Blindlings ins Glück. Ria Hellichten
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Читать онлайн книгу Blindlings ins Glück - Ria Hellichten страница 4
Obwohl er es nicht sehen konnte, war er ziemlich sicher, dass Babsi den Kopf schüttelte. Ihren Absätzen nach bewegte sie sich an ihm vorbei über das Parkett in Richtung Treppe. Sie würde noch seinen Boden ruinieren, dachte er und verschränkte die Arme. Als sie oben war, hörte er, wie sie etwas Unverständliches vor sich hin murmelte, dann trippelten die Absätze wieder zu ihm herunter und kurz darauf spürte er ihre Finger auf seinem Oberarm.
„Erschrecken Sie sich nicht. Ich habe hier Unterwäsche, eine Jogginghose und ein frisches T-Shirt. Ich nehme an, Sie möchten nicht im Anzug zum Arzt.“
Johnny zog einen Mundwinkel hoch und streckte die Handflächen aus. Unbeholfen nahm er das weiche Stoffpaket entgegen, das Babsi ihm reichte, klemmte es sich zwischen Ellenbogen und Körper und wankte damit in Richtung Bad. Seine Hände streckte er dabei seitlich von sich, die Finger tasteten über die Vliestapete. Obwohl er seit fünf Jahren in dieser Wohnung lebte, musste er sich konzentrieren und steuerte mit unsicheren Schritten auf die Badezimmertür zu.
„Vorsicht!“, drang Babsis Stimme plötzlich an sein Ohr, aber es war zu spät: Johnny drehte den Kopf und prallte im nächsten Moment mit der Schläfe gegen etwas Hartes. „Verdammt!“ Er biss die Zähne zusammen und hielt sich mit der freien Hand den Kopf. Leise verfluchte er sich dafür, dass er dem Kater zuliebe die Türen immer halb offen stehen ließ. Die Schamesröte stieg Johnny heiß ins Gesicht und er musste ein paarmal tief Luft holen, um sich zu beruhigen. Es nützte niemandem, am wenigsten ihm selbst, –, wenn er jetzt die Nerven verlor.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte seine Assistentin.
„Es geht schon.“ Johnny seufzte. Kaum hörbar setzte er noch einmal an: „Babsi?“
„Ja?“
„Danke.“ Etwas lauter fügte er hinzu: „Und versuchen Sie erst gar nicht, mir zu folgen. Ich höre Sie kommen!“
Johnny zog vorsichtig die Tür hinter sich zu – um sich auf dem Rückweg nicht wieder zu stoßen und nicht weil ihn Babsis Blicke gestört hätten. Er torkelte zum Waschbecken, drehte den Hahn auf und schöpfte sich das angenehm kühle Wasser ins Gesicht. Nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte, machte er eine eilige Katzenwäsche und versuchte, mit den feuchten Fingern seine Frisur in Ordnung zu bringen. Er zog sich die Kleidung über und stellte dabei fest, dass auch sein Outfit von Freitag noch auf dem Fliesenboden lag. Erleichtert zog er sein Portemonnaie aus der Hosentasche der Jeans: Die Chipkarte der Krankenkasse würde er brauchen. Er steckte die Geldbörse ein, aber plötzlich ließ ihn etwas innehalten. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal das Haus verlassen hatte, ohne einen gründlichen Blick in den Spiegel zu werfen. Bei diesem Gedanken stieg ein beklemmendes Gefühl in Johnny auf. Er ließ die Finger in sein Gesicht wandern, um die vertrauten Konturen zu betasten. Er war immer noch der Alte. Die hellbraunen, mit ein paar Silberfäden durchsetzten Haare fielen ihm in die Stirn, weil er sie nicht geföhnt hatte, aber sie waren auch nicht lichter als gestern, da war er sicher. Er konnte die stoppelige Haut ertasten, die sich über seine Wangenknochen und sein Kinn spannte – die Rasur musste warten. Probeweise verzog er die Lippen zu einem Lächeln, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war. Die Grübchen saßen an derselben Stelle wie immer. Erleichtert atmete er auf und schüttelte den Kopf über sich selbst. Er war noch genau derselbe Mann. Derselbe gut aussehende Mann, auch wenn er nicht in den Spiegel gucken konnte, um das zu überprüfen.
