Blindlings ins Glück. Ria Hellichten
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„Bitte?“, fragte im nächsten Moment eine kratzige Frauenstimme mittleren Alters. „Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
Johnny stammelte drauflos und schaffte es irgendwie, der Dame am Tresen zu erklären, weshalb er dort war. Er berichtete von bunten Blitzen, die durch sein Sichtfeld zuckten, von stechenden Kopfschmerzen und dem Wunsch, das Patienten-WC aufzusuchen. Gern in Begleitung, weil er es allein leider nicht finden würde.
Die Rezeptionistin schien etwas überfordert zu sein. Sie gab ein paar undefinierbare, genuschelte Wörter von sich und tippte dann wild auf den Tasten eines Telefons herum, bevor sie mit eindringlicher Stimme eine Stationsschwester herbeirief. Dann ging auf einmal alles ganz schnell: Menschen kamen, fragten Johnny aus, zerrten an ihm herum und ließen ihn wieder allein. „Guten Tag, ich bin Herr Doktor Soundso.“ „Hallo, ziehen Sie sich bitte aus und legen Sie sich hin.“ „Wir machen noch eine Computertomografie, könnten Sie die Uhr ablegen?“ …
Johnnys Kopf schwirrte und er wusste nicht, ob es am Kater lag oder an den Eindrücken, die er kaum zu fassen bekam, weil er in der riesigen Klinik und dem Gewirr aus fremden Stimmen inzwischen jegliche Orientierung verloren hatte. Gut zwei Stunden und etliche Untersuchungen später – er lag in einem Krankenbett und man hatte ihm inzwischen eine Infusion gelegt – fragte ihn jemand, der sich noch nicht einmal richtig vorgestellt hatte, schlicht: „Was haben Sie in den letzten achtundvierzig Stunden gemacht?“
Johnny klopfte mit zitternden Fingern auf die Tischplatte in dem Einzelzimmer, das man ihm kurzerhand zugewiesen hatte. „Wie ich bereits Ihrem Kollegen und dessen Kollegin gesagt habe, bin ich von einer Geschäftsreise zurückgekommen.“
„Wo arbeiten Sie?“
„Im Personalmanagement. Bei Sanacur, einem Pharmaunternehmen.“
„Die Reise war innerhalb Europas?“
„Spanien.“
Sein Gegenüber schien zu überlegen. „Und haben Sie am letzten Abend etwas getrunken?“
Johnny nickte beiläufig.
„Was genau?“
Er seufzte ungeduldig. „Meine Güte, ein paar Drinks eben. Als ob ich mich an jeden einzeln erinnern würde. Wir waren in einer Bar, also … erst Bier, dann ein paar Mojitos oder Caipirinhas und so weiter …“
„Vielleicht auch etwas Selbstgebranntes?“
Johnny schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht, nur das Bier und die Cocktails.“ Angestrengt versuchte er, den letzten Abend noch einmal in Gedanken Revue passieren zu lassen. „Außer –“ Er hielt inne und spürte, wie Wirbel für Wirbel ein eiskalter Schauer seinen Rücken hinunterlief. „Ich war später noch mit einer Frau auf meinem Hotelzimmer, die hatte eine Flasche dabei. Aber fragen Sie mich nicht, was das für ein Zeug war. Korn oder so was.“
Es folgte eine schwere, unheilvolle Stille, die nur von dem Geräusch durchbrochen wurde, das Johnnys nervös trippelnde Finger auf der billigen Pressspanplatte des Tisches verursachten. Es machte ihn wahnsinnig, dass der Arzt schwieg und er ihm nicht einmal ins Gesicht sehen konnte. „Jetzt sagen Sie doch was: Ist das irgendwie wichtig? Und wann bekomme ich endlich die Kopfschmerztablette, die mir die Schwester schon vor einer halben Stunde bringen wollte? Sonst lassen Sie mich wenigstens wieder nach Hause.“
Statt einer Antwort hörte Johnny leise Pieptöne, dann sprach der gesichtslose Arzt eilige Worte – größtenteils unverständlichen Fachjargon – in ein Telefon. „Herr Baumann“, begann er kurz darauf. „Bleiben Sie jetzt bitte ruhig und hören Sie mir gut zu.“
Schlagartig war Johnny hellwach. Er ballte die Finger zur Faust und versuchte sich ganz auf die Worte des anderen Mannes zu konzentrieren. Die Zeit schien für einen kurzen Augenblick stillzustehen. Er konnte seinen eigenen Herzschlag hören und spürte, wie das Blut durch seine Adern rauschte.
