Tödlicher Spätsommer. Ursula Dettlaff

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Tödlicher Spätsommer - Ursula Dettlaff

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style="font-size:15px;">      „Was läuft da zwischen euch?“, mischte Annette sich ein.

      „Oh nein, dafür seid ihr zu alt, oder zumindest zu spießig“, lachte sie und schaute sich im Laden nach Menschen um, denen sie diese unfassbare Neuigkeit mitteilen konnte.

      Natürlich. Die alte Frau Hüttmann blätterte gerade in einer Illustrierten und interessierte sich scheinbar brennend für den neuesten Klatsch.

      Helene ging eilig ins Lager, um die neue Warenlieferung auszupacken. Heiner stand in der Nähe der Kasse, rückte hier ein Buch gerade, ordnete da einen Stapel und wirkte ausgesprochen beschäftigt.

      Schon kurz vor der Mittagspause wartete Timo vor dem Laden auf Annette. Sie stürzte auf ihn zu, er umarmte sie, hob sie in die Höhe und beide küssten sich innig.

      „Muss Liebe schön sein“, dachte Helene grimmig und verschloss die Ladentür hinter der jungen Frau. Wie kann man nur jeden Mittag sein Geld so zum Fenster hinauswerfen, überlegte sie.

      Helene war zum Glück sehr genügsam und sparsam. Aber davon kannte Annette ja nichts.

      Jutta hätte jetzt sicher die Sonne genossen und sich zum Beispiel bei Heinemann auf dem Sonnenwall einen bunten Salatteller bestellt, kam ihr plötzlich in den Sinn.

      So teuer ist der nicht. Und ebenso wenig Fast Food wie die Suppe, die Helene sich nun auf der Herdplatte erwärmte.

      „Weißt du eigentlich, dass ich dir gestern einen Heiratsantrag machen wollte?“, fragte Heiner.

      Helene schaute ihn wortlos an. „Wir kennen uns jetzt schon so lange. Du könntest den alten Kasten verkaufen und steuerlich hätte das für uns nur Vorteile“, zählte er auf.

      „Und du sparst das Gehalt für die Verkäuferin und den Lohn für die Putzfrau. Als Ehefrau mach´ ich das doch liebend gern“, säuselte Helene gespielt. Heiner fiel buchstäblich die Kinnlade herunter.

      Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihn ihre Abfuhr so tief verletzen könnte.

      Nun tat er ihr fast ein bisschen leid. Doch als sie seine Schulter anfasste und eine Entschuldigung zu stammeln versuchte, drehte er sich barsch weg. Warum musste sie auch nur immer so mit der Tür ins Haus fallen?

      Schon als Kind ärgerte sie sich hinterher über solche Missgeschicke. Jutta wäre das nie passiert. Ihr „Nein“ wäre so charmant verpackt gewesen, dass Heiner und sie am Ende sicher beide gelacht hätten.

      So verschieden waren die Schwestern schon als Kinder gewesen. Helene erinnerte sich an viele Begebenheiten, in denen Jutta die Umwelt mit ihrer netten, fröhlichen Art um den Finger wickelte.

      Wie wurde die Zwillingsschwester in der Schule von der Deutschlehrerin beschrieben „Helene ist erschreckend ehrlich.“ Und damals war sie auch noch stolz darauf.

      Heiner und Helene gingen sich in den folgenden Tagen aus dem Weg.

      Als Helene Dienstagabend durchs Treppenhaus ging, öffnete Frau Schulte ihre Wohnungstür. Die kleine rundliche Frau mit den weißen Haaren trug heute selbstverständlich eine sorgfältig gebügelte bunte Kittelschürze über ihrem Rock und der hellen Bluse.

      „Ach, Helene, da bist du ja endlich. Ich warte schon seit zehn Minuten auf dich“, jammerte die alte Frau vorwurfsvoll. „Für mich ist es Zeit, ins Bett zu gehen“, fügte sie hinzu. Dieser Überfall bedeutete nichts Gutes, ahnte Helene, grüßte freundlich und schickte sich an, weiter zu gehen.

      „Mein Enkel kommt morgen nach der Schule zum Mittagessen“, erklärte die Seniorin.

      „Dat hat sich ganz kurzfristig ergeben, weiße. Ich halt nix davon, mich wat auf Vorrat zu legen, außerdem reicht ´de Rente da nich für. Un ich fahr ja erst übbermogen widder mit mein Tochter einkaufen. Ich könnt Bratkartoffeln mit Salat machen. Aber mir fehlen zwei Bratwürstchen“, überfiel sie Helene mit ihrem Wortschwall.

