Blindlings ins Glück. Ria Hellichten
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Justus lächelte. „Ich musste doch zu deiner Verhandlung kommen! Du hast dich tapfer geschlagen. Mann, ich glaube, ich habe dich noch nie im Kostüm gesehen …“
Tabea sah an sich herunter. Auch sie hatte sich noch nicht an diesen Anblick gewöhnt. Aber wie hatte ihre Oma immer gesagt? Kleider machen Leute. Und zumindest heute wollte sie einen seriösen Eindruck hinterlassen.
„Jedenfalls finde ich das Strafmaß in deinem Fall völlig überzogen.“ Der Student strich eine blassblonde Locke beiseite, die ihm in die Stirn gefallen war. „Wenn du möchtest, spreche ich mit meinem Vater. Bei der nächsten Kreistagssitzung könnte er vielleicht –“
Tabea holte tief Luft. Die Christdemokraten waren zwar von vorneherein gegen den Umbau des Platzes gewesen, allerdings nur aus finanziellen Gründen. Und auch wenn sie damit Aufmerksamkeit für ihr Anliegen gewinnen könnte, wollte sie sich nur ungern zum Werbeträger in der Wahlkampfkampagne von Justus’ Vater machen lassen, zumal sie bestimmt keine konservative Wählerin war. „Danke für das Angebot, Justus, aber ich habe einen guten Anwalt. Und ich muss jetzt leider los, gleich ist Sprechstunde bei meinem Professor.“
„Verstehe.“ Sein Lächeln verblasste. „Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Sehen wir uns Freitag bei der Probe?“
Nachdenklich zog Tabea die Augenbrauen zusammen. „Ich glaube, diese Woche proben wir am Samstag. Lisa ist doch auf einer Exkursion.“
Justus rieb sich demonstrativ das Kinn. „Stimmt, du hast recht. Sollen wir dann vielleicht einen Kaffee trinken oder so? Wir können ja auch noch mal den Text durchgehen –“
„Tut mir leid“, unterbrach sie ihn, „aber ich kann nicht.“
„Die Abschlussarbeit?“ Justus ließ die Schultern hängen.
„Genau.“ Sie lächelte entschuldigend, stammelte eine Verabschiedung und nahm gleich zwei Treppenstufen auf einmal. Die Abschlussarbeit. Und die Tatsache, dass es eine dämliche Idee gewesen war, sich von Lisa dazu überreden zu lassen, das Gretchen zu spielen – obwohl Justus die Rolle des Faust übernahm. Zumindest in der Theorie, denn eigentlich war ihre Version der Tragödie eine recht moderne Adaption. Gedankenverloren eilte sie über den Bürgersteig und schüttelte den Kopf über sich selbst. Wenigstens konnte ihr Tag unmöglich noch schlimmer werden.
Aber diese Ansicht musste Tabea revidieren, als sie vollkommen abgehetzt und fünf Minuten zu spät im Büro ihres Professors stand, der zu ihrer Verwunderung überaus gut gelaunt zu sein schien.
„Ah, Frau Bach, kommen Sie doch herein. Sie sind ja fast pünktlich heute“, stichelte er.
Dass er zu Späßen aufgelegt war, konnte nichts Gutes heißen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch trat Tabea in das stickige Zimmer, nahm auf dem ihr angebotenen Stuhl Platz und musterte den schon recht betagten Professor. Er hatte seine Hände über dem dunkelroten Pullunder gefaltet, unter dem sich ein Wohlstandsbauch wölbte, und lehnte sich jetzt erwartungsvoll in seinen Freischwinger zurück.
„Leadership 4.0 – Beziehungsarbeit zwischen Führungspersonen und ihren Mitarbeitern im digitalen Zeitalter“, las er den Titel ihres Exposés vor, das samt dem ersten Kapitel vor ihm auf dem Glastisch lag.
Tabea nickte verhalten.
„Wie würden Sie denn selbst die Konzeption Ihrer Arbeit einschätzen, Frau Bach?“
Tabea räusperte sich. Sie hasste solche Fangfragen. „Na ja, ich denke … in Anbetracht dessen, dass es bis zur Abgabe noch fast fünf Wochen sind, komme ich mit meiner Studie gut voran. Mein Praktikumsbericht aus dem letzten Jahr war eine hilfreiche Grundlage, um das Verhalten der führenden Mitarbeiter bei Sanacur wissenschaftlich zu analysieren.“ Zwar hatte sie hauptsächlich Kaffee gekocht und Akten sortiert, aber erstens musste Kohlmeis das nicht wissen und zweitens waren das tatsächlich ideale Voraussetzungen gewesen, um die Mitarbeiter der Firma, allen voran den unausstehlichen Leiter der Personalabteilung, genau zu beobachten.
