Speyerer Altlasten. W. W. Pook
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Читать онлайн книгу Speyerer Altlasten - W. W. Pook страница 6
Die Priorin bekreuzigt sich und ich fühle mich schlecht. Wieder hebt die Beamtin die Augenbrauen und Ulla ihren pädagogischen Zeigefinger.
„Inger, ich halte es für deine Menschenpflicht uns bei der Lösung dieses unaussprechlichen Grauens zu helfen. In Speyer geht ein Mörder um, der liebevolle, freundliche Menschen schlachtet, ohne dass ich einen Grund dafür sehen kann. Wir müssen, und ich betone diese zwei Worte: wir müssen den Behörden helfen, komme was da wolle, wir sind schon mitten drin in den Ermittlungen!“
Mit diesen Worten nickt sie den Umstehenden zu, wendet und eilt in Richtung Ausgangstor.
Gretchen tätschelt meinen Rücken. Ich finde das lästig. Mit einem Blick zurück erfasse ich noch das höhnische Grinsen der Polizistin, dann rennen wir hinter Ulla her zur Bärengasse 13, dem nächsten Tatort.
Kapitel 3
Die 1938er
Mein erster Tag in Speyer wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Ulla Erler, ehemalige Lehrerin für Mathematik, Englisch und Sport, lässt uns durch die Stadt rennen wie Turnierpferde.
Bis 13 Uhr hat sie ihre Liste abgehakt und sitzt mit uns im Garten des Domhofs.
Mir qualmen die Füße, denn das Pflaster der Maximilianstraße ist nur für Wanderschuhe geeignet.
Das Studium der Wein- und Bierkarte erhellt meine Laune, deshalb bemerke ich nicht sofort, dass ich dem Rapport lauschen soll, den die Damen von sich geben.
Wir bestellen Bier und Schlachtplatten, was ein typisches Pfälzer Essen sein soll. Mit bangem Erwarten, was der Kellner mir vor die Nase stellen wird, lausche ich den energischen Worten der Freundinnen.
„Dass du im Bilde bist, Ingerchen!“, beginnt Ulla mit ungebrochenem Elan ihre Rede.
„Die Gerichtsmedizin in Mainz hat die Leichen noch nicht frei gegeben, wir müssen bis zum Montag warten. Die Priorin, Schwester Bryonia, hat uns unterrichtet, dass die Kripo Ludwigshafen noch keine Hinweise auf den Täter hat, außer ein paar Flusen und einen flüchtigen Fußabdruck.
Ich wiederhole deshalb noch einmal mit Nachdruck: wir müssen uns noch mehr um den Fall kümmern!“
Der Kellner bringt das Bier und ich staune nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Vor jedem von uns steht ein Stein, wie man mir erklärt, gefüllt mit Speyerer Gerstensaft. Der Eichstrich auf dem Glaskrug mit Henkel zeigt einen vollen Liter.
„Was auf dem Oktoberfest ein Maß genannt wird und vornehmlich in Steinzeug serviert wird, heißt bei uns ein Stein, meist in Glas abgefüllt!“, belehrt mich meine Gastgeberin. Dann fasst sie gekonnt mit der Linken in den Griff und stemmt das Gefäß in Augenhöhe.
Grete nimmt die Rechte und macht es ihr gleich. Ich muss beide Hände benutzen und dann stoßen wir an.
„Auf die 38er!“, jubeln die Alten und ein Ruck erschüttert meine Hände, bevor ich durstig trinke.
Über die Schaumkrone hinweg und am Glasrand vorbei erkenne ich einen kleinen Mann mit schütterem Haar, der seinerseits den Stein erhoben hält und mir zuprostet. Hustend stelle ich mein Gefäß ab und fixiere mein Gegenüber. Gretchen und Ulla folgen meinem Blick und ich finde eben noch die Zeit, zu keuchen:
„Schon drei Mal habe ich diesen Mann heute gesehen!“, da schreien die Frauen auf, wie vom Teufel gebissen, werfen die Stühle hinter sich um und rennen auf den Fremden zu.