„Es ist denkbar, dass Sie eine Methanolvergiftung haben. Wir müssen noch auf einige Testergebnisse warten, aber ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen.“
Johnny begann, unmerklich zu zittern. Er konnte nicht sagen, ob es an den Kopfschmerzen, an der Erschöpfung oder am Schock lag. Und bevor er eine Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern, fuhr der Arzt erbarmungslos fort.
„Wenn Sie vor über achtundvierzig Stunden gepanschten Schnaps getrunken haben, sind die Schäden eventuell nicht mehr reversibel. Ihr Sehnerv ist womöglich geschädigt und es kann sein, dass Sie Ihr Augenlicht selbst bei sofortigem Therapiebeginn nicht zurückgewinnen. Mit Glück haben Ihre Nieren keinen Schaden davongetragen, das werden die Blutwerte zeigen. Wir verlegen Sie gleich in die Klinik für innere Medizin IV, die auf Nierenleiden spezialisiert ist. Dort kann der zuständige Nephrologe über das weitere Vorgehen entscheiden, aber wahrscheinlich ist eine Blutwäsche nötig, um weitere Spätfolgen zu vermeiden.“
Das Zittern wurde stärker und Johnny verbarg sein Gesicht in einer Handfläche. Er spürte, dass der Mann ihm sacht seine Finger auf die Schulter legte, aber die Berührung war so kalt wie das nach Sterilium und Linoleum stinkende Zimmer. „Ein Glas mehr von dem Schnaps und Sie wären jetzt vielleicht nicht mehr hier.“
Johnnys Brustkorb schnürte sich zu. Gleichzeitig schoss das Adrenalin schwindelerregend durch seinen Körper. Er schnappte nach Luft und schüttelte fassungslos den Kopf. Sein bisheriges Leben war zu Ende. Alles rauschte in einem irrsinnigen Kopfkino an ihm vorbei: der Erfolg, das Geld, die Frauen. Ja, er konnte sogar bildhaft vor sich sehen, wie seine Mutter entsetzt die Hände vor das Gesicht schlug und ihre effektvollen Krokodilstränen schluchzte. Ihr Junge, ihr einziges Kind, war ein Krüppel.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgeworfen, Jemand kam eilig herein, vermutlich eine Schwester, und nestelte an seinem Infusionsständer herum.
„Herr Baumann, ich bringe Sie zur Hämodialyse auf die nephrologische Station“, sagte sie.
Johnny setzte sich halb auf. „Kann ich danach wieder nach Hause?“
Die Schwester drückte ihn sanft zurück ins Kissen.
„Vorerst müssen wir Sie stationär aufnehmen“, entgegnete der Arzt. „Es kann einige Tage dauern, bis alle Behandlungen abgeschlossen sind.“
Johnny schnaubte spöttisch und spürte, wie ihm gleichzeitig Tränen in die Augen stiegen. Es dauerte einen Moment, bis er sich gefasst hatte. „Machen Sie von mir aus diese Dialyse oder was auch immer. Und dann will ich einfach nur noch schlafen.“
Die Verlegung und alle folgenden Prozeduren ließ Johnny mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Er spürte den kalten Nebel auf seiner Haut und eine übelkeiterregende Alkoholwolke stieg ihm in die Nase, als die Schwester ihm Hals und Brustkorb desinfizierte. Der Nephrologe erklärte ihm, dass man eine örtliche Betäubung für einen zentralen Venenkatheter setzen müsste, um sein Blut möglichst schnell von den schädlichen Stoffen zu reinigen. Johnny nickte stumm. Er fragte nichts mehr und widersprach auch nicht. Er wollte endlich allein sein, um irgendwie zu begreifen, was geschehen war. Einen Schritt nach dem anderen, sagte er sich, obwohl dieser Gedanke ihn kaum beruhigen konnte. Du musst die Zwischenziele im Blick haben – wie beim Projektmanagement. Stell dir vor, es ginge um Geld und nicht etwa um dein eigenes Leben. Er stieß ein höhnisches Lachen aus.
Die Stunden zogen an ihm vorbei, ohne dass er genau verstand, was passierte. Johnny konzentrierte