Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher
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13
Jan trat kräftig in die Pedale. Stine hatte große Mühe das Tempo zu halten.
»Mensch Jan, ich kann nicht mehr«, rief sie ihm lachend zu. »Können wir eine Pause machen?«
Sie sprang vom Rad und ließ sich atemlos ins Gras fallen. Sekunden später war Jan neben ihr und beugte sich lächelnd über das Mädchen.
»Du hast wohl keine Puste mehr? Das müssen wir aber noch üben«, sagte er mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
Stine sah in seine braunen Augen, sein Mund war ganz nah. Ihr Herz klopfte, was sollte sie tun, wenn Jan sie jetzt küsste? Sollte sie schreien, ihn wegstoßen, oder sollte sie einfach nur stillhalten?
»Du musst dich für einen Mann interessant machen«, hatte die Großmutter zu ihr gesagt.
»Wenn du dich jedem Kerl an den Hals wirfst, nimmt dich später keiner mehr.«
Das wollte Stine auf keinen Fall riskieren, aber wie macht man sich für einen Mann interessant? Sollte sie sich doch besser wehren und weglaufen? Würde Jan das interessant finden? All diese Gedanken schossen Stine durch den Kopf, während sie ihr Spiegelbild in seinen Augen betrachtete. Eine Weile lag sie ganz ruhig neben ihm im Gras, dann hob sie langsam ihre Hand und strich zart über seine Stirn und die Wangen. Zum Schreien hatte sie keine Lust, und zum Weglaufen schon gar nicht, aber zum Küssen …
Unvermittelt richtete Jan sich auf und reichte ihr die Hand. Er fuhr mit den Händen durch seine Haare und zupfte einige Grashalme von seiner braunen Cordhose.
»Komm, wir müssen uns beeilen, es ist schon dunkel, ich habe kein Licht an meinem Fahrrad.«
Stine sah enttäuscht zu, wie Jan hastig auf sein Fahrrad stieg. Warum hatte er es plötzlich so eilig? Hatte sie falsch reagiert? Hätte sie doch weglaufen sollen? Sicher fand Jan sie gar nicht interessant, sonst hätte er sie bestimmt geküsst. Sie stieg auf ihr Rad und fuhr rasch, ohne sich nach dem Jungen umzusehen, den sandigen Feldweg entlang. Sie wollte so schnell wie möglich zurück nach Utersum. Erst, als in der Ferne die ersten Lichter des Dorfes zu sehen waren, verlangsamte sie ihre Fahrt. Es war kühl geworden, und ein eisiger Wind trieb Stine Tränen in die Augen.
Ob es wirklich der Wind war, das wusste wohl nur das Mädchen.
Obwohl sie seit den Ereignissen des vergangenen Abends völlig durcheinander war, wenn sie an Jan dachte, schlief sie tief und traumlos.
Irgendetwas war mit ihr geschehen.
War das Liebe, was sie empfand, wenn sie an Jan Nansen dachte? Liebte Jan sie auch? Aber warum hatte er sie nicht geküsst? Ihre Großmutter hatte ihr erklärt, dass man zwar aus Liebe heiraten könne, aber manchmal auch solche Dinge wie »Sicherheit, Vernunft oder Verpflichtung« für eine Ehe wichtig wären.
»Die Liebe macht halt nicht satt«, sagte Meta oft bedrückt.
Stine war ganz sicher, wenn sie einmal heiraten würde, dann nur aus Liebe.
Ob ihre Großmutter ihr erklären konnte, wie man wahre Liebe erkennt?
Großmutter mit ihrer Lebenserfahrung wird das wissen, Stine war ganz sicher.
14
Es war ein Morgen wie aus dem Bilderbuch. Die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher, die Fliederbüsche standen in voller Blüte, und der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite.
Stine hatte das schöne Wetter genutzt und alle Fenster des Hofes einer gründlichen Reinigung unterzogen. Nun stand sie auf dem Hof und betrachtete stolz ihr Werk.
