Speyerer Altlasten. W. W. Pook

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Speyerer Altlasten - W. W. Pook

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sie durch das Alter leicht gebeugt ist. Die mächtige Haarmähne ist meliert, wie Pfeffer und Salz gemischt und die dunklen Augenbrauen weisen darauf hin, dass Ulla einmal dunkelhaarig war. Die graubraunen Augen erinnern mich an eine Wölfin, sind aber freundlich und weise. Das Dreifachkinn und der große Busen geben der mächtigen Erscheinung eine so starke Mütterlichkeit, dass ich mich sehr zu ihr hingezogen fühle.

      Wie sie so da sitzen, die alten Damen, in ihre Erinnerungen vertieft, fühle ich auch keine negativen Eigenschaften oder versteckte Gefühle. Beide sind so offen in ihren Wesen, wie ein aufgeschlagenes Buch, in dem ich als Psychologin mühelos lesen kann.

      Aber ich fühle auch die machtvolle Entschlossenheit, als sie sich vom Küchentisch erheben und zu ernsten Dingen schreiten, wie sie es nennen.

      Bei aller Wiedersehensfreude wenden sich die Freundinnen nun den Morden und Ullas Recherchen zu.

      Ich decke die verbliebenen Schnittchen ab und stelle sie auf die Anrichte. Dabei lausche ich Ullas ersten Berichten zum Mord an Liesel Bäcker.

      Neugierig geworden folge ich mit einer weiteren Tasse Tee und wähle mir einen bequemen Sessel am Fenster, von wo aus ich einen schönen Blick zum Dom habe.

      „Gretchen, meine Liebe, ich habe alles zusammengetragen, was ich von den 38ern gefunden habe“.

      Von meinem Sessel aus beobachte ich Gretchen, die zwei verblichene Klassenfotos studiert. Das Erste zeigt nur Mädchen, das andere nur Jungen.

      „Warum hast du das der Buben auch hier aufgestellt?“, fragt Gretchen höchst erstaunt und Ullas Blick wird sehr ernst.

      „Ich fürchtete, ohne es genauer benennen zu können, dass auch die Buben betroffen sind und wie du selbst miterlebt hast, hatte ich Recht!“

      „Erinnerst du dich an ihn?“, flüsterte Ulla.

      „Oh ja, der Oskar Metzger, an den erinnere ich mich sehr gut. Er hat mir den Hof gemacht, aber seine feuchten Hände machten mir eine Gänsehaut!“

      Und doch füllen sich die Augen meiner Freundin mit Tränen. Lange betrachtet sie das alte Bild, bis sie es auf den kleinen Beistelltisch zurückstellt und eine Kerze entzündet, als Gedenken für die Toten.

      Auch mich erfasst ein Schauer und mein Blick wandert erneut zum Dom, als könnte er mich vor der Traurigkeit bewahren, die über die Frauen kommt. Gretchen liest den Zeitungsbericht.

      „Da steht nichts darin wie Liesel und Maria ihr Leben verloren haben!“, aber ihr fragender Blick zu Ulla macht ihr Hoffnung, dass diese vielleicht eine Ahnung haben könnte.

      „Ich kenne die Putzfrauen vom Kloster, die haben mich genau informiert“.

      Gretchen hält die bedeutungsschwere Pause kaum aus, die Ulla zum Luftholen braucht. Schnaubend wie ein Pferd sammelt die starke Frau all ihren Grips und fährt dann endlich fort.

      „Wie bei Oskar, Kopf ab bis zur Wirbelsäule. Einen Draht mit zwei Holzgriffen, im Genick verdreht und ein Blutbad wie in einer Schlachterei!“

      Mir wird übel bei der sachlichen Schilderung und ein intensiver Blutgeruch steigt mir in die Nase. Die Frauen haben eine Gabe, das Leid und die nackten Tatsachen so voneinander zu trennen, als seien sie alte Polizisten.

      „Also derselbe Täter?“, stellte Gretchen eiskalt fest und Ulla nickt.

      Mit einem Blick zu mir vergewissert sich meine alte Freundin, ob ich auch ja alles gehört und verstanden habe, aber ich winke sofort ab. Dieser und auch die anderen Fälle, gehören nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Wenn ich auch in Holland von den Behörden ab und an zur Mitarbeit gebeten werde, so lehne ich eine Einmischung hier kategorisch ab.