      „Er isst doch so gern die Bratwurst von Reher“, setzte sie zu ihrem Anliegen an. „Und deshalb habe ich schon dort angerufen, zwei bestellt und Bescheid gesagt, dass du sie morgen um 8 abholst.“

      Ihre Mieterin schien in Helene noch immer die Achtjährige zu sehen. Nach Ausflüchten zu suchen war zwecklos. „Ich mach´s“, antwortete Helene. „Komm rein, Kind, ich geb´ dich direkt dat Jält“, die Stimme der alten Frau klang plötzlich entschlossen und fest.

      „Nicht nötig, das machen wir morgen Abend. Ich hänge die Tasche an die Klinke“, entgegnete Helene, die inzwischen ihre Tür geöffnet und die Handtasche an die Garderobe gehängt hatte. „Du kannst ruhig klopfen. Ich bin früh aufe Beine, weil ich noch aufräumen wollt.“

      Beim Blick auf die Uhr entschied Helene am nächsten Morgen, den Miniatureinkauf auf der Münchner Straße zu Fuß zu erledigen.

      Sie hatte genug Zeit dafür.

      Den Lärm, den die vielen Fahrzeuge auf der Lindenstraße und der Sittardsberger Allee erzeugten, ignorierte sie ebenso wie den Benzingestank. Ganz egal, es war Sommer, die Sonne schickte ihre hellen Strahlen nach Buchholz. Was für Helene allerdings noch lange kein Grund war, ohne ihren beigen Zweireiher das Haus zu verlassen.

      Sollten doch Andere rumlaufen, wie es ihnen gefiel, Helene legte Wert auf Stil.

      Eine Sekunde lang drehte sich Jutta tanzend im luftig bunten Chiffonkleid auf der großen Wiese vor dem Küchenfenster.

      Helene freute sich an dem Bild, das sie plötzlich vor Augen hatte.

      Das Grundstück umfasste beinah 1500 Quadratmeter. Viele Nachbarn hatten ihre Grundstücke schon vor etlichen Jahren geteilt und als teures Bauland verkauft. So war der Schneiderische Garten so etwas wie ein Exot. Mit einer großen Wiese, altem Obstbaumbestand und am Nordende mit einer großen Gartenlaube. Dort wo die schwere Sitzgruppe mit dem Pavillon als Überdachung gestanden hatte, sah man noch immer die Abdrücke im Rasen. Wie oft hatten die Schwestern hier gesessen, gelacht, geredet, gestritten, sich vertragen.

      Ja, was denn jetzt?

      Die textilen Seitenwände des Pavillons dienten je nach Jahreszeit und Witterung als Sonnen-, Regen- oder Windschutz und wurden an manchen Tagen mehrfach ab- oder aufgebaut. Zu zweit war das kein Problem, machte im Gegenteil sogar Spaß. „Ihr seid wie die kleinen Kinder“, kommentierte Frau Schulte das Treiben dann.

      Allein mochte Helene nicht hier sitzen und weil die Möbel ohnehin beim Rasenmähen störten, landeten sie im Keller. Sogar der Garten trauerte um Jutta.

      Das Stück unter der Eisenbahnbrücke legte Helene im Eilschritt zurück. Oben donnerte die S-Bahn Richtung Innenstadt, vor der Auffahrt auf die A59 beschleunigten die meisten Autofahrer und ließen die Motoren so richtig aufheulen. Hinter vielen LKWs wehte eine graublaue Dieselwolke.

      Im Dreispitz wohnte ihre Schulfreundin Insa. Schade, dass der Kontakt irgendwie abgebrochen ist. Im Grunde war Insa Juttas Freundin.

      Mutter konnte es nicht leiden, wenn ihre Tochter allein zuhause blieb. „Du gehst doch wohl nicht ohne deine Schwester“, hatte sie Jutta oft vorwurfsvoll hinterher gerufen, wenn sich die Schülerin nachmittags verabschiedete. Während Jutta dann je nach Stimmung mal ergeben, mal wütend „Komm“, hervorstieß, zog sich Helene bewusst langsam Schuhe und Jacke an, hielt den Rücken gerade und blickte ihre Schwester trotzig an. Sie waren neun

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