer. Seit der Trennung von Bert hatte es nur zwei One-Night-Stands gegeben.

      »Anwaltsgehilfin, so, so«, sagte Emmy Frese.

      Beschwingt machte sich Helene auf den Nachhauseweg. Dreimal die Woche für jeweils zwei Stunden in der Nähe von Emmy Frese, einkaufen, aufräumen, ihr Vertrauen gewinnen und alles erfahren, was Helene wissen wollte. Dazu noch etwas Geld verdienen, auch wenn sie es nicht brauchen würde, wenn alles nach Plan liefe. Dann würde sie nämlich nie mehr Geldsorgen haben. Sie lief die Arndtstraße entlang, dann durch den schmalen Park, durch den der Westermühlbach fließt. Der Glockenbach, nach dem das Viertel benannt ist, verläuft schon seit Jahrzehnten unterirdisch. Selbst der kleine vereiste Abhang, der zum Alten Südlichen Friedhof hinauf führt und den sie sonst bei winterlichen Straßenverhältnissen mied, weil sie schon zweimal dort ausgerutscht und böse hingefallen war, schreckte sie diesmal nicht. Bald bin ich reich, reich, reich, dachte sie bei jedem Schritt, alles wird gut, gut, gut.

      Auf dem Weg, der, eingesäumt von den hohen Mauern, die die beiden Teile des Friedhofs trennen, den direkten Durchgang von der Pestalozzistraße zur Thalkirchner Straße ermöglicht, spielten ein paar Kinder. Wie immer, wenn Helene diesen Weg ging, und sie ging ihn möglichst oft, denn es gehörte zu einer Art Ritual, ständig mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden, blieb sie kurz vor der Gedenktafel für die im Krieg gefallenen Soldaten stehen. Zielsicher fiel ihr Blick auf das untere rechte Eck, auf dem die in den Kolonialkriegen Gefallenen geehrt wurden. Bisher war sie nach einer kurzen Pause immer stumm weitergegangen. Diesmal öffnete sie den Mund und hauchte »Danke« in die frostige Nachmittagsluft.

      05 Eisiger Wind peitschte den Schneeregen über die Straße. Der Wetterdienst hatte Fön und Sonnenschein mit »für die Jahreszeit zu warmen Temperaturen« vorausgesagt. Von wegen! Pfeffer schlug den Kragen seines Mantels hoch, als sie sich dem Haus näherten. Es war noch früh am Morgen und er war schon seit Stunden auf den Beinen. Frühstück für die Kinder machen, eine halbe Stunde Joggen und ins Büro hetzen – so sah seit Monaten sein Sportprogramm aus – dann den Tagesablauf mit den Kollegen absprechen und die paar Personen abklappern, deren Namen in Westphals Filofax zu finden waren. Außer zwei Tassen Espresso und einem halben Päckchen Zigaretten hatte er noch nichts gefrühstückt. Wie fast jeden Morgen. Auch eine Möglichkeit, schlank zu bleiben.

      Pfeffer zündete sich eine neue Zigarette an und sah zwei Gestalten nach, die durch die Graupelschauer die Straße hinunterwankten. Sie waren als Afrikaner verkleidet, schwarze Trikots mit Baströckchen und Lockenperücken. Vermutlich gab es die Kostüme beim Schnäppchenmarkt zum Sonderpreis. Die beiden erinnerten Pfeffer daran, dass Faschingszeit war. Das war an ihm bisher völlig vorbeigerauscht. War Weihnachten nicht erst vorgestern gewesen?

      Er hatte sich noch nie etwas daraus gemacht, auch damals nicht, als er noch eine funktionierende Familie gehabt und seinen kleinen Kindern beim Kostümebasteln geholfen hatte. Nun fanden seine halbwüchsigen Söhne Fasching krass ätzend und konkret uncool. Gott sei Dank, dass sie nicht im Rheinland lebten, wo man dem Grauen nicht entgehen konnte.

      »Gehst du mit deiner Irene auf Fasching?«, fragte er seinen Kollegen Freudensprung, während er auf die Klingel am Tor des gutbürgerlichen Einfamilienhauses drückte.

      »Nö«, antwortete Freudensprung schlecht gelaunt.

      »Nicht? Du bist doch mit deiner Frau all die Jahre immer …«

      »Dieses Jahr eben nicht«, raunzte Freudensprung.

      »Entschuldige, dass ich mit dir spreche«, sagte Pfeffer gereizt und klingelte noch einmal. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, Paul? Seit Tagen bist du unausstehlich.«

      »Nix ist mir über die Leber gelaufen«, brummelte Freudensprung und fuhr sich durchs Haar, das auf seinem Kopf immer mehr die Flucht nach hinten antrat. Seine Frau Irene hatte ihm regelmäßig alle möglichen und unmöglichen Haarwachstumsmittelchen mitgebracht. Kollegin Annabella Scholz nannte seine Geheimratsecken stets »dramatisch«. Freudensprung konnte Anspielungen auf seine schwindende Haarpracht nicht leiden. Genauso wenig konnte er es leiden, wenn er wegen seines Namens »Gaudihupf« oder der Kürze halber meist nur »Gaudi« genannt wurde. Bella zog ihn damit ständig auf. »Na los, Frese-Mayer, mach endlich die Tür auf! Mir frieren die Eier ab.«

      Wie auf Kommando krächzte eine Stimme aus der Gegensprechanlage: »Ja bitte?«

      »Frau Sabine Frese-Mayer? Können wir bitte kurz mit Ihnen sprechen? Kripo München.«

      »Was wollen Sie? Ist meinem Mann etwas passiert, oder hat er wieder etwas angestellt?«, quäkte die Stimme.

      »Keine Sorge«, sagte Pfeffer betont freundlich. »Wir haben nur ein paar Fragen an Sie und Ihren Mann. Lassen Sie uns bitte für

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