      Enttäuscht wendet sie sich dem schweren Holztisch zu, der das Zentrum des gemütlichen Wohnzimmers bildet, zieht sich einen Stuhl heran und studiert die Zeitungsausschnitte und handgeschriebenen Zettel, die durcheinander liegen.

      Mir wird der Boden zu heiß und bevor Gretchen mich mit ihrem Dackelblick dazu bringt meinen festen Standpunkt zu überdenken, ziehe ich mich lieber in das kleine Schlafzimmer zurück, das Ulla für mich gerichtet hat.

      Es ist ja so eine Sache mit fremden Betten und ich bin da keine Ausnahme, aber als ich das uralte Bett sehe, 180 cm lang und 100 cm breit muss ich grinsen. Gott sei Dank, dass ich nicht so groß bin wie Maarten, der hätte sich wie ein Rollmops zusammendrehen müssen. Aber für meine 160 cm reicht das alte Ding bestimmt.

      Doch im Bad muss ich weiter grinsen, denn auch hier scheinen die letzten hundert Jahre spurlos an allem vorübergegangen zu sein.

      Neugierig drehe ich am Wasserhahn und tatsächlich fließt Wasser heraus. Keine Schwengelpumpe, wie ich fast befürchten musste, als ich die Zinkbadewanne auf geschwungenen Füßen erblickte. Ein Brausekopf hängt darüber und ein Plastikvorhang schützt den alten Holzboden.

      Doch die Toilettenspülung ist das Tollste. Eine uralte Zugvorrichtung mit Keramikgriff an einer Kette, die ich mich fast nicht zu benutzen traue. Doch sie hält meinem Zug stand. Die Decke bleibt, wo sie ist, aber der Rheinfall von Schaffhausen macht nur halb soviel Getöse wie die Toilettenspülung.

      Zurück in meinem feinen Schlafzimmer beschließe ich meine Koffer erst morgen auszupacken.

      Ich öffne das Fenster, wie ich das immer tue, und werfe mich juchzend in das quietschende Bett. Sofort versinke ich in den dreiteiligen Matratzen, kämpfe mit den dick gefüllten Federbetten und befreie mich von dem Federballast, der für einen sibirischen Winter geeignet wäre. Jetzt ist alles urgemütlich und während ich in dem schaukelnden Bett noch an meine Pritsche auf Vaters Lastkahn denke, bin ich eingeschlafen.

      Kapitel 2

      Tatortbesichtigung

      Das Sechsuhrläuten der vielen Kirchen um mich herum macht mir sofort klar, wo ich bin. Doch ich mag die schaukelnde Kuschelkiste noch nicht verlassen.

      Draußen auf der Hauptstraße ist es noch mäuschenstill und ich genieße die leichte Brise, die meinen Vorhang bewegt.

      Aus meiner Handtasche angle ich mein Handy und wähle Maarten an, der bestimmt schon hinter seinem Steuerrad steht und mit seinen Adleraugen die Fahrrinne beobachtet.

      Und so ist es dann auch. Einmal Klingeln und ein lautes:

      „Hoi mijn Meid!“, donnert mir entgegen. Ich sehe sein verschmitztes Grinsen vor mir und lasse das Bett schaukeln, als stände ich neben ihm am Steuer, mit einer Tasse Kaffee in der Hand.

      Es dauert eine Weile bis ich alles berichtet habe, was sich in den letzten Tagen zugetragen hat. Wie von einem Schiffsjungen fordert Maarten genauen Bordbericht von mir und lauscht konzentriert meinen Erzählungen.

      Als ich meinen Aufenthalt in Speyer schildere, wie es dazu kam und was ich bisher gesehen habe, überrascht mich seine Frage nicht, ob ich in den Fall einsteige. Ein tiefes Atmen ist sein ganzer Kommentar und trotz meiner psychologischen Ausbildung bin ich nicht imstande, seine Reaktion zu deuten. Ich müsste sein Gesicht jetzt sehen, dann wüsste ich Bescheid.

      Die Abschiedsworte sind wie immer liebevoll, aber kurz und knapp. So ist er eben.

      Mit einem neuerlichen Grinsen begrüße ich mein Spiegelbild im vorsintflutlichen Bad. Ich stelle fest, hervorragend geschlafen zu haben

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