Der Kellner spurtet herbei, wirft sein Handtuch über die Schulter und stoppt. „Nichts passiert“, sagt sein Gesichtsausdruck und er verschwindet.
Ich bleibe, wo ich bin und ducke die Nase hinter den Stein Bier, denn alle Gäste schauen auf meine Begleiterinnen, die den kleinen Mann scheinbar erdrücken wollen.
Gretchen hüpft und der Mann drückt seinen Kopf an Ullas massige Brust. Er grinst von einem Ohr zum anderen und hat sogar die Augen geschlossen, während Ulla sein kahles Haupt streichelt und küsst.
Der Kellner trägt drei große Teller zu meinem Tisch und ich studiere die Auflage. Ein Berg Sauerkraut, das herrlich duftet, daneben ein Leberknödel. Kesselfleisch und hausgemachte Wurst, gekocht wie gebraten, liegen heiß auf dem Teller. Dazu gibt es frisch gebackenes Bauernbrot und Senf in Töpfchen gefüllt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, aber ich kann noch nicht loslegen.
Mit viel Trara verfrachten die Mädchen den kleinen Mann samt Hut und Bierkrug an unseren Tisch.
„Das ist der Ernst. Auch ein 38er!“, jubelt Ulla und himmelt den Mann an meiner Linken an.
Der Kellner bringt einen vierten Teller, ebenfalls eine Schlachtplatte, steuert zuerst den verlassenen Tisch an, sieht den Gast dann aber bei uns und bringt ihm den Teller. Weiterer Jubel schallt durch den Garten, als die 38er die Übereinstimmung der Speisen erkennen und dann prosten sie sich zu, dass die Gläser knirschen.
Ernst erhebt sich noch einmal und wieder muss ich das Besteck aus der Hand legen, weil ich eine Ansprache befürchte. Doch Ernst reicht mir die Hand, dreht die meine um und haucht ein Küsschen darauf.
„Ernst Gotterbarm!“, stellt er sich vor und ich nenne meinen Namen. Dann erst darf ich essen.
Ich beschließe nie mehr mit Gretchen hierher nach Speyer zu fahren, das ist mir zu stressig. Mit zwei so alten Schachteln kann eine so junge Frau, wie ich es bin, nicht mehr Schritt halten.
Mit Messer und Gabel bewaffnet gestikulierend, ist Ulla ins Gespräch mit Ernst, über die Ereignisse des Morgens vertieft. Gretchen übersetzt unverständliche Gesprächspassagen für mich ins Holländische, damit ich nahtlos folgen kann.
Ernst kann seinen Blick gar nicht mehr von Ulla losreißen und sein Schnurrbart ist bereits mit reichlich Senf und Sauerkraut behängt, weil er nicht sieht, wohin er seine Gabel schiebt.
„Also, alles kurz und knapp geschildert, ergeben meine Recherchen folgendes Bild!“, erläutert Ulla ihrem Zuhörer.
„Die Liesel Bäcker war das erste Opfer, mit einem Draht erdrosselt, der das Fleisch bis zur Wirbelsäule durchschnitt. Sie kam vom Kloster allein die Stuhlbrudergasse herauf, schob ihr Fahrrad und wurde auf der Höhe der Bäckerei Höchemer von hinten ermordet. Keine Zeugen, keine Geräusche, kein Raub, kein Sexualverbrechen. Als der Bäcker seinen Laden öffnet, findet er die Nonne im Rinnstein und ruft die Polizei. Das war am Montagmorgen.
Das zweite Opfer, die Maria Steiger, geht am Dientagabend, wie jeden Abend, nach der Vesper durch den Klostergarten und prüft, dass alle Schlösser verschlossen sind. Am Fahrradschuppen trifft sie auf ihren Mörder - Schlinge zu, Kopf ab.
Eine Mitschwester findet die Maria kurz darauf und alarmiert die Polizei, aber erneut nur wenig Spuren und kein Hinweis auf den Täter“.
Empörte Blicke von den Nachbartischen, die den lauten Worten Ullas gelauscht haben, werden von den 38ern schlichtweg ignoriert. Sie sind in ihrem Element.
Ich schaue nur gelegentlich von meiner Schlachtplatte auf