Blindlings ins Glück. Ria Hellichten

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Blindlings ins Glück - Ria Hellichten

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Und was sollen diese Hieroglyphen in meinem Terminkalender heißen, habe ich etwa um zehn ein Treffen mit dem ägyptischen Museum?

      Wie dieser Mensch ganz persönlich tickte? Nein danke, das interessierte sie nicht die Bohne.

      Prof. Dr. Kohlmeis ordnete die Blätter ihrer Arbeit fein säuberlich auf dem Tisch, ehe er sie beiseite legte.

      Allmählich schien er Mitleid mit ihr zu haben, denn sein Blick wurde sanfter. „Nun gut. Mein Vorschlag wäre, dass Sie einen Persönlichkeitstest durchführen, um die Verhaltensmuster dieses Herrn Baumann detaillierter zu beschreiben. Ich dachte zum Beispiel an das FPI. Sie wissen, was ich meine?“

      Tatsächlich erinnerte sich Tabea an das Freiburger Persönlichkeitsinventar, von dem sie das erste Mal in einer Überblicksvorlesung zu Beginn ihres Studiums gehört hatte. Das inzwischen etwas veraltete Verfahren funktionierte mit einem Katalog aus 138 Fragen. Das waren 138 Fragen mehr, als sie Johannes Baumann jemals stellen wollte. „Vielen Dank für die Anregung, Prof. Dr. Kohlmeis. Ich bezweifle allerdings, dass Herr Baumann für ein Interview oder gar einen psychologischen Test zur Verfügung stehen wird.“

      Kohlmeis streckte die offenen Handflächen von sich und zuckte mit den Schultern. „Mit Verlaub, Frau Bach, das ist Ihr Problem.“ Er zog eine Augenbraue hoch, ließ seinen Blick noch einmal an ihr hinuntergleiten und ergänzte dann: „Gehen Sie nicht so viel auf Demonstrationen und dergleichen. Setzen Sie sich lieber an Ihren Schreibtisch. Das neue Kapitel können Sie mir ja per E-Mail zukommen lassen. So, jetzt muss ich los, bevor die Mensa schließt.“

      Er erhob sich schwerfällig aus seinem Stuhl, drückte kurz und kräftig ihre Hand und bedeutete ihr mit einer Geste, das Zimmer zu verlassen.

      Tabea wollte erwidern, dass sie nicht auf einer Demonstration gewesen war – zumindest nicht in den letzten zwei Wochen –, aber der Professor war bereits vorausgegangen und wackelte ungeduldig mit dem Büroschlüssel, den er in seiner Rechten hielt.

      So freundlich, wie es ihr Stolz zuließ, murmelte sie ein Dankeschön, nickte ihm zu und lief den schmalen Korridor entlang, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ein psychologischer Test mit dem größten Misanthropen des Jahrhunderts: Das konnte ja nur schiefgehen.

      JOHNNY

      Violetta legte ihre Finger fest um Johnnys Arm. Die langen Nägel kratzten auf seiner Haut. Trotzdem wartete er stoisch, bis sich endlich die Tür des Fahrstuhls schloss. Eine dichte Wolke aus Parfum und Nikotin erfüllte die enge Kabine und schien ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Johnny spürte, wie der Kragen ihrer Lederjacke seinen Arm streifte. Er selbst schwitzte bei den hochsommerlichen Temperaturen, die in diesem Juni herrschten, obwohl er nur ein T-Shirt trug.

      „Mutter“, versuchte er es noch einmal. „Ich hatte dich gebeten, mich nach Hause zu bringen.“

      „Ich weiß.“ Sie stieß einen langen Seufzer aus. „Aber ist es nicht besser, wenn du erst mal mit zu mir kommst?“ Sie ließ seinen Arm nicht los. „Ich kümmere mich doch jetzt um dich. Ich kann einfach nicht glauben, dass mein armer Junge –“

      „Sicher ist dir nicht entgangen, dass ich inzwischen ein erwachsener Mann bin.“

      Darauf antwortete Violetta nur mit einem unterdrückten Schluchzen und Johnny war erleichtert, als sich die Fahrstuhltür surrend wieder öffnete.

      Seine Mutter ging energisch voran und führte ihn in ihre Dreizimmerwohnung mit Blick über die Stadtteile Haslach und Weingarten, auch bekannt als Ha-Wei oder Hawaii. Ein knarzendes Geräusch zeigte Johnny, dass sie gerade einen ihrer Louis-XVI-Stühle vom Esstisch zog, und schon drückte sie ihn beherzt auf das weiche Polster. „Ich koche einen Kaffee. Du möchtest doch einen Kaffee?“, fragte sie mit zittriger Stimme, während sie den Glasschrank öffnete, in dem ihr Gin stand. Das Scharnier quietschte schon seit Ewigkeiten.

