Gemeinsam zum Erfolg. Lars Balzer
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•Region: Während in der Deutschschweiz ein höherer Anteil der Jugendlichen in eine Berufsausbildung eintritt, absolvieren Jugendliche in der französischen und italienischen Schweiz eher eine allgemeinbildende Ausbildung. In der Deutschschweiz machen zudem mehr Jugendliche Gebrauch von einem Brückenangebot als in den beiden anderen Sprachregionen. In der Romandie ist der Anteil an ausbildungslosen jungen Männern im Vergleich höher. In ländlichen Gebieten orientieren sich die Jugendlichen eher in Richtung Berufsausbildung, in städtischen Gebieten eher in Richtung allgemeinbildender Schulen.
Abbildung 1-3
Nachobligatorische Ausbildungsverläufe (2000–2007), TREE (Keller, Hupka-Brunner & Meyer, 2010, S. 8, adaptiert)
•Schulische Herkunft: Jugendliche, die über einen Sekundarstufe I-Abschluss mit Grundanforderungen verfügen, treten eher in eine Berufsausbildung oder in ein Brückenangebot ein als solche, die die Sekundarstufe I mit erweiterten Anforderungen abgeschlossen haben. Letztere beginnen eher eine allgemeinbildende Ausbildung. Die schulische Herkunft bestimmt also, unabhängig von an der Lesekompetenz gemessenen Leistungsmerkmalen, die Zugangschancen zu einer nachobligatorischen Ausbildung.
•Nationale Herkunft: Während sich die Ausbildungssituation von Schweizer Jugendlichen und ausländischen Jugendlichen der zweiten Generation ein bis zwei Jahre nach Schulaustritt ähnlich gestaltet, befindet sich ein höherer Anteil von ausländischen Jugendlichen der ersten Generation in einem Brückenangebot oder bleibt ohne Ausbildung. Dies trifft insbesondere für Jugendliche der neueren Einwanderungsgebiete zu (z.B. Balkan, Türkei oder Portugal).
•Sozioökonomische Herkunft:4 Jugendliche aus Familien mit tiefem sozioökonomischem Status absolvieren eher eine Berufsausbildung, ein Brückenangebot oder gar keine Ausbildung als Jugendliche aus Familien mit hohem sozioökonomischem Status. Letztere finden sich eher in einer allgemeinbildenden Ausbildung und weniger häufig in einem Brückenangebot oder in keiner Ausbildung.
•Lesekompetenzen:5 Ein hoher Anteil von Jugendlichen mit tiefen PISA-Lesekompetenzen findet sich in Berufsausbildungen und Brückenangeboten oder absolviert keine Ausbildung, während ein hoher Anteil von Jugendlichen mit hohen Lesekompetenzen eine allgemeinbildende Ausbildung in Angriff nimmt.
Massnahmen am Übergang
Die in → Kapitel 1.1 dargelegten Leitlinien von Bund und Kantonen zur Optimierung der «ersten Schwelle» führten zum Projekt «Nahtstelle Sekundarstufe I – Sekundarstufe II», das von 2006 bis 2010 durchgeführt wurde: Um die Zielsetzung eines Abschlusses auf Sekundarstufe II für 95 Prozent aller Personen unter 25 Jahren zu gewährleisten, wurden gemeinsam von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt verschiedene Unterstützungsmassnahmen entwickelt und umgesetzt (Galliker, 2011). Dies führte dazu, dass heute das Bild an der «ersten Schwelle» durch eine Vielfalt an Zwischenlösungen und Unterstützungsangeboten, mit besonderem Fokus auf Jugendliche mit schulischen und sozialen Schwierigkeiten, geprägt ist.
Hauptziel dieser Angebote ist die Integration der Jugendlichen in die Berufsbildung. Als wichtigste und wohl bekannteste Massnahme sind hier die verschiedenen kantonalen Brückenangebote zu nennen, die Jugendliche mit individuellen Bildungsdefiziten, denen der direkte Einstieg in eine nachobligatorische Ausbildung nicht gelingt, auf eine berufliche Grundbildung vorbereiten. Als Brückenangebote gelten beispielsweise berufsvorbereitende Schuljahre, Vorlehren und Angebote zur Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit (sogenannte Motivationssemester). Das Case Management Berufsbildung (CM BB) sichert gefährdeten Jugendlichen im Rahmen eines strukturierten Verfahrens mit einer fallführenden Stelle ab der Sekundarstufe I bis zum Abschluss einer Ausbildung auf Sekundarstufe II eine individuelle Unterstützung zu (→ Abschnitt 4.3.1). Diverse kantonale und private Coaching- und Mentoringprojekte bieten zudem eine Begleitung von Jugendlichen bereits während der obligatorischen Schulzeit über die «erste Schwelle» hinweg an. Ziel ist eine Förderung berufsrelevanter und/oder sozialer Kompetenzen sowie Unterstützung im Bewerbungsprozess. Nebst diesen konkreten Unterstützungsangeboten für Jugendliche existiert eine Fülle von weiteren strukturellen Massnahmen zur Optimierung der Nahtstelle, wie beispielsweise der Einsatz von Lehrstellenförderinnen und -förderern, die Schaffung von Lehrbetriebsverbünden oder das Führen eines Lehrstellennachweises (Lena) durch die Kantone (BBT, 2012b).