»Jetzt mach mal eine Pause, wie wäre es mit einem Tee? Ich habe in der Küche Gebäck gesehen.«
Bauer Clausen kraulte dem Hofhund das Fell und gesellte sich zu Stine. In letzter Zeit machte ihm sein Rücken oft zu schaffen. Ein altes Ischias-Leiden quälte ihn und ließ die Feldarbeit zur Last werden. So nutzte er gerne die kleinen Pausen, um sich auszuruhen und seinen Rücken für kurze Zeit zu entlasten.
»Morgen nimmst du dir einen Tag frei. Die Hausarbeit kann ruhig mal warten. Sie läuft nicht weg.«
Der alte Marten Clausen wusste Stines Arbeit auf seinem Hof zu schätzen. Das Mädchen war fleißig, und er bewunderte ihre Kochkunst. Aus wenigen Zutaten zauberte sie die köstlichsten Gerichte. Den Clausenhof hatte sie in kurzer Zeit in ein wahres Schmuckstück verwandelt.
Bunte Vorhänge und Tischtücher gaben der großen Wohnküche eine gemütliche Ausstrahlung. Handtücher und Bettzeug wurden stets gebügelt, und zu den Mahlzeiten standen frische Blumen auf dem Tisch.
»Ach Bauer was soll ich denn mit einem freien Tag anfangen? Meine Großeltern habe ich gerade erst besucht«, Stine strich eine Haarsträhne aus der Stirn und fuhr fort:
»Wenn du nichts dagegen hast, bleibe ich lieber hier. Morgen werde ich ein neues Kuchenrezept ausprobieren, mit Zuckerstreuseln, das wird dir gefallen.«
Bei ihrem Einkaufsbummel vor einigen Tagen hatte Stine in der Gemeindebücherei ein Sachbuch über Traumdeutung entdeckt und nun brannte sie darauf dieses Buch baldmöglichst zu lesen. Es war schon eine Weile her, dass die »weiße Frau« ihr im Traum erschienen war und Stine hoffte mit aller Kraft, dass es so bleiben möge. Wenn sie nachts träumte, dann meistens von Jan, der ihr Leben momentan ganz schön durcheinander brachte. Vielleicht hatte die Liebe, mit ihrer unendlichen Kraft einen bösen Zauber gebrochen? Stine seufzte, so etwas gab es wohl nur im Märchen.
Clausen schüttelte den Kopf. So ein junges Ding wusste nichts mit einem freien Tag anzufangen? In seiner Jugend war das anders. Jede freie Minute hatte er als junger Bursche auf dem Fußballplatz verbracht. Ein berühmter Fußballspieler wollte er werden, doch dann war sein Vater gestorben und er hatte den Hof übernehmen müssen. So zerplatzen Träume …
»Ja, wie du willst«, sagte Marten und begleitete Stine in die Küche. Während das Mädchen einen großen Kessel Wasser auf die Herdplatte stellte, machte Clausen es sich im Sessel bequem und stopfte seine Pfeife. Gerade als der Nachrichtensprecher im Radio berichtete, dass Winston Churchill aus gesundheitlichen Gründen als Premierminister zurückgetreten war, schlug der Hofhund an. Wütend riss er an der Kette. Die Gänse, die gerade noch friedlich auf der Wiese nach Futter suchten, stoben laut schnatternd auseinander und suchten das Weite.
»Was ist denn da draußen los?«
Der Bauer legte die Zeitung zur Seite und eilte auf den Hof. Mit lautem Getöse und großer Geschwindigkeit näherte sich ein Motorrad und kam erst kurz vor dem Dielentor zum Stehen. Eine hochgewachsene Gestalt in schwarzer Lederkluft stieg von dem Gefährt und reichte dem Bauern die Hand.
»Da staunst du was? Das ist eine Hercules, die Maschine habe ich gerade gekauft. Sieh sie dir nur genau an, ist das nicht ein Schmuckstück? Willst du vielleicht mal eine Probefahrt machen?«