      „Ich kann hören, dass du an der Vitrine bist. Schenk mir bitte auch einen ein.“ Erschöpft ließ Johnny den Kopf gegen die Lehne sacken. „Ach, was soll’s, gib mir einfach die Flasche rüber!“

      Violetta seufzte. „Auf keinen Fall. Ich glaube nicht, dass es in deiner momentanen Verfassung –“

      „Mutter, ich bin nicht sterbenskrank.“

      Jetzt stieß sie ein empörtes Schnauben aus. „Ha! Du tust ja so, als wäre das gar nichts … Ich kenne dich, mein Junge, du brauchst dich nicht zu verstellen. Lass es einfach raus.“

      Johnny kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Wenn seine Mutter so weitermachte, würden sich bald die Kopfschmerzen wieder melden. Er spürte schon ein unangenehmes Pochen hinter seinen Schläfen. Wieso, verdammt noch mal, hatte er sich kein Taxi gerufen? Konnte es sein, dass er irgendwo tief im Unterbewusstsein doch das Bedürfnis verspürte, sich von seiner Mutter trösten zu lassen wie ein kleiner Junge, der sich die Knie aufgeschlagen hatte? Die Vorstellung war absurd. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, vor ein oder zwei Monaten, hatte sie auf ihrem Samtsofa gesessen und ihn mit großen Augen angestarrt wie ein kleines Mädchen. Abgesehen davon, dass kleine Mädchen normalerweise keine Zigarillos rauchten. Dieser Bürokram macht mich ganz krank und du weißt doch, wie das geht! Der Steuerberater will Unsummen von mir, dabei habe ich es schwer genug. So ist das eben, wenn man allein ist. Aber ich habe mir immer zu helfen gewusst, seit mich dein Vater damals ...

      Dann hatte sie wieder die alte Geschichte ausgegraben, darüber, dass sein Vater sie einfach weggeworfen hatte wie eine leere Zigarettenschachtel. Er war Bürgermeister von Haslach gewesen und sie folglich beinahe die First Lady of Hawaii, hätte er nicht im letzten Moment kalte Füße bekommen. Aber obwohl sein Vater sie schwanger und mittellos zurückgelassen hatte und sich seine Mutter seitdem mit einem Job im Callcenter durchschlug, war Violetta zufrieden, solange sie über ihr schweres Los jammern konnte. Und jetzt hatte ihr das Schicksal auch noch einen blinden Jungen aufgebürdet.

      Johnny überlegte, ob er später ein Schlafmittel nehmen sollte, damit wenigstens diese Grübeleien aufhörten. Aber zusammen mit dem Alkohol? Andererseits: Was sollte denn passieren? Er spannte den Unterkiefer an. „Jetzt gib schon den Gin her!“

      Zu seiner Erleichterung kam Violetta der Forderung nach. Johnny setzte die Flasche an die Lippen, aber allein von dem Geruch wurde ihm speiübel. Was machte er da bloß? Er musste in die Firma! Bestimmt wartete dort das reinste Chaos auf ihn. Wenn er im Krankenhaus mit Babsi telefoniert hatte, hatte er nichts als freundliche Genesungswünsche aus ihr herausbekommen. Es wurde Zeit, dass er sich selbst ein Bild von der Lage machte!

      In diesem Moment setzte sich seine Mutter neben ihn an den Tisch. „Junge, stell die Flasche weg“, forderte sie. „Das ist nicht gut für deine … deine Nieren.“ Anscheinend hatte sie mit den Ärzten geredet. „Du weißt, dass du in ein paar Tagen zur Nachsorge musst, und bis dahin solltest du wirklich keinen Alkohol trinken!“

      Bei diesen Worten waberte der Gestank nach Vanille und Nikotin noch eindringlicher zu Johnny herüber. Seine Mutter rauchte wie ein Schlot, wenn sie nervös war. Die Tatsache, dass ihr einziges Kind, ihr Vorzeigesohn, jetzt ein Wrack war, schien an ihrem ohnehin nicht sehr stabilen Nervenkostüm zu nagen. „Und du solltest nicht so viel rauchen, schon gar nicht in der Wohnung!“ Er tastete mit der rechten Hand nach der Tischplatte und stellte die Flasche vor sich ab.

      „Wenn du wieder hier eingezogen bist, wirst du dich daran gewöhnen müssen“, gab sie kühl zurück.

      Johnnys Puls beschleunigte sich und er sprang hastig auf. Er konnte spüren, dass der Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, bedrohlich wackelte. „Wie bitte?“

      „Na,

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