Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher
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Читать онлайн книгу Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher страница 13
Stine beobachtete ihre Großmutter und sah, wie aufgewühlt sie war.
»Erzähl mir von meiner Mutter«, bat sie.
Meta schluckte und holte tief Luft.
»Ach, deine Mutter verhielt sich manchmal auch ein wenig sonderbar. Großvater konnte das einfach nicht verstehen, das weißt du ja. Es wäre besser gewesen, deine Mutter wäre mit dir und deinem Vater aufs Festland gezogen. Weg von der Insel und diesen üblen Anfeindungen. Aber sie wollte nicht. Na ja, dann hatte sie kurz darauf diesen schrecklichen Unfall.«
Stine horchte auf. Es war das erste Mal, dass Großmutter von ihrer Tochter Rieke erzählte. Stine hatte sich häufig gewundert, dass es keine Erinnerungsstücke von ihrer Mutter im Haus gab.
»Warum war meine Mutter sonderbar? Sah sie auch diese weiße Frau? Bitte, Großmutter sag es mir.«
Stine bebte am ganzen Körper. Konnte es sein, dass es noch jemanden gab, der diese seltsamen Erscheinungen hatte? War es möglich, dass auch ihre Mutter von Träumen geplagt wurde?
»Ja, deine Mutter erzählte häufig von einer Frau in einem weißen Kleid. Ich habe ihr oft gesagt, dass diese Frau ihr Schutzengel sei und ihr nichts Böses will, aber Rieke dachte, sie sei krank. Wir Knudtsen-Frauen haben eine besondere Gabe.«, fuhr die Großmutter fort. »Wir träumen manchmal Dinge, die wir nicht sofort verstehen. Du solltest diesen Träumen nicht zu viel Bedeutung geben, dann wirst du gut damit leben können.«
Stine schaute bedrückt aus dem Fenster. Sie war völlig durcheinander. Die weiße Frau, die wirren Träume, die ihr den Schlaf raubten, all das nannte Großmutter »eine besondere Gabe«.
Sie wollte diese besondere Gabe nicht … Sie wollte einfach so leben, wie viele andere Mädchen …
Stine dachte an die schlaflosen Nächte, die sie frierend in ihrem dünnen Nachthemd auf dem Schemel am Fenster verbrachte. Ununterbrochen spielte ihr kleines Transistorradio Schlager von Lale Andersen und Peter Alexander. Immer wieder, die ganze Nacht …
Die Angst einzuschlafen und von wilden Träumen geplagt zu werden, war übergroß.
Doch Stine musste schon bald erkennen, dass die »weiße Frau« sich durch diese Aktivitäten nicht vertreiben ließ.
Irgendwann war sie wieder da …
Die Sonne war inzwischen hinter den Dächern des alten Kapitänshauses verschwunden, und die Lindenbäume an der Hauptstraße warfen lange Schatten auf das Kopfsteinpflaster. In der kleinen Stube war es längst dämmerig geworden. Nur schemenhaft konnte Stine ihre Großmutter erkennen, die in dem alten Lehnstuhl am Ofen saß. Es war völlig still im Raum, nur ab und zu hörte man von draußen das laute Gelächter der Gäste. Das Festmahl hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Ein Schlachtfest auf dem Knudtsenhof war selten vor Anbruch des neuen Tages zu Ende. Stine dachte an ihre Mutter. Ob sie diese Veranstaltungen wohl auch so verabscheut hatte? Sie konnte sich kaum an ihre Mutter erinnern, und dennoch fühlte sie gerade jetzt eine tiefe Verbundenheit.
»Nun, wie hast du dich entschieden? Wirst du nach Utersum gehen?«
Metas Stimme klang müde, sie erhob sich schwerfällig und wärmte ihre Hände an den heißen Ofenplatten.
»Aber eines solltest du wissen, Stine. Egal wie du dich entscheiden wirst, gegen deinen Willen wird dich niemand wegschicken, auch der Bauer nicht.«
Stine ging langsam auf ihre Großmutter zu und strich ihr zärtlich über die runzeligen Wangen. Leise flüsterte sie:
»Ich werde dich sehr vermissen.«
11
Die ersten Tulpen und Narzissen öffneten ihre Blütenkelche, und die goldgelben Rapsfelder leuchteten mit der Frühlingssonne um die Wette. Das Milchvieh wurde von den Knechten auf die Weiden getrieben, und im Gemüsegarten erntete die Küchenhilfe die ersten Salatköpfe.