Selektion durch die Lehrbetriebe
In der dualen – respektive trialen – Berufsausbildung (→ Abschnitt 1.1.3) sind die betrieblichen Berufsbildnerinnen und Berufsbildner die «Türwächter» im Prozess der Lehrlingsselektion (Imdorf, 2007, S. 1). Sie allein bestimmen, ob Bewerberinnen und Bewerber eine Lehrstelle erhalten oder nicht. Eine im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Integration und Ausschluss» (NFP 51) durchgeführte Untersuchung bei 81 für die Selektion verantwortlichen Personen in Klein- und Mittelbetrieben (KMU) hat gezeigt, dass das Vorgehen der KMU-Lehrbetriebe bei der Lehrlingsselektion auf einem Mosaik von verschiedenen Kriterien beruht, die je nach Betrieb ein unterschiedliches Bild ergeben können (Imdorf, 2007). Es lassen sich deshalb keine allgemeingültigen Hauptauswahlkriterien bestimmen. Vielmehr ist für die befragten betrieblichen Berufsbildenden in KMU bei der Auswahl handlungsleitend, dass die auszuwählenden Lernenden in den Betrieb passen, zur betrieblichen Produktion beitragen und den Produktionsprozess nicht beeinträchtigen. Das letztgenannte Kriterium führt zum Beispiel dazu, dass ausländische Jugendliche bei der Lehrlingsselektion diskriminiert werden; die betrieblichen Berufsbildenden gehen offenbar davon aus, dass solche Jugendliche betriebliche Probleme verursachen könnten. Im Gegensatz dazu ist die Selektion in Grossbetrieben eher durch formalisierte Rekrutierungs- und Selektionsabläufe gekennzeichnet, wobei schulische Qualifikationen (besuchter Schultyp und Noten, speziell in Mathematik) und Eignungstests6 eine Filterfunktion für den weiteren Verlauf des Auswahlprozesses erfüllen (Imdorf, 2005).
Obwohl sich gesamthaft kein einheitliches Vorgehen feststellen lässt, werden in der Regel in der Lehrlingsselektion die folgenden Unterlagen und Erfahrungen mitberücksichtigt: Schulzeugnisse, Bewerbungsunterlagen und Bewerbungsgespräch, Schnupperlehren und Betriebsbesuche, interne oder externe Eignungstests sowie Gespräche mit Eltern (Stalder, 2000; Imdorf, 2005; Neuenschwander, 2010). Laut einer Studie, bei der 1500 Lehrbetriebe im Kanton Bern befragt wurden, sind Selbst- und Sozialkompetenz, Mathematikkenntnisse sowie handwerkliches Geschick (in den entsprechenden Berufen) ausschlaggebende Kriterien bei der Lehrlingsauswahl (Stalder, 2000). Für die auswählenden betrieblichen Berufsbildenden ist ebenfalls wichtig, dass die Lernenden sich in den Betrieb einfügen können und wollen, dass sie zur Zusammenarbeit fähig sind und traditionelle Arbeitstugenden zeigen, wie Fleiss, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit und Sorgfalt. Damit sind überfachliche Kompetenzen angesprochen, für deren Erfassung im Rahmen der Früherfassung in → Kapitel 2.6 das Diagnoseinstrument smK72+ vorgestellt wird.
Bei einer Befragung von 243 betrieblichen Berufsbildenden aus Wirtschaft und Verwaltung, Baugewerbe, Hoch- und Tiefbau sowie Handel in den Kantonen Bern und Luzern wurden als wichtigste Selektionskriterien Selbst- und Sozialkompetenzen der Jugendlichen sowie unentschuldigte Absenzen auf der Sekundarstufe I aufgeführt. Daneben spielen Geschlecht, Nationalität, Schultyp sowie fachspezifische Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen eine bedeutende Rolle im Auswahlprozess (Neuenschwander, 2010).
Aufgrund der vorangehenden Ausführungen lässt sich festhalten, dass die für die Ausbildung im Lehrbetrieb verantwortlichen Personen über den Anschluss von Jugendlichen ans Berufsbildungssystem oder ihren