Was Babsi anging, hatte er ohnehin schon länger den Verdacht, dass sie mehr als nur kollegiale Gefühle für ihn hegte. So wie beinahe alle Frauen, die diese Stelle in der Personalabteilung vorher bekleidet hatten. Im Gegensatz zu Babsi war keine von ihnen lang geblieben. Diese Anziehungskraft musste wohl von der Aura der Autorität ausgehen, die ihn umgab. Trotzdem würde er niemals etwas mit Babsi anfangen: Er pflegte Berufliches und Privates zu trennen. Kein Techtelmechtel im Job. Geschäftsreisen waren die Ausnahme, denn da konnte er sicher sein, seine Begleitung der vergangenen Nacht niemals im Büro wiederzutreffen. Oder überhaupt bei Tageslicht. Die Stadt bot schließlich genügend Möglichkeiten, seine Einsamkeit zu vergessen, wenn sie ihn doch einmal überkam, was selten genug passierte.
Aber von all dem brauchte Babsi nichts zu wissen. Schließlich war er jetzt auf sie angewiesen, wenn er nicht seine Mutter – Gott behüte! – oder seinen Kumpel Dirk anrufen wollte, der irgendwie nicht mehr derselbe war, seit er in den Ehehafen geschippert war.
Johnny hörte, wie Babsi sich räusperte. „Können wir jetzt bitte los? Ich habe heute noch etwas vor.“
Johnny seufzte und schwankte ein paar Schritte durch den Flur, um ihr seine Hand entgegenzustrecken. Aber anstatt sich bei ihm einzuhaken, schloss Babsi die Finger um seinen Unterarm und führte ihn zur Wohnungstür.
„Ein bisschen sanfter bitte“, säuselte Johnny mit gespielter Entrüstung. Den langen Haarsträhnen nach, die seine Wange kitzelten, schüttelte Babsi jetzt gerade den Kopf. „Ich brauche dringend einen neuen Job“, sagte sie halb laut zu sich selbst.
„Wie war das?“ Johnny blieb stehen. „Sagen Sie so etwas nicht! Hinterher landen Sie bei irgendeinem Ekel, das es nur auf Ihren hübschen Hintern abgesehen hat und nicht auf Ihre anderen Qua–“
Johnny spürte ihren wütenden Blick. Er hatte zwar nie sonderlich feine Antennen für zwischenmenschliche Stimmungen besessen, aber hier knisterte die Luft.
„Sie können von Glück reden, dass ich so geduldig bin“, zischte Babsi. „Ich hätte nicht wenig Lust, Sie hier sitzen zu lassen, und was machen Sie dann? Es ist Sonntagabend und zu Hause wartet mein Verlobter mit dem inzwischen kalten Essen, also lassen Sie einfach die blöden Sprüche.“
Johnny erstarrte. Er konnte nicht sagen, was ihn mehr schockierte: dass es schon Abend war und er über vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte oder dass Babsi verlobt war. Zwar war ihm nicht entgangen, dass sie in letzter Zeit irgendwie aufgeblüht war, aber ... ein Verlobter? Und er hatte nichts davon gewusst? Nicht zu fassen.
„Sie sind verlobt?“, fragte er, ohne sich Mühe zu geben, die Neugier in seiner Stimme zu verhehlen.
Babsi stieß einen langen Seufzer aus und womöglich verdrehte sie auch die Augen. „Ach, hören Sie bitte auf, sich für mein Privatleben zu interessieren, das kaufe ich Ihnen nicht ab. Wenn Sie nicht so ein –“
Johnny zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. Vielleicht hatte er es mit seinen Provokationen diesmal doch zu weit getrieben. Keine von Babsis Vorgängerinnen hatte ihn je beleidigt.
„Wenn Sie nicht so mit sich selbst beschäftigt wären, hätten Sie das vielleicht auch mitbekommen.“
Johnny zuckte nonchalant mit den Schultern. „Spätestens wenn sich der ganze Papierkram wegen der Namensänderung auf meinem Schreibtisch gestapelt hätte, wäre es mir schon aufgefallen.“
Babsi öffnete stumm die Wohnungstür und schob ihn umständlich hindurch. Johnny schaffte es gerade noch, in einem Anflug geistiger Gegenwärtigkeit seinen Wohnungsschlüssel vom Haken neben der Tür zu nehmen und einzustecken, dann zog Babsi die Tür hinter ihnen wieder zu. „Das sind bezahlte Überstunden“, sagte sie, bevor sie auf die Ruftaste für den Aufzug drückte, die einen leisen Piepton von sich gab. Johnny überlegte kurz, was er erwidern könnte; aber hier, an der Schwelle, die von seiner gewohnten Umgebung in die ihm neuerdings fremde Welt hinausführte, verging ihm plötzlich die Lust, zu streiten.
Vor dem Aufnahmetresen des Krankenhauses ließ Babsi ihn einfach stehen. „Es tut mir leid, Herr Baumann. Ich wünsche Ihnen alles Gute, aber ich muss jetzt wirklich wieder nach Hause.“