Stine stand am Fenster ihrer kleinen Kammer und sah zum Deich herüber. Wenn sie die Küchenarbeit erledigt hatte, würde sie einen langen Spaziergang machen. Nach den endlos scheinenden, düsteren Wintermonaten brauchte sie unbedingt frische Luft. Rasch schüttelte sie ihr Bettzeug auf und räumte ihre Kleider in den alten Wandschrank. Sie sah sich um. Groß war ihre Stube nicht, aber zweckmäßig und ordentlich eingerichtet. Die geblümten Tapeten an den Wänden gaben dem Raum etwas Behagliches. Mit einigen Grünpflanzen und hübschen Bildern hatte Stine sich ein gemütliches kleines Reich geschaffen. Seit fünf Monate war sie nun auf dem Clausenhof und fühlte sich inzwischen sehr wohl. Ihre anfängliche Scheu und Zurückhaltung hatte sie längst abgelegt, der Bauer war höflich und behandelte sie sehr zuvorkommend.
»Stine, komm doch einmal her …«
Stine erschrak, die Stimme des Bauern klang erregt und ungeduldig. So schnell sie konnte, lief sie die schmale Holzstiege hinunter durch die Milchkammer nach draußen. Vor dem Schweinestall standen der Bauer und zwei seiner Knechte und unterhielten sich lebhaft.
»Was ist denn los?«, fragte sie und sah die Männer neugierig an.
»Unsere beste Zuchtsau hat heute Nacht zwölf Ferkel geworfen. Was sagst du nun?«
Bauer Clausen strahlte übers ganze Gesicht und klopfte sich vor Freude auf die Schenkel.
»Stine, koch uns heute mal etwas Feines, das haben wir uns redlich verdient«, schlug er vor. Die beiden Knechte nickten zustimmend, bevor sie wieder an die Stallarbeit gingen.
»Die Ferkelpreise sind so gut wie schon lange nicht mehr, das wird ein gutes Jahr«, sagte Clausen und führte das Mädchen in den Schweinestall. Grunzend und zufrieden lag die Sau im Stroh und beobachtete wachsam jeden Schritt ihrer neugeborenen Ferkel. Stine betrachtete lächelnd die rosafarbenen, quiekenden Ferkelchen. Ihr Großvater nahm sie selten mit in den Stall. Er war der Meinung, sie sei in der Küche besser aufgehoben.
»Eine Bäuerin gehört an den Herd«, hatte er stets zu seiner Frau gesagt, und Meta war es nur Recht gewesen. Sie zeigte wenig Interesse an der Viehwirtschaft und beschäftigte sich lieber im Haus oder im Garten. Stine jedoch liebte Tiere über alles, oft unternahm sie mit dem Hofhund endlose Spaziergänge.
»In der nächsten Woche wird es noch weitere Ferkel geben.«
Marten Clausen zeigte auf eine Sau, die ihre mächtige Leibesfülle gerade schwerfällig zum Futtertrog schob.
Stine besprach mit dem Bauern noch kurz seine Termine für diesen Tag, dann ging sie zurück in die Küche. Während sie Kartoffeln schälte und die Hühner in den Backofen schob, war sie in Gedanken beim Knudtsenhof. Ihr Großvater hatte nach ihrem Umzug eine Küchenhilfe einstellen müssen. Der Großmutter fiel es immer schwerer, die alltägliche Arbeit in der Küche und im Garten zu erledigen. Ihre Gelenke hatten sich durch das Rheuma teilweise stark verformt, und an manchen Tagen war es ihr nicht möglich auch nur einen Finger zu bewegen. Doch niemand hörte die alte Bäuerin je klagen.
Stine war völlig in Gedanken versunken, erst als es laut an der Küchentür klopfte, hob sie den Kopf und lauschte.
»Herein! Wer ist denn da?«
Die