„Schön und gut“, sagte Kohlmeis kühl. „Es ist auch ein aktuelles Thema, darüber hatten wir ja schon gesprochen. Die Bibliografie scheint mir recht ordentlich zu sein …“ Er blätterte durch die Unterlagen. „Aber jetzt kommen wir mal auf den Punkt: Ich sehe hier keine Eigenleistung.“
Tabea blinzelte und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr gerade das Herz in die Hose gerutscht war. „Ich verstehe nicht ganz –“
Kohlmeis begutachtete sie von oben bis unten und schenkte ihr dann ein Lächeln, das irgendwie väterlich wirkte. „Frau Bach, ich mag Sie ja gern. Sie sind immer so fleißig. Und Ihr Engagement für … für …“ Er stockte, zog seine Brille von der Nase und putzte sie am Pullunder ab. „Ihr generelles Engagement in allen Ehren, aber Sie haben nicht mehr allzu viel Zeit bis zum Abgabetermin und wenn Sie bis dahin nicht mehr vorzuweisen haben, muss ich Ihnen leider sagen, dass das nicht genügen wird.“
Tabea spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. War sie hier im falschen Film? Sie hatte ungefähr jede deutsch- und englischsprachige Publikation gewälzt, die es auf dem Gebiet gab, nicht wenige davon sogar zweimal. Was hatte Kohlmeis, der olle Vogel, bloß für ein Problem?
„Wir hatten Ihre Fragestellung besprochen“, sagte er jetzt etwas energischer. „Sie sollten eine Korrelation zwischen den konkreten Führungsstrategien des leitenden Personals und der Motivation und Arbeitsleistung der Mitarbeiter herstellen.“
„Genau das habe ich ja vor“, warf Tabea ein.
„Nein.“ Der Professor nahm die Brille ab, legte sie auf den Tisch und massierte seine buschigen Augenbrauen. „Sie sind da leider auf dem Holzweg.“
Tabea schüttelte wie in Trance den Kopf und holte Luft, um etwas zu erwidern, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, was da gerade passierte. Aber in diesem Moment hob Kohlmeis mahnend eine Hand.
„Die persönliche Komponente fehlt gänzlich. Dass die Psychologie eine Wissenschaft ist, die sich mit dem Seelenleben des Menschen befasst, brauche ich Ihnen wohl nicht zu erklären. Dieser Herr …“ Er blätterte hektisch durch die Unterlagen. „Dieser Herr …“
„Baumann“, bemerkte sie trocken. „Johannes Baumann, der Leiter der Personalabteilung. Meinen Sie den?“
„Genau. Also, dieser Herr Baumann, was ist das für ein Mensch?“
Kohlmeis hatte seine Brille wieder aufgesetzt und senkte den Kopf ein wenig, um sie über die dicken Gläser hinweg anzusehen. „Sie haben den armen Mann ja förmlich als Ungeheuer dargestellt.“ Er schmunzelte. „Ein Chef, wie er im Buche steht. Aber warum, frage ich mich? Wie tickt dieser Mann ganz persönlich? Und wo könnte man ansetzen, um ihn zu wertorientierter Führung zu veranlassen? Was sind Ihre Schlüsse, Frau Bach, und was ist Ihr Erkenntnisgewinn?“
Ihr Erkenntnisgewinn? Wut stieg in Tabea auf und brannte in ihrer Kehle. Oh, sie hatte in diesen vier Wochen im letzten Herbst ganz gewiss eine Erkenntnis gewonnen: dass Johannes Baumann ein Mensch war, dem sie nie wieder begegnen wollte. Dabei konnte sie sich nicht einmal erinnern, ob er mehr als ein paar Worte mit ihr gewechselt hatte. Wahrscheinlich nicht, denn er war sehr beschäftigt damit gewesen, seine Mitarbeiter in Schach zu halten – allen voran die arme Barbara, die von ihm fast im Minutentakt